BGH zur Eigenbedarfskündigung bei Mischmietverhältnissen

A. Sachverhalt (leicht abgewandelt)

M mietete von V mit Vertrag vom 1. September 1996 ein im Eigentum des V stehendes, ehemaliges landwirtschaftliches Anwesen (geräumiges Bauernhaus mit Nebenräumen). M nutzte das Wohnhaus und die weiteren Nutzflächen vertragsgemäß teils zu Wohnzwecken und teils gewerblich für ein Ladengeschäft zur Raumausstattung. Der Vertrag sieht einen einheitlichen Mietzins vor; eine Differenzierung zwischen Wohnräumen und Ladengeschäft findet nicht statt. Das Ladengeschäft, dessen Fläche 1/5 der gemieteten Gesamtfläche ausmacht, ist die einzige Einnahmequelle des M.

Mit formell ordnungsgemäßem Schreiben vom 1. April 2014, zugegangen am 3. April 2014, kündigt V das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum Ablauf des 31.12.2014. Er führt an, dass – was zutrifft – er seiner 28-jährigen Tochter und der 7-jährigen Enkelin, die beide noch in seinem Haushalt leben, eine eigene Wohnung zur Verfügung stellen wolle. Die Tochter des V will lediglich die Wohnräume nutzen und hat keinen Bedarf an einer Nutzung der übrigen, von M für sein Ladengeschäft benutzten Räume.

Am 1.1.2015 weigert sich M, das Anwesen zu räumen. Er könnte ohne Weiteres ein ebenso gut geeignetes anderweitiges Ladenlokal zu ähnlichen Konditionen wie bisher anmieten. Auch anderweitiger Wohnraum steht zur Verfügung. Steht V ein Anspruch auf Räumung oder Herausgabe des Anwesens zu?

**B.**Die Entscheidung des BGH (Urteil vom 1. 7. 2015, Az. VIII ZR 14/15)

Anspruch des V gegen M auf Räumung gemäß § 546 I BGB oder Herausgabe gemäß § 985 BGB

V könnte gegen M ein Anspruch auf Räumung gemäß § 546 I BGB oder Herausgabe gemäß § 985 BGB zustehen. Beide Ansprüche setzen voraus, dass das bestehende Mietverhältnis zum Ablauf des 31.12.2014 beendet wurde (für § 985 BGB siehe § 986 I BGB). Es kommt also darauf an, ob die am 3.4.2014 zugegangene Kündigungserklärung wirksam ist.

I. Kündigungsgrund

Voraussetzung ist zunächst, dass V ein Kündigungsgrund zusteht. Ein solcher könnte aus § 573 I, II Nr. 2 BGB folgen. Danach kann der Vermieter ein Mietverhältnis nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn der Vermieter die vermieteten Räume als Wohnung für seine Familienangehörigen benötigt.

1. **Anwendbarkeit des § 573 BGB**

Anwendbar ist § 573 BGB aber – wie sich aus seiner systematischen Stellung im Untertitel 2 (§§ 549–577a BGB) ergibt – nur auf Mietverhältnisse über Wohnraum (siehe § 549 I BGB), nicht aber auf Mietverhältnisse über Grundstücke (§ 578 I BGB) oder über andere Räume, insbesondere Gewerberäume (§ 578 II BGB).

Das Anwesen wird von M sowohl zu Wohnzwecken als auch gewerblich genutzt. Es liegt ein einheitliches (beide Nutzungsarten erfassendes) Mietverhältnis vor, was schon daraus folgt, dass die Parteien einen einheitlichen Mietzins vereinbart haben. Man spricht von einem Mischmietverhältnis. Um eine gesonderte rechtliche Bewertung der unterschiedlichen Nutzungszwecke, die der von den Parteien gewollten rechtlichen Einheit des Vertrags zuwiderliefe, zu vermeiden, ist ein Mischmietverhältnis zwingend entweder als Wohnraummietverhältnis oder als Mietverhältnis über andere Räume zu bewerten.

Für die Abgrenzung kommt es darauf an, welche Nutzungsart überwiegt, wobei der Vertragszweck, der durch Auslegung zu ermitteln ist, entscheidend ist. Der BGH hat dazu in einer Entscheidung aus dem Jahre 2014 ausgeführt:

„Dem Berufungsgericht ist allerdings darin beizupflichten, dass bei der Frage, welche Nutzungsart im Vordergrund steht - wie auch sonst bei Abgrenzung von Geschäfts- und Wohnraummiete - auf den Vertragszweck abzustellen ist. Überwiegt danach die Nutzung als Wohnraum, ist Wohnraummietrecht anzuwenden. Steht die Vermietung zu Zwecken im Vordergrund, die keinen Wohnraumcharakter haben, ist allgemeines Mietrecht maßgebend. …

aa) Welcher Vertragszweck bei Mischmietverhältnissen im Vordergrund steht, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln. Entscheidend ist der wahre, das Rechtsverhältnis prägende Vertragszweck, also die gemeinsamen und übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragsparteien darüber, wie das Mietobjekt genutzt werden soll und welche Art der Nutzung im Vordergrund steht. Ein hiervon abweichender, im Vertrag nur vorgetäuschter Vertragszweck ist unbeachtlich.

bb) Bei der Ermittlung des nach dem wirklichen Willen der Parteien vorherrschenden Vertragszwecks sind alle (auslegungsrelevanten) Umstände des Einzelfalls zu würdigen.

