LSG Niedersachsen-Bremen zum Schockschaden nach Axtmord

LSG Niedersachsen-Bremen zum Schockschaden nach Axtmord

Schockschaden und Opferrente auch Jahre nach dem Mord am Vater?

An Weihnachten wurde der Vater der Klägerin mit einer Axt getötet, die Nachricht bekam sie im Urlaub telefonisch übermittelt. Sie erlitt einen Schock, suchte aber keinen Arzt auf. Sechs Jahre später beantragte sie eine Opferrente, doch die Behörde weigerte sich. Das LSG Niedersachsen-Bremen hat nun entschieden. 

Worum geht es?

Sechs Jahre nach dem Mord an ihrem Vater beantragt die Klägerin die Zahlung einer Opferrente aufgrund eines Schockschadens. Weihnachten 2004 ereignete sich das Unglück: Ihr psychisch kranker Bruder tötete den gemeinsamen Vater mit einer Axt. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt im Urlaub, bekam an Heiligabend per Telefon die grausame Nachricht übermittelt. Sie erlitt einen Schock, spricht von einem Blackout – suchte aber keinen Arzt auf.

Genau aus diesem Grund lehnte die zuständige Behörde – das Versorgungsamt – die Zahlung einer Opferrente aufgrund eines Schockschadens ab. Es sei keine psychische Störung mit Tatbezug dokumentiert und auch keine ärztliche Behandlung aufgrund der Tat erfolgt. Und ob sie durch die Todesnachricht tatsächlich einen Schock erlitten habe, sei auch nicht nachgewiesen.

Die Sache ging vor Gericht, das Sozialgericht Bremen verurteilte die Beklagte zur Zahlung einer Opferrente – genauer gesagt einer Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz. Dagegen wurde Berufung eingelegt und die höhere Instanz wurde eingeschaltet. Das Landessozialgericht Niedersachsen – Bremen (LSG) hat nun entschieden.

Schockschaden kann ersatzfähig sein

Ein sogenannter Schockschaden ist sowohl in der Praxis als auch in der Klausur oft schwierig festzustellen. Diese Art der Gesundheitsