BGH zur Betroffenheit auf frischer Tat beim räuberischen Diebstahl

A fuhr am frühen Morgen des 9. Januar 2011 ohne Fahrkarte im Nachtzug Richtung Zürich. Mit einem unbekannten Mittäter hat er - so wie auch oft schon früher - dort insgesamt zwei schlafenden Reisenden Bargeld, ein Mobiltelefon und Ausweise gestohlen. Dabei führte er ein Springmesser mit einer Klingenlänge von ca. 10 bis 15 cm mit sich. Da er von Abteil zu Abteil lief, fiel er gegen 4:50 Uhr im Schlafwagen einem Zugbegleiter auf. Der Zugbegleiter war vor einigen Jahren schon einmal mit A in einem Zug zusammengetroffen. Auch damals bestand offenbar ein Diebstahlsverdacht, ein Nachweis konnte aber letztlich nicht erbracht werden. Jedenfalls wollte der Zugbegleiter die Fahrkarte des A sehen, die dieser nicht vorweisen konnte.

Zunächst gingen A und der Zugbegleiter zum nicht jedermann zugänglichen Gepäckabteil des Fahrradwagens, wo der Mittäter war, der auch keine Fahrkarte hatte. Von dort gingen der Angeklagte und sein Mittäter an dem Zugbegleiter vorbei zu einem anderen Wagen. Dabei hatten sie mehrere Jacken über dem Arm, in denen sich das Diebesgut befand. Da sich der Zugbegleiter nicht mit “Ausreden” zufrieden gab, zog A die Notbremse, um mit dem Diebesgut flüchten zu können und seine Identifizierung zu verhindern. Der Mittäter konnte den Zug verlassen. Auch A drängte zum Ausgang und drückte den Zugbegleiter an die Wand. Als A auf dem Trittbrett stand, lagen die Jacken mit dem Diebesgut auf dem Boden. A und der Zugbegleiter griffen nach den Jacken. A zog das Messer, ließ die Klinge herausschnellen und hielt es drohend gegen den Zugbegleiter. Dieser wehrte sich, am Ende lag das Messer auf dem Boden. A stürzte aus dem Zug, konnte aber noch die Jacken und das Messer ergreifen. Er flüchtete und konnte erst später in Ungarn verhaftet werden.

Das Landgericht verurteilte A wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Führen einer unerlaubten Waffe und Erschleichens von Leistungen zu einer Freiheitsstrafe.

Der Bundesgerichtshof (Beschl. v. 22.11.2012, Az. 1 StR 378/12) hebt das Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts.

I. Dass sich A wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a I 3. Fall StGB) strafbar gemacht hat, ist – jedenfalls unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BGH (zum „Schwarzfahren“ siehe BGH, Beschl. v. 8.1.2009, Az. 4 StR 117/08; kritisch etwa Fischer, StGB, § 265a Rn. 5 ff.) – unproblematisch.

II. Daneben ist A des Diebstahls mit Waffen gemäß § 244 I Nr. 1a StGB schuldig, indem er Bargeld, ein Mobiltelefon und Ausweise entwendete und dabei ein Springmesser, eine Waffe im technischen Sinne (vgl. Abschnitt 1, Unterabschnitt 2, Ziffer 2.1.1 der Anlage 1 zu § 1 IV WaffG), mit sich führte.

III. Problematisch ist allerdings, ob sich A wegen eines (besonders schweren) räuberischen Diebstahls gemäß §§ 252, 250 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat. Eine Vortat im Sinne des § 252 StGB, hier ein Diebstahl mit Waffen gemäß § 244 I Nr. 1a StGB, liegt vor. Allerdings müsste A auch „auf frischer Tat“ betroffen worden sein. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Täter nur dann „auf frischer Tat“ betroffen,

 „wenn er noch in unmittelbarer Nähe des Tatorts und alsbald nach der Tatausführung wahrgenommen wird, also noch ein enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Tat gegeben ist.“ (BGH NJW 1987, 2687 (2688))

Da sich keine allgemein gültigen Kriterien zur zeitlichen und räumlichen Eingrenzung machen lassen, kommt es immer auf den Einzelfall an. Der BGH verneint eine Betroffenheit auf frischer Tat:

„Dies folgt schon daraus, dass sein Besitz an der Diebesbeute nicht unmittelbares Ergebnis der Wegnahme beim Diebstahl (den Diebstählen) war. Er hatte die Diebesbeute vielmehr zwischenzeitlich im Gepäckabteil versteckt und später dort wieder an sich genommen. Der zwischen der Wegnahme der Beute einerseits und der Besitzverteidigung mit den Raubmitteln andererseits erforderliche unmittelbare Zusammenhang war daher nicht gegeben, es fehlt hier schon an dem erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Diebstahl (den Diebstählen) und dem Einsatz von Raubmitteln zur Beutesicherung. Hierfür spricht schon allein der Zeitraum, der für das vom Zugbegleiter beobachtete Geschehen - vom auffälligen Herumlaufen des Angeklagten bis zu dem Kampf um die Jacken - erforderlich war. Es kommt jedoch auch noch der Zeitraum ab den Diebstählen hinzu; der genaue Zeitpunkt der Diebstähle ist jedoch nicht festgestellt und es liegt auch nicht nahe, dass er festgestellt werden könnte.“

IV. Indem der A den Zugbegleiter gegen die Wand drückte und mit dem Messer bedrohte, hat er sich einer Nötigung gemäß § 240 StGB schuldig gemacht.

V. In Betracht kommt auch eine besonders schwere räuberische Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB.

Ein Vermögensnachteil könnte in zweierlei Hinsicht in Betracht kommen: Einerseits im Hinblick darauf, dass der Zugbegleiter zur Duldung des Verlassens des Zuges mit der Diebesbeute genötigt wurde. Andererseits könnte er darin zu sehen sein, dass der Zugbegleiter daran gehindert wurde, den Fahrpreis einzuziehen.

Den ersten Punkt spricht der BGH in seiner Entscheidung gar nicht an. Er mag als selbstverständlich ansehen, dass ein eigenständiger Vermögensnachteil den Diebesopfern durch die nachfolgende Drohung nicht entstanden ist, sondern dieser (tatbestandslos) lediglich vertieft wurde (sog. Sicherungserpressung). Für den zweiten Punkt gibt der BGH den neuen Tatrichtern folgende „Segelanweisung“ mit auf den Weg:

„Der neue zur Entscheidung berufene Tatrichter wird jedoch erwägen, ob neben einer Nötigung zugleich (schwere) räuberische Erpressung vorliegen könnte. Dies kommt regelmäßig in Betracht, wenn ein dem Transportunternehmer unbekannter Fahrgast gewaltsam seine Flucht erzwingt und so verhindert, dass der gegen ihn bestehende (hier gemäß § 12 Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) erhöhte) Fahrpreisanspruch durchgesetzt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. 2006, Az. 3 StR 279/06).

VI. Schließlich hat A sich wegen Missbrauchs von Notrufen gemäß § 145 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht, indem er die Notbremse, ein Notzeichen im Sinne von § 145 I Nr. 1 StGB, grundlos zog und damit missbrauchte.

Eine Entscheidung ohne spektakuläre Neuerungen, die aber dennoch Vieles bietet, was Prüfungsämter reizen könnte. Insbesondere die Prüfung des § 252 StGB erfreut sich bei den Prüfungsämtern nach wie vor großer Beliebtheit. So ist auch die (sehr lehrreiche) Entscheidung BGH, Beschl. v. 6.7.2010, Az. 3 StR 180/10, die sich ebenfalls mit § 252 StGB befasst, schon Gegenstand von Examensklausuren gewesen.

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