Examensreport: ZR I 1. Examen April 2015 in Berlin, Brandenburg und NRW

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

G ist Vorstandsvorsitzender in der nach ihm benannten G-Bank-AG (B). Die B hat ein Grundkapital von 25.000.000€ und ist zurzeit geschäftlich mittelmäßig erfolgreich.
R ist Redakteur des wöchentlich erscheinenden Nachrichtenmagazins N. N gehört der V-AG. Dort schreibt er einen Artikel, der sich mit den privaten Zahlungsschwierigkeiten des G beschäftigt. Die B wird dabei nur am Rande genannt. So wird erwähnt, dass sie in den vergangenen Jahren häufig bei Jahresschluss Verluste zu verzeichnen hatte. Die Bankaufsicht war jedoch nie veranlasst, einzuschreiten. Außerdem wird beschrieben, dass die B sich erfolglos bemüht hat, in einen Anlegerschutzfond aufgenommen zu werden, bei welchem die Anlagen der Kunden der B abgesichert gewesen wären. Der Artikel ist sachlich geschrieben und entspricht der Wahrheit.
R hatte als ursprüngliche Überschrift “Bankier in Not” gewählt. Diese war jedoch seinem Chefredakteur C zu unverständlich und nicht plakativ genug. Er änderte darum, ohne Rücksprache mit R zu halten, das Titelbild und die Überschrift, sodass dort nun die Geschäftszentrale der B abgebildet war und die Überschrift “Liquidität gefährdert – Anleger bangen um ihr Geld!?” lautete.
Nachdem die Zeitschrift erscheint, beginnen am Montag die Kunden der B massenhaft damit, ihr Geld abzuheben. Binnen weniger Stunden verliert die B dadurch 11 Mio €. Kurze Zeit darauf wird die Bankaufsicht tätig und verbietet der B den Weiterbetrieb. Kurze Zeit später geht die B insolvent und das Insolvenzverfahren wird eröffnet.

  1. Der Insolvenzverwalter I möchte für die B von R Schadensersatz für den Untergang der B. Er meint, der Artikel habe die Grundsätze der Sensibilität bei Bankenthemen verletzt.

  2. I möchte auch von C Schadensersatz, da letztlich die Überschrift mit Sicherheit die Grenzen der deliktsrechtlichen Vorwerfbarkeit überschritten habe.

  3. Angenommen, der Anspruch des I gegen C besteht – kann auch ein Anspruch des I gegen die V-AG geltend gemacht werden?

  4. Auch G möchte, da er nun sein Vorstandsgehalt i.H.v. 2 Mio Euro jährlich verloren habe, von C Schadensersatz.
    Prüfen Sie alle Rechtsfragen gutachterlich und gehen sie notfalls hilfsgutachterlich darauf ein.

Abgedruckt:

§ 80 Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts

(1) Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über.

Unverbindliche Lösungsskizze

A. Forderungsberechtigung des I

(+); Arg.: § 80 I InsO

B. Ansprüche B gegen R

I. § 823 I BGB

  1. Rechtsgutsverletzung

a) Eigentum

(-);Arg.: nicht betroffen

b) Vermögen

(-); Arg.: betroffen, aber nicht von § 823 I BGB geschützt

c) Sonstige Recht i.S.v. § 823 I BGB
-> Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wohl (+); Arg.: „Liquidität gefährdet“ mit Abbildung der Geschäftszentrale der B finaler und intensiver Eingriff. 

  1. Verletzungsverhalten des R
    Hier: Verfassen des Ausgangstextes

 3. Zurechnung

a) Kausalität (+)

b) Objektive Zurechnung
(-); Arg.: Eigenverantwortliches Dazwischentreten des C

  1. Ergebnis: (-)

 

 

II. § 823 II BGB i.V.m. § 186 StGB bzw. § 187 StGB

 1. Verletzung eines Schutzgesetzes

a) Bzgl. des von R selbst verfassten Textes (-)

b) Bzgl. der von C eingefügten Überschrift und Bebilderung

(-); Arg.: zumindest keine Zurechnung des Verhaltens des C

 

III. § 824 BGB

  1. Bzgl. des von R selbst verfassten Textes (-)

  2. Bzgl. der von C eingefügten Überschrift und Bebilderung

(-); Arg.: zumindest keine Zurechnung des Verhaltens des C

 

IV. § 826 BGB

(-), wie oben

  

Frage 2: I (für B) gegen C auf Schadensersatz

A. Forderungsberechtigung des I

(+); Arg.: § 80 InsO

 

B. Ansprüche gegen C

I. § 823 I BGB

  1. Rechtsgutsverletzung Hier: Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (s.o.)

  2. Verletzungsverhalten
    Hier: Einfügen der Überschrift und der Bebilderung

  3. Zurechnung (+)

  4. Rechtswidrigkeit
    -> Interessenabwägung (vgl. auch § 193 StGB):

  • Berufsfreiheit, Art. 12 I GG, bzw. Eigentumsgarantie, Art. 14 GG (Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb) auf Seiten der B

  • Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG bzw. Pressefreiheit, Art. 5 I 2 GG, auf Seiten des C.