Für die Feststellung des nach den vertraglichen Absprachen gewollten Nutzungsschwerpunkts wird der Tatrichter mangels ausdrücklicher Abreden häufig auf Indizien zurückgreifen müssen.

(1) Dabei lassen sich keine festen Regeln aufstellen. Insbesondere lässt der Umstand, dass die Vermietung nicht nur zu Wohnzwecken, sondern auch zur Ausübung einer gewerblichen/freiberuflichen Tätigkeit vorgenommen wird, durch die der Mieter seinen Lebensunterhalt bestreitet, keine tragfähigen Rückschlüsse auf einen im Bereich der Geschäftsraummiete liegenden Vertragsschwerpunkt zu. …

(2) Für die Ermittlung des nach dem Willen der Parteien vorherrschenden Vertragszwecks ist beim Fehlen ausdrücklicher Regelungen auf objektive (äußerliche) Umstände zurückzugreifen, sofern diese tragfähige Anhaltspunkte für den Parteiwillen bilden. Als Indiz kommt etwa - je nach Fallgestaltung - die Verwendung eines auf eine der beiden Nutzungsarten (Geschäftsraum- oder Wohnraummiete) zugeschnittenen Vertragsformulars in Betracht. … Indizwirkung kann auch dem Verhältnis der für eine gewerbliche/freiberufliche Nutzung vorgesehenen Flächen und der für Wohnzwecke bestimmten Flächen zukommen … Auch die baulichen Gegebenheiten (Zuschnitt, Einrichtung etc.) können gegebenenfalls Rückschlüsse auf einen von den Parteien gewollten Vorrang einer Nutzungsart zulassen. Ein Indiz für das Überwiegen eines Nutzungsanteils kann sich auch aus Umständen im Vorfeld des Vertragsschlusses oder aus einem nachträglichen Verhalten der Parteien - soweit dieses Rückschlüsse auf den übereinstimmenden Willen bei Vertragsschluss zulässt - ergeben. Die aufgeführten Indizien sind nicht abschließend. Es obliegt dem Tatrichter, auf der Grundlage der Einzelfallumstände zu beurteilen, ob Indizien vorliegen, die einen tragfähigen Rückschluss auf den übereinstimmenden Parteiwillen über den Nutzungsschwerpunkt zulassen, und diese zu gewichten.

(3) Lässt sich bei der gebotenen Einzelfallprüfung ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung nicht feststellen (also auch bei einer Gleichwertigkeit beider Nutzungen), ist von der Geltung der Vorschriften der Wohnraummiete auszugehen (…). Denn ansonsten würden die zum Schutz des Wohnraummieters bestehenden zwingenden Sonderregelungen, insbesondere die eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters (§§ 573, 543, 569) und die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts (§ 23 Nr. 2a GVG), unterlaufen.“ (BGH NJW 2014, 2864 (2866 ff.))

Nach diesen Grundsätzen ist das Mischmietverhältnis zwischen M und V als Mietverhältnis über Wohnraum einzuordnen. Dass M seinen Lebensunterhalt einzig mit den gemieteten Geschäftsräumen bestreitet, ist nach der neueren Rechtsprechung des BGH unerheblich. Die Fläche der vermieteten Geschäftsräume macht nur 1/5 der vermieteten Gesamtfläche aus, sodass der Schwerpunkt in der Überlassung von Wohnraum liegt und damit die Regelungen über Mietverhältnisse über Wohnraum Anwendung finden. § 573 BGB ist damit anwendbar.

1. **Voraussetzungen des § 573 I, II Nr. 2 BGB**

Gemäß § 573 II Nr. 2 BGB hat der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung eines Mietverhältnisses, wenn er die Räume als Wohnung für sich oder einen Angehörigen benötigt. Diese Voraussetzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH erfüllt, wenn der Wunsch des Vermieters, die Wohnung einem Angehörigen zur Verfügung zu stellen, auf vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen beruht. Der Wunsch des V, die von M bewohnten Räume seiner bisher noch im Haus der Eltern untergebrachten Tochter und deren Kind zwecks Begründung eines eigenen Hausstandes zur Verfügung zu stellen, erfüllt diese Voraussetzung.

