A. Sachverhalt
Der Kläger stand am 23. Juni 2011 zusammen mit mehreren Jugendlichen vor dem Hauptbahnhof in Trier neben der Treppe des Haupteingangs zur Bahnhofshalle und unterhielt sich mit ihnen. Gegen 17:50 Uhr forderten zwei Beamte der Bundespolizei den Kläger und die Jugendlichen zur Vorlage ihrer Ausweise auf. Anhand der Ausweise führten sie mithilfe eines Funkgerätes einen Datenabgleich durch. Dabei wurde festgestellt, dass zu einer Person Erkenntnisse älteren Datums als Betäubungsmittelkonsument vorlagen. Die von ihr mitgeführten Sachen wurden daraufhin in Augenschein genommen, ohne etwas festzustellen. Zu dem Kläger und den anderen Personen lagen keine Erkenntnisse über Handel oder Konsum von Betäubungsmitteln vor. Zu einer Person bestand eine Sachfahndung. Anschließend erhielten alle Personen ihren Ausweis zurück.
Der Kläger, der sich regelmäßig am Trierer Hauptbahnhof aufhält, begehrt mit der am 7. Oktober 2011 erhobenen Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen ihn ergriffenen polizeilichen Maßnahmen.
B. Die Entscheidung des BVerwG (Urt. v. 28.5.2014, Az. 6 C 4.13)
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
Der Kläger wendet sich gegen Maßnahmen der Bundespolizei, deren Rechtmäßigkeit sich nach den Vorschriften des BPolG, insbesondere §§ 23, 34 BPolG, richtet; dabei handelt es sich um Vorschriften, die Beamten der Bundespolizei Eingriffsbefugnisse verleihen. Es liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I VwGO eröffnet.
I. Zulässigkeit
Im Rahmen der Zulässigkeit ist zwischen den Maßnahmen zu differenzieren.
Bei der Identitätsfeststellung handelt es sich um einen Verwaltungsakt; dessen Regelungsgehalt ist nach Durchführung der Maßnahme entfallen, er hat sich lange vor Klageerhebung „erledigt“ (vgl. § 43 II VwVfG). Eine Anfechtungsklage gem. § 42 I VwGO kommt daher nicht mehr in Betracht; statthafte Klageart ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG vielmehr die Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 I 4 VwGO. Diese Form der Fortsetzungsfeststellungsklage erfordert nach Ansicht der Rechtsprechung weder ein Vorverfahren, noch ist sie an die Klagefristen der §§ 74 I, 58 II VwGO gebunden, soweit sich der Verwaltungsakt – wie hier – vor Ablauf der Widerspruchsfrist (§ 70 VwGO) erledigt hat.
Dem Datenabgleich fehlt es hingegen an einem Regelungsgehalt; ein Verwaltungsakt liegt nicht vor, sondern eine rein tatsächliche Maßnahme. Insoweit ist die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO statthaft.
Eine Klagebefugnis analog § 42 II VwGO liegt vor. Der Kläger war Adressat der Maßnahmen. Zudem steht ihm ein (Fortsetzungs)Feststellungsinteresse iSv §§ 113 I 4, 43 VwGO zu; er hält sich regelmäßig am Hauptbahnhof auf, sodass jedenfalls eine Wiederholungsgefahr besteht.
II. Begründetheit
Die (Fortsetzungs)Feststellungsklage ist begründet, soweit die angegriffenen Maßnahmen rechtswidrig waren.
1. Identitätsfeststellung
Rechtsgrundlage könnte § 23 I Nr. 1 BPolG sein. Voraussetzung ist jedenfalls, dass die Bundespolizei sachlich zuständig war:
„Nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BPolG kann die Bundespolizei die Identität einer Person zur Abwehr einer Gefahr feststellen. Die notwendigen Maßnahmen, um eine Gefahr abzuwehren, kann die Bundespolizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach den §§ 1 bis 7 BPolG treffen. Da sie als Bahnpolizei tätig geworden ist, müssten die Voraussetzungen für ihre sachliche Zuständigkeit nach § 3 BPolG vorgelegen haben. Nach § 3 Abs. 1 BPolG hat die Bundespolizei die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, die den Benutzern, den Anlagen oder dem Betrieb der Bahn drohen oder beim Betrieb der Bahn entstehen oder von den Bahnanlagen ausgehen. Voraussetzung für die Zuständigkeit der Bundespolizei ist demnach mindestens, dass der Einsatzort sich „auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes“ befindet.“
Fraglich ist also, ob die Bundespolizisten auch auf vor dem Hauptbahnhof zuständig waren. Der Begriff der Bahnanlagen bestimmt sich nach § 4 I der Einsenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO):
„Bahnanlagen sind danach alle Grundstücke, Bauwerke und sonstigen Einrichtungen einer Eisenbahn, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind. Dazu gehören auch Nebenbetriebsanlagen sowie sonstige Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern. Es gibt Bahnanlagen der Bahnhöfe, der freien Strecke und sonstige Bahnanlagen. Fahrzeuge gehören nicht zu den Bahnanlagen. Gemeinsames Kriterium für die (objektive) Zugehörigkeit zur Bahnanlage ist - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse die sog. Eisenbahnbetriebsbezogenheit, d.h. die Verkehrsfunktion und der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb (Urteil vom 27. November 1996 - BVerwG 11 A 2.96 - BVerwGE 102, 269 <274 f.>, juris Rn. 21). Als „Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern“ (§ 4 I 2 EBO) sind danach nur solche Flächen im Vorfeld eines Bahnhofs einzustufen, bei denen objektive, äußerlich klar erkennbare, d.h. räumlich präzise fixierbare, Anhaltspunkte ihre überwiegende Zuordnung zum Bahnverkehr im Unterschied zum Allgemeinverkehr belegen.“
Unter Hinweis auf § 4 I 2 EBO hatte das Berufungsgericht die sachliche Zuständigkeit der Bundespolizei bejaht:
„Nach dem neu eingefügten Satz 2 des § 4 I EBO ist es aber nunmehr ausreichend, dass die Anlage den Zu- und Abgang ermöglicht oder fördert. Demnach gehört ein Bahnhofsplatz insoweit zu den Bahnanlagen, als er den Zu- und Abgang ermöglicht oder fördert.