Hier: „Liquidität gefährdet“ mit Bild der Geschäftszentrale der B weist keinen Bezug zum eigentlichen Inhalt des Artikels (private Liquiditätsprobleme des G) auf. Außerdem: Keine Anhaltspunkte für tatsächliche Liquiditätsprobleme der B, insbesondere kein Einschreiten der Bankenaufsicht.

  1. Verschulden des C (+)

  2. Rechtsfolge: Schadensersatz

  • Jeder kausal-adäquate Schaden
    Hier: alle Schäden, die dadurch entstanden sind, dass die alarmierten Kunden ihr Geld abgehoben haben und die B in der Folge Insolvenz anmelden musste. Höhe nicht bekannt.

 

  1. Kein Ausschluss (+)

  2. Ergebnis: (+)

 

II. § 823 II BGB i.V.m. §§ 186, 187 StGB

  1. Verletzung eines Schutzgesetzes

a) Üble Nachrede, § 186 StGB

aa) Tatsache in Bezug auf einen Dritten
= Umstände, die dem Beweise zugänglich sind. Abgr.: Meinung = jedes Werturteil
Hier: „Liquidität gefährdet“ wohl Tatsachenbehauptung

bb) Behaupten oder Verbreiten (+) 

cc) Vorsatz (+)

dd) Objektive Bedingung der Strafbarkeit: Nichterweislichkeit der Wahrheit
Hier: Keine Anhaltspunkte für tatsächliche Liquiditätsgefährdung der B

ee) Ergebnis: (+)

b) Verleumdung, § 187 StGB

aa) Tatsache in Bezug auf einen Dritten (+)

bb) Behaupten oder Verbreiten (+)

cc) Vorsatz

dd) Wider besseres Wissen bzgl. der Unwahrheit der Behauptung
Hier: wohl kein sicheres Wissen bei C.

ee) Ergebnis: (-)

  1. Rechtswidrigkeit
    -> Interessenabwägung (s.o.) 

  2. Verschulden (+)

  3. Rechtsfolge: Schadensersatz (+)

  4. Kein Ausschluss (+) 

  5. Ergebnis: (+)

 

III. Kreditgefährdung, § 824 BGB

  1. Behauptung einer unwahren Tatsache
    (+), s.o.

  2. Eignung zur Kreditgefährdung (+) 

  3. Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis bzgl. Unwahrheit
    Hier: zumindest fahrlässige Unkenntnis des C

  4. Rechtsfolge: Schadensersatz (+)

  5. Kein Ausschluss (+)

  6. Ergebnis: (+)

IV. § 826 BGB

  1. Schadenszufügung (+)

  2. Sittenwidrigkeit
    Hier: „Liquidität gefährdet“ wohl Verstoß gegen Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.

  3. Schädigungsvorsatz
    Hier: Schädigung der B wohl zumindest billigend in Kauf genommen (abweichende Subsumtion vertretbar). 

  4. Ergebnis: (+)

V. Konkurrenzen
Zwischen den §§ 823 I, II, 824, 826 BGB besteht Anspruchskonkurrenz. Sie können also neben einander geltend gemacht werden.

 

Frage 3: I (für B) gegen V-AG auf Schadensersatz

A. §§ 823 I, II, 824, 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog

I. Anwendbarkeit (Analogievoraussetzungen)
(+); Arg.: eingetragener Verein und Aktiengesellschaften sind jeweils Körperschaften und daher vergleichbar.

II. Voraussetzungen des § 31 BGB

  1. Zum Schadensersatz verpflichtende Handlung eines Organs
    Hier: §§ 823 I, II, 824, 826 BGB durch Chefredakteur C (s.o.).

  2. In Ausführung (+)

III. Ergebnis: (+)

 

*B.***§ 831 BGB**bzgl. C

I. Verrichtungsgehilfe
Hier: C wohl weisungsgebunden

II. Unerlaubte Handlung des C
(+), s.o.

III. In Ausführung

IV. Verschulden der V-AG bzgl. Auswahl und Überwachung des C
(+); Arg.: Vermutet, keine Exkulpation

V. Rechtsfolge: Schadensersatz (+) 

VI. Kein Ausschluss (+)

VII. Ergebnis: (+)

 

C. § 831 BGB bzgl. R

(-); Arg.: Keine unerlaubte Handlung des R.

 

Frage 4: G gegen C auf Schadensersatz

A. § 823 I BGB

I. Rechtsgutsverletzung

  • Eigentum (-); Arg.: nicht betroffen

  • Vermögen (-); Arg.: nicht geschützt

  • Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (-); Arg.: Bank nicht Gewerbebetrieb des G

  • Sonstige absolute Rechtsgüter (-); Arg.: nicht ersichtlich

II. Ergebnis: (-)

 

B. § 823 II BGB;**** § 186 StGB

I. § 186 StGB bzgl. G selbst (-)

II. § 186 StGB bzgl. B
(+),aber: „Schutzzweck der Norm“ – geschützt werden soll nur der unmittelbar Betroffene, und nicht etwa G.

III. Ergebnis: (-)

 

C. § 824 BGB(-); Arg.: Schutzzweck der Norm – geschützt werden soll nur derjenige, über den kreditgefährdende Behauptungen aufgestellt werden, und nicht etwa G.

D. Ergebnis: (-)

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