Fraglich ist allerdings, ob es einem Eigenbedarf entgegensteht, dass die Tochter des V lediglich die Wohnräume nutzen will und keinen Bedarf an einer Nutzung der übrigen, von M für sein Ladengeschäft benutzten Räume hat. Man könnte erwägen, dass sich bei einem Mischmietverhältnis der Eigenbedarf auch auf die Geschäftsräume beziehen müsste.

Der BGH weist diese Argumentation zurück:

„Zwar ist auch ein solches Mietverhältnis nur in seiner Gesamtheit nach den Kündigungsvorschriften für Wohnraum kündbar (Senatsurteil vom 12. Oktober 2011 - VIII ZR 251/10, NJW 2012, 224 Rn. 11). Das besagt aber nicht, dass ein nach § 573 Abs. 1 BGB für die Kündigung erforderliches berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses, insbesondere ein Eigenbedarf im Sinne von Absatz 2, sich auch auf die gewerblich genutzten Räumlichkeiten beziehen muss. Denn der mit dieser Vorschrift auf den Mieter von Wohnraum zugeschnittene Schutz schließt eine in das Mietverhältnis mit aufgenommene gewerbliche Nutzung der Mietsache nicht ein. Bei gewerblich oder geschäftlich genutzten Räumen hängt die Befugnis des Vermieters zur ordentlichen Kündigung gerade nicht vom Vorliegen eines berechtigten Interesses (§ 573 Abs. 1 BGB) ab.

Die von der Revision vertretene Auffassung, der Eigenbedarf des Vermieters müsse sich auch auf untergeordnete gewerblich genutzte Räume erstrecken, würde - wie auch das Berufungsgericht richtig gesehen hat - dazu führen, dass der Vermieter zwar berechtigterweise Eigenbedarf an den zu Wohnzwecken vermieteten Räumlichkeiten geltend machen könnte, damit aber gleichwohl regelmäßig scheitern müsste, weil er oder der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannte Personenkreis für sich keine Möglichkeiten zu einer (sinnvollen) gewerblichen Nachnutzung sieht und damit keinen entsprechenden gewerblichen Nutzungsbedarf geltend machen kann. Es besteht kein Anlass, das für Wohnraum zu Gunsten des Mieters eingerichtete hohe Schutzniveau wertungswidrig auf die nicht vergleichbar schutzwürdigen Teile des Mietverhältnisses in gewerblicher Nutzung zu erstrecken und damit für Mischmietverhältnisse eine Eigenbedarfskündigung im praktischen Ergebnis weitgehend auszuschließen.“

II. Kündigungserklärung

V hat die Kündigung ordnungsgemäß erklärt, insbesondere entspricht die Erklärung den formellen Anforderungen des § 573 III BGB.

III. Kündigungsfrist

Die Kündigungsfrist bestimmt sich nach § 573c I BGB. Danach ist die Kündigung spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig. Die Kündigungsfrist für den Vermieter verlängert sich nach fünf und acht Jahren seit der Überlassung des Wohnraums um jeweils drei Monate. Für das seit dem Jahr 1996 bestehende Mietverhältnis beträgt die Kündigungsfrist für den Vermieter somit 9 Monate (§ 573c I 1 BGB: 3 Monate; § 573c I 2 BGB: Verlängerung um zweimal drei Monate). Mit der am dritten Werktag des April 2014 zugegangenen Kündigungserklärung konnte V das Mietverhältnis somit zum 31.12.2014 kündigen.

IV. Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen unzumutbarer Härte (§ 574 BGB)

Einen Widerspruch nach § 574 I BGB, für den nach § 574b BGB Schriftform erforderlich ist, hat M nicht erhoben. Zudem ist es M ohne Weiteres möglich, anderweitig Wohn- und Geschäftsräume anzumieten, so dass die Voraussetzungen des § 574 I BGB auch nicht vorliegen.

V. Ergebnis

Das Mietverhältnis ist wirksam zum Ablauf des 31.12.2014 beendet worden. V kann die Räumung bzw. die Herausgabe des Anwesens verlangen (§§ 546 I, 985 BGB). Gegebenenfalls kann das Gericht dem M eine Räumungsfrist gewähren (§ 721 ZPO).

C. Fazit

Eine Entscheidung, die dazu einlädt, sich mit der Beendigung von Mietverhältnissen intensiver auseinanderzusetzen. Insoweit ist sorgsam zwischen den jeweils anwendbaren Regelungen auf verschiedene Mietverhältnisse (über Wohnraum (§ 549 I BGB), über Grundstücke (§ 578 I BGB), über andere Räume als Wohnräume (§ 578 II BGB), über bewegliche Sachen) und den verschiedenen (einseitigen) Beendigungsgründen (Mietverhältnisse auf unbestimmte Zeit (§ 542 I BGB): ordentliche Kündigung, außerordentliche befristete Kündigung, außerordentliche fristlose Kündigung; Mietverhältnisse auf bestimmte Zeit (§ 542 II BGB): außerordentliche Kündigung).