BGH zur Strafbarkeit eines Gerichtsvollziehers wegen Untreue

G ist als Gerichtsvollzieher tätig. Er treibt Zahlungen von Schuldnern ein, leitet diese aber entweder überhaupt nicht oder lediglich teilweise an die jeweiligen Zahlungsempfänger weiter. In anderen Fällen leistet er verspätete Auszahlungen an die Gläubiger, oft erst nach Sachstandsanfragen oder Dienstaufsichtsbeschwerden. Er stellt Gläubiger, die - berechtigt oder unberechtigt - “Druck” machen, durch Zahlungen ruhig, obwohl der jeweils betreffende Schuldner nicht gezahlt oder er die Vollstreckung noch gar nicht begonnen hatte. Für diese Auszahlungen verwendet G Zahlungseingänge von Schuldnern, die zur Weiterleitung an andere Gläubiger bestimmt sind. Hieraus entwickelt sich eine Art “Schneeballsystem”, da die Auszahlung an den Gläubiger, dessen Schuldner tatsächlich gezahlt hatte, unter Verwendung der für andere Empfänger bestimmten Zahlungseingänge nachgeholt und die Einzahlungen in der Verfahrensakte verschleiert werden muss.

Zum 1. Juli 2009 wird der Angeklagte auf seinen Antrag in den Innendienst versetzt. Auch danach - und noch nach Schließung seines Dienstkontos im Januar 2010 - tritt der Angeklagte in Vollstreckungsverfahren, die er bereits vor seiner Versetzung eingeleitet hatte, weiterhin als Gerichtsvollzieher auf und vereinnahmt Zahlungen von Schuldnern, die er aber nicht an die Gläubiger weiterleitet, sondern seinem „Schnellballsystem“ zuführt.

Hat G sich auch nach Versetzung in den Innendienst der Untreue gemäß § 266 StGB schuldig gemacht?

Der BGH (Beschl. v. 14.8.2013, Az. 4 StR 255/13) sagt: Ja.

In Betracht kommt einzig der sog. Treubruchtatbestand (§ 266 I, 2. Var. StGB). Dazu müsste G zunächst eine ihm obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt haben.

Bereits im Jahre 2011 hat der BGH entschieden, dass einem Gerichtsvollzieher eine kraft Gesetzes bestehende Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Gläubigern obliegt:

„a) Den Gerichtsvollzieher trifft kraft seiner gesetzlichen Stellung als Vollstreckungsorgan gemäß §§ 753 ff. ZPO im Rahmen des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Gläubigern (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. Oktober 1959 -1 StR 466/59, BGHSt 13, 274; RGSt 71, 31). Zwar handelt der Gerichtsvollzieher hoheitlich und wird nicht als Vertreter des Gläubigers tätig (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 753 Rn. 4). Die Zwangsvollstreckung dient aber den Gläubigerinteressen. Sie erfordert als verfahrenseinleitende Prozesshandlung einen Antrag des Gläubigers. Damit bestimmt der Gläubiger Beginn, Art und Ausmaß des Vollstreckungszugriffs. Er hat die Herrschaft über seinen vollstreckbaren Anspruch und bleibt somit auch “Herr” seines Verfahrens (Zöller/Stöber aaO Vor § 704 Rn. 19). Zudem hat der Gerichtsvollzieher die Vorschriften der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) zu beachten (vgl. Zöller/Stöber aaO § 753 Rn. 4). Deren Einhaltung gehört nach § 1 IV GVGA [= § 1 S. 4 GVGA n.F.] zu den Amtspflichten des Gerichtsvollziehers.

Nach § 58 Nr. 1 GVGA handelt der Gerichtsvollzieher bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig. Er hat gemäß § 58 Nr. 2 GVGA [= § 31 II GVGA n.F.] die Weisungen des Gläubigers insoweit zu berücksichtigen, als sie mit den Gesetzen oder der Geschäftsanweisung nicht in Widerspruch stehen. Insbesondere hat der Gerichtsvollzieher nach § 106 Nr. 6 GVGA [= § 60 I 6 GVGA n.F.] die empfangene Leistung und nach § 138 Nr. 1 GVGA [= § 89 I 1 GVGA n.F.] bzw. § 170 GVGA [= § 119 GVGA n.F.] gepfändetes oder ihm gezahltes Geld nach Abzug der Vollstreckungskosten unverzüglich an den Gläubiger abzuliefern.“ (BGH, Beschl. v. 7.1.2011, Az. 4 StR 409/10)

