BVerwG: Radfahren unter Alkoholeinfluss kann Anordnung einer MPU rechtfertigen

K, die keine Fahrerlaubnis besitzt und eine solche auch nicht erwerben möchte, wurde durch rechtskräftiges Urteil wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,9 Promille im Straßenverkehr Fahrrad gefahren war. Die zuständige Behörde fordert die K daraufhin auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über ihre Eignung zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge beizubringen. Dem kam K nicht nach. Infolge dessen untersagte ihr die zuständige Behörde, Fahrzeuge aller Art auf öffentlichem Verkehrsgrund zu führen.

Ihre nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen; ihre Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. K wendet sich jetzt gegen die Nichtzulassung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof.

Das BVerwG (Beschl. v. 20.6.2013, Az. 3 B 102. 12) weist die Nichtzulassungsbeschwerde der K zurück. Es nimmt an, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. §§ 133, 132 II Nr. 1 VwGO aufweise.

Rechtsgrundlage für die Untersagung ist § 3 I FeV.

Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde jemandem das Führen von Fahrzeugen zu untersagen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen erweist.

Nach § 11 VIII FeV, der über § 3 II FeV entsprechende Anwendung findet, darf die Behörde auf die Nichteignung der Betroffenen schließen, wenn diese das von der Behörde geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss auf die Nichteignung ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Das hatte das BVerwG bereits zu § 15b StVZO a.F. vertreten und im Jahre 2005 auf die Anwendung der FeV übertragen:

„Diese Voraussetzungen hat das BVerwG zu § 15b StVZO a.F. entwickelt (vgl. BVerwGE 71, 93 = NJW 1985, 2490; BVerwG, Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 28 = NZV 1998, 300; Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 29 S. 3 = NJW 2002, 78). Sie sind auch bei der Anwendung der Fahrerlaubnis-Verordnung zu beachten (vgl. Hentschel, StraßenverkehrsR, 37. Aufl. [2003], § 11 FeV Rdnr. 24; Jagow, in: Jagow/Burmann/Heß, StraßenverkehrsR, 17. Aufl. [2002], § 3 StVG Rdnr. 7e). Der Verordnungsgeber hat in der Begründung zu § 11 VIII FeV ausdrücklich auf die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung des BVerwG Bezug genommen (BR-Dr 443/98, S. 257).“ (BVerwG NJW 2005, 3081)

Damit stellt sich die Frage, ob die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, ihrerseits rechtmäßig war. Rechtsgrundlage ist § 3 II i.V.m. § 13 1 Nr. 2 lit. c) FeV. Gemäß § 3 II FeV, der seine Ermächtigungsgrundlage in § 6 I Nr. 1 lit. y) StVG hat, finden die Vorschriften der §§ 11 bis 14 entsprechend Anwendung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist. Nach § 13 1 Nr. 2 lit. c) FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde. Das gilt nach h.Rspr. nicht nur im Hinblick auf die Überprüfung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, sondern auch im Hinblick auf die Überprüfung der Eignung zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen. So hat etwa der Bayerische VGH im Jahre 2009 ausgeführt:

„Die Gefahren, die von dem Führer eines erlaubnisfreien Fahrzeugs ausgehen, mögen zwar geringer einzustufen sein als diejenigen, die ungeeignete Kraftfahrer verursachen, die erlaubnispflichtige Fahrzeuge führen. Sie sind aber erheblich genug, um die entsprechende Anwendung der Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV für gerechtfertigt zu halten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist (§ 3 II FeV). Ebenso wenig unterliegt es Bedenken, dass die Fahrerlaubnisbehörde das Führen von Fahrzeugen untersagen, beschränken oder die erforderlichen Auflagen anordnen kann, wenn sich der Betreffende als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist (§ 3 I FeV). Es liegt auf der Hand, dass Verkehrsunfälle, die ungeeignete Fahrer erlaubnisfreier Fahrzeuge verursachen, ebenfalls mit schwerwiegenden Folgen für Gesundheit und Leben anderer Verkehrsteilnehmer verbunden sein können. Dabei ist zu beachten, dass die Teilnahme am Straßenverkehr unter erheblicher Alkoholisierung mit jedem Fahrzeug eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bedeutet. Diese Einschätzung liegt auch § 316 StGB zugrunde, der nicht nur die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug unter Strafe stellt. Die Anwendung des § 3 I und II i.V.m. § 13 1 Nr. 2 lit. c) FeV im Fall der Klägerin verstößt deshalb weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG noch gegen das Übermaßverbot.“ (Bayerischer VGH, Beschl. v. 22.10.2009, Az. 11 ZB 09.382)

Damit liegen die Voraussetzungen des § 13 FeV grds. vor. Die K ist rechtskräftig wegen § 316 I, II StGB verurteilt worden, weil sie mit 1,9 Promille ein Fahrrad im Straßenverkehr geführt hat.

K hat zunächst geltend gemacht, dass ihre Verurteilung zu Unrecht erfolgt sei, da sie gar nicht mit dem Rad gefahren sei, sondern dieses nur geschoben habe. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG muss sich ein Betroffener aber rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidungen oder bestandskräftige Bußgeldentscheidungen gegen sich gelten lassen, wenn nicht gewichtige Anhaltspunkte für ihre Unrichtigkeit existieren. Letzteres ist hier nicht der Fall.

K hat überdies geltend gemacht, dass der Verweis in § 3 II FeV auf §§ 11 bis 14 FeV nicht für sie gelten könne, weil sie erstmals unter Alkoholeinfluss auffällig geworden sei und niemals im Besitz einer Fahrerlaubnis war und eine solche auch nicht erwerben wolle. Dieses Argument verwirft das BVerwG:

„Die Beantwortung dieser auf ihren entscheidungserheblichen Kern reduzierten Frage kann jedoch nicht zum Erfolg der Beschwerde führen; denn es liegt auf der Hand und bedarf zur Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, dass auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad mit einer Blutalkoholkonzentration von 1, 6 Promille und mehr die Vorlage eines solchen Gutachtens verlangt werden darf.

Nach § 3 II FeV finden die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeuges oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist. Mit der Anordnung der entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften sollen nicht die Voraussetzungen, unter denen nach § 13 1 Nr. 2 lit. c) FeV ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, relativiert werden. Dass die §§ 11 bis 14 FeV nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend anwendbar sein sollen, erklärt sich ebenso wie bei der Verweisung in § 46 III FeV zwanglos daraus, dass unter Abschnitt II. 2. der Fahrerlaubnis-Verordnung und damit auch in den §§ 11 bis 14 FeV die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis geregelt werden, während § 3 II FeV die Führer von Fahrzeugen aller Art - also auch erlaubnisfreier Fahrzeuge - betrifft und § 46 FeV den Inhaber einer Fahrerlaubnis, also jemanden, dem die Fahrerlaubnis bereits erteilt worden ist. Mit der Verweisung auf die §§ 11 bis 14 FeV sollte der Regelungsgehalt dieser Vorschriften auch auf diese Fälle erstreckt werden, allerdings naturgemäß nur insoweit, als sie ihrem Wortlaut nach anwendbar sind, übertragen auf die hier betroffene Führerin eines Fahrrads also nur insoweit, als die in Bezug genommenen Regelungen ihrem Inhalt nach nicht das Führen eines Kraftfahrzeuges voraussetzen.