Hierzu zählt allerdings - jedenfalls bei größeren Plätzen - nicht der gesamte Bereich des Bahnhofsvorplatzes (so aber wohl Lampe, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: April 2012, § 4 EBO Rn. 1 und § 62 EBO Rn. 1; Heesen/Hönle/Peilert/Martens, Bundespolizeigesetz, VwVG, UZwG, 5. Auflage 2012, § 3 BPolG Rn. 23; Martens, Die Polizei, 2010, 48; VG Magdeburg, Urteil vom 20. Dezember 2006 - 8 A 13/06 -, juris, Rn. 20). Da für die Zugehörigkeit zur Bahnanlage die sogenannte Eisenbahnbetriebsbezogenheit maßgeblich ist, das heißt die Verkehrsfunktion und der räumliche Zusammenhang mit dem Eisenbahnbetrieb (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 1996, a.a.O.), kann nur der Bereich eines Bahnhofsvorplatzes zu den Bahnanlagen gehören, der in unmittelbarer Nähe des Eingangs zur Bahnhofshalle liegt (ähnlich Möllers, Wörterbuch der Polizei, 2. Auflage 2010, S. 219). Nur insoweit ist ein Bahnhofsvorplatz nach seiner Funktion und dem räumlichen Zusammenhang eisenbahnbetriebsbezogen. Denn nur bei Personen, die sich in diesem Bereich, das heißt in unmittelbarer Nähe des Eingangs zur Bahnhofshalle aufhalten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass sie auf dem Weg zu oder von dem Bahnhof sind. Allein dieser Bereich eines Bahnhofsvorplatzes ermöglicht oder fördert daher den Zu- und Abgang. Bezöge man den gesamten Bahnhofsvorplatz in den Begriff der Bahnanlage ein, wäre zumindest bei einem großen Vorplatz für den Bürger nicht mehr ohne Weiteres erkennbar, wo die Zuständigkeit der Bundespolizei endet.
Im vorliegenden Fall erfolgte die Identitätsfeststellung direkt neben der Treppe, die zum Haupteingang in die Bahnhofshalle führt, und damit in dem Bereich des Bahnhofsvorplatzes, der zu den Bahnanlagen gehört. Hierfür waren die Beamten der Bundespolizei mithin sachlich zuständig.“ (OVG Koblenz, Urt. v. 24.1.2013, Az. 7 A 10816/12.OVG)
Dem tritt das BVerwG entgegen:
„Ein Bahnhofsvorplatz beginnt, wo das Bahnhofsgebäude endet. Er ist genauso der Platz vor dem Bahnhof, wie er eine sonstige Verkehrsfläche in der jeweiligen Gemeinde ist. Dementsprechend ist er nicht nur „eisenbahnbetriebsbezogen“, sondern bezieht sich auch auf den sonstigen Verkehr auf dem Gemeindegebiet. Für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf einer solchen Fläche ist, sofern nicht in der vorbezeichnet erwähnten Weise Anhaltspunkte die überwiegende Zuordnung zum Bahnverkehr belegen, nicht eine Sonderpolizei des Bundes zuständig, sondern die nach Landesrecht zu bestimmende Gefahrenabwehrbehörde. Dem Ansatz des Oberverwaltungsgerichts, in „unmittelbarer Nähe des Eingangs zur Bahnhofshalle“ liegende Bereiche von Bahnhofsvorplätzen in den Bahnanlagenbegriff einzubinden, folgt der Senat nicht. Er erweist sich als nicht hinreichend trennscharf. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Bundespolizei als Bahnpolizei auch auf Flächen eingesetzt wird, die rechtlich nicht zum Gebiet der Eisenbahnen des Bundes gehören. Dann muss die Zuständigkeit aber kooperationsrechtlich nach § 65 I BPolG ermöglicht werden. Dafür ist vorliegend nichts erkennbar. Oder es müssen die Voraussetzungen einer Nachteile nach § 58 III BPolG gegeben sein; auch an diesen Voraussetzungen fehlte es offensichtlich im streitgegenständlichen Fall.“
2. Datenabgleich
„Die Rechtmäßigkeit des Datenabgleichs nach § 34 I 1 Nr. 2 bzw. Satz 2 BPolG beurteilt sich nach den entsprechenden Gesichtspunkten wie diejenige der Identitätsfeststellung. Die Bundespolizei kann personenbezogene Daten mit dem Inhalt von Dateien abgleichen, die sie zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben führt oder für die sie Berechtigung zum Abruf hat, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass dies zur Erfüllung einer sonstigen Aufgabe der Bundespolizei erforderlich ist (Satz 1 Nr. 2), und sie kann ferner im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung erlangte personenbezogene Daten mit dem Fahndungsbestand abgleichen (Satz 2). Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist aber die sachliche Zuständigkeit der Bundespolizei als Bahnpolizei nach § 3 BPolG, die hier nicht gegeben war.“
C. Fazit
Eine lehrreiche Entscheidung. Sie gibt Anlass zur Wiederholung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Fortsetzungsfeststellungsklage; zudem enthält sie ein prüfungstaugliches Auslegungsproblem.
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