Fraglich ist allerdings, ob den G auch noch eine Vermögensbetreuungspflicht oblag, nachdem er in den Innendienst versetzt worden war. Der BGH bejaht ein Treueverhältnis tatsächlicher Art:

„a) … Zwar erlischt grundsätzlich die Vermögensbetreuungspflicht zugleich mit dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis; diese geht nicht von selbst in ein Treueverhältnis tatsächlicher Art über (BGH, Urteil vom 15. Mai 1990 - 5 StR 594/89, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 13, für nachfolgende Gefälligkeitsleistungen aufgrund enger persönlicher Bekanntschaft; Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 266 Rn. 62 mwN; SSW-StGB/ Saliger, § 266 Rn. 27). Anders verhält es sich jedoch, wenn erloschene Rechtsverhältnisse vermögensfürsorglicher Art - auch einseitig - unter Wahrnehmung der eingeräumten Herrschaftsposition fortgesetzt werden (Schünemann und Saliger, jew. aaO; Wittig in BeckOK, StGB, § 266 Rn. 27) und somit ein enger sachlicher Zusammenhang mit der zunächst begründeten Vermögensbetreuungspflicht besteht (BGH, Urteil vom 14. Juli 1955 - 3 StR 158/55, BGHSt 8, 149, 150; einschr. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 266 Rn. 34). …

b) So liegt es auch hier in den Fällen, in denen der Angeklagte noch nach Versetzung in den Innendienst tätig geworden ist. Mit seiner Vollstreckungstätigkeit hatte er stets bereits vor diesem Zeitpunkt begonnen. Er trat weiterhin als Gerichtsvollzieher auf. Bei Anschreiben verwendete er unverändert einen Briefkopf, in dem er als Gerichtsvollzieher bezeichnet wurde; auch führte er bis Januar 2010 sein Dienstkonto fort, auf das in mehreren Fällen noch Zahlungen eingingen. Insoweit hat der Herrschaft des Angeklagten an den vereinnahmten Beträgen ein Treueverhältnis (nunmehr) tatsächlicher Art zugrunde gelegen; in allen Fällen hat die fortbestehende Vermögensbetreuungspflicht ihre Grundlage in dem Amt des Gerichtsvollziehers gefunden, welches der Angeklagte bei Aufnahme der jeweiligen Vollstreckung noch innehatte. Der enge sachliche Zusammenhang zeigt sich insbesondere auch darin, dass der Angeklagte die durch die Aufnahme der Vollstreckungstätigkeit gegenüber den Schuldnern geschaffene Lage ausgenutzt hat (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 1955 aaO).“

Indem G die eingehenden Zahlungen nicht an die (richtigen) Gläubiger weiterleitete, sondern seinem „Schnellballsystem“ zuführte, hat er seine oben bereits näher beschriebene Vermögensbetreuungspflicht verletzt.

Schließlich müsste den Gläubigern ein Nachteil entstanden sein. Das wäre jedenfalls dann der Fall, wenn die Gläubiger sich nun nicht mehr an ihre Schuldner halten könnten, nachdem das von ihnen (den Schuldnern) gezahlte Geld von G anderweitig verwendet wurde. Auch dazu hatte der BGH bereits im Jahre 2011 ausgeführt:

„Die Forderung des jeweiligen Gläubigers ist zwar nicht bereits durch die Zahlung des jeweiligen Vollstreckungsschuldners an den Angeklagten als Gerichtsvollzieher im Sinne des § 362 BGB teilweise erfüllt worden. Die Erfüllungswirkung gemäß § 362 BGB tritt bei Zahlung erst ein, wenn der Gerichtsvollzieher das empfangene Geld an den Gläubiger weitergeleitet hat. Fehlt es hieran, ist die beizutreibende Forderung nicht durch Erfüllung erloschen (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 - III ZR 115/08, MDR 2009, 466; Zöller/Stöber aaO § 754 Rn. 6). § 362 II BGB i. V. m. § 185 BGB ist nicht anwendbar, weil die Rechtsstellung des Gerichtvollziehers gemäß § 754 ZPO nicht auf einem bürgerlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zum Gläubiger, sondern auf seiner Stellung als auch im Bereich der Entgegennahme freiwilliger Zahlungen hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung beruht.