Der hier maßgebliche § 13 1 Nr. 2 lit. c.) FeV schreibt vor, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1, 6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0, 8 mg/l oder mehr geführt wurde. Die Vorschrift differenziert also nicht nach Fahrzeugarten, sodass sie - wie der Senat bereits entschieden hat - nicht das Führen eines Kraftfahrzeuges voraussetzt (Urteil vom 21. Mai 2008 - BVerwG 3 C 32. 07 – BVerwGE 131, 163 Rn. 10). Demgemäß gilt die Bestimmung aufgrund der Verweisung in § 3 II FeV auch für Fahrradfahrer, ohne dass sie eine Fahrerlaubnis beantragt haben oder Inhaber einer solchen Erlaubnis sein müssen. Dies gebietet auch Sinn und Zweck der Norm. Die bisher dazu ergangenen Entscheidungen der Obergerichte weisen - mit einer, jedoch inzwischen korrigierten Ausnahme - übereinstimmend und zu Recht darauf hin, dass die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand mit jedem Fahrzeug eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt und der Gesetzgeber diese Einschätzung teilt, indem er die Trunkenheitsfahrt mit jedem Fahrzeug in § 316 StGB unter Strafe stellt (so neben dem Berufungsgericht: VGH Kassel, Urteil vom 6. Oktober 2010 - 2 B 1076/10 - juris Rn. 10; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Februar 2011 - OVG 1 S 19. 11, OVG 1 M 6. 11 - juris Rn. 6; OVG Bautzen, Beschluss vom 31. Januar 2011 - 3 B 226/10 - juris Rn. 5; OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. April 2008 - 12 ME 35/08 - juris Rn. 7; inzwischen auch OVG Koblenz, Urteil vom 17. August 2012 - 10 A 10284/12 - juris Rn. 24f., unter Änderung seiner früheren Rechtsprechung [Beschluss vom 25. September 2009 - 10 B 10930/09 - juris], soweit - wie hier - eine Blutalkoholkonzentration von 1, 6 Promille oder mehr erreicht worden ist). Da eine festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1, 6 Promille oder mehr den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs begründet, muss daher schon aus Gründen der Gefahrenabwehr den Eignungszweifeln nachgegangen werden, gleichgültig, welches Fahrzeug geführt worden ist und unabhängig davon, ob der Fahrzeugführer Inhaber einer Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ist oder eine solche Erlaubnis anstrebt. Insoweit finden die Grundrechte des Betroffenen, auf die sich die Klägerin in den Vorinstanzen berufen hat, ihre Grenzen in den Rechten Dritter, insbesondere in dem Recht der übrigen Verkehrsteilnehmer auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die zu schützen der Staat aufgerufen ist.“

Schließlich trägt die K vor, dass eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß gegen Art. 3 I GG vorliege, da Fahrer von Inline-Skates und Rollern nicht von der FeV erfasst seien und diesen somit – anders als Radfahrern – keine Maßnahmen nach der FeV drohen.

Doch auch dieses Argument vermag das BVerwG nicht zu überzeugen:

 „Da Roller und Inline-Skates nach § 24 I 1 und 2 StVO keine Fahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung sind und für den Verkehr mit diesen Fortbewegungsmitteln die Vorschriften für den Fußgängerverkehr entsprechend gelten, hat der Verwaltungsgerichtshof insoweit § 3 II FeV zu Recht für unanwendbar erklärt; denn es liegt auf der Hand, dass der Fahrzeugbegriff der Straßenverkehrsordnung derselbe ist, wie der der - ebenfalls dem Straßenverkehrsrecht zugehörigen - Fahrerlaubnis-Verordnung. Daraus folgt zugleich, dass § 13 1 Nr. 2 lit. c) FeV auf Personen, die sich dieser Fortbewegungsmittel bedienen, keine Anwendung findet.

Ob darin - wie die Klägerin geklärt wissen möchte - eine nicht zu rechtfertigende und daher gegen Art. 3 I GG verstoßende Ungleichbehandlung gegenüber Fahrradfahrern liegt, könnte in einem Revisionsverfahren dahingestellt bleiben; denn selbst wenn die Benutzung dieser Fortbewegungsmittel in alkoholisiertem Zustand vergleichbare Gefahren für den Straßenverkehr begründen sollte, würde das nicht dazu führen, dass die zur Wahrung der Verkehrssicherheit vorgenommene Beschränkung der Rechte von Fahrradfahrern rechtswidrig wäre, sondern allenfalls dazu, dass die in Rede stehenden Regelungen auf die Benutzer solcher Fortbewegungsmittel erstreckt werden müssten.“

Eine Entscheidung, die insbesondere für das Assessorexamen von Bedeutung sein dürfte und Anlass bietet, sich in der Examensvorbereitung jedenfalls einmal etwas vertiefter mit der überaus praxisrelevanten FeV auseinanderzusetzen.