Auf freiwillige Zahlungen des Schuldners an den Gerichtsvollzieher ist aber § 815 III ZPO analog anwendbar (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 - III ZR 115/08, MDR 2009, 466, 467; Zöller/Stöber aaO § 754 Rn. 6; Musielak/Becker, ZPO, 7. Aufl., § 815 Rn. 5). Nach der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur wird § 815 III ZPO nicht als Erfüllungsfiktion, sondern als eine von § 270 BGB abweichende Regelung über die Gefahrtragung verstanden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 - III ZR 115/08 aaO; Urteil vom 30. Januar 1987 - V ZR 220/85, ZZP 102, 366; Zöller/Stöber aaO § 815 Rn. 2; Musielak/Becker aaO § 815 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 815 Rn. 14). Der Schuldner ist bei freiwilliger Leistung unter dem Druck drohender Pfändung ebenso schutzwürdig wie bei der Wegnahme (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 - III ZR 115/08 aaO; Musielak/Becker aaO § 815 Rn. 5). Dieser Schutz des Schuldners trägt dem Umstand Rechnung, dass er auf den weiteren Verfahrensablauf keinen Einfluss nehmen kann (Münch- KommZPO/Gruber aaO § 815 Rn. 14). Verwendet der Gerichtsvollzieher das Geld nicht entsprechend den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften, trägt der Gläubiger somit die Gefahr. Er kann den Schuldner nicht nochmals in Anspruch nehmen.“ (BGH, Beschl. v. 7.1.2011, Az. 4 StR 409/10)

Somit hat G den Tatbestand des § 266 I, 2. Var. StGB erfüllt.

Das LG hatte angenommen, dass G sich wegen Untreue in einem besonders schweren Fall strafbar gemacht hat, weil er – auch nach Versetzung in den Innendienst – seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht und damit das Regelbeispiel der §§ 266 II, 263 III 2 Nr. 4 StGB erfüllt habe. Dem tritt der BGH indes entgegen:

„Ein Missbrauch in diesem Sinne liegt vor, wenn der Amtsträger vorsätzlich rechtswidrig, insbesondere vorsätzlich ermessenswidrig handelt. “Befugnisse” werden missbraucht, wenn der Amtsträger innerhalb seiner an sich gegebenen Zuständigkeit handelt; Missbrauch der “Stellung” meint Handlungen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs, aber unter Ausnutzung der durch das Amt gegebenen Handlungsmöglichkeiten (Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 301 mwN; Hefendehl in MüKoStGB, § 263 Rn. 782; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 263 Rn. 221, § 264 Rn. 47). In allen Fällen knüpft der Straferschwerungsgrund somit an den Missbrauch des tatsächlich innegehabten Amtes an; die bloße Vorgabe einer Amtsträgereigenschaft genügt - wie bereits der Wortlaut der Vorschrift (“als Amtsträger”) nahelegt - nicht (SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 311).

Der Angeklagte bekleidete jedoch zur jeweiligen Tatzeit nicht mehr das Amt des Gerichtsvollziehers. Denn er wurde auf seinen Antrag mit Wirkung vom 1. Juli 2009 in den Innendienst des Amtsgerichts versetzt; damit endete seine Stellung als Gerichtsvollzieher. Seine sodann bis zur vorläufigen Dienstenthebung mit Verfügung des Präsidenten des Oberlandesgerichts 7 vom 25. Februar 2011 ausgeübte Funktion als Grundbuchbeamter hat der Angeklagte nicht missbraucht.“

Offen bleibt aber, ob ein unbenannter besonders schwerer Fall anzunehmen ist. Dies – so der BGH – habe der neue Tatrichter zu entscheiden.

Eine Entscheidung, die für das Assessorexamen, aber auch für die mündliche Prüfung im Referendarsexamen von Interesse ist. Wegen ihrer Verbindung des Strafrechts mit dem eher unbeliebten Zwangsvollstreckungsrecht wird sie sicherlich dem einen oder anderen Prüfer reizvoll erscheinen. In diesem Zusammenhang darf auch noch auf eine weitere Entscheidung des BGH (Urt. v. 28.7.2011, Az. 4 StR 156/11) verwiesen werden, wonach auch dem mit einem Zwangsverwaltungsverfahren befassten Rechtspfleger eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber Gläubigern und Schuldner obliege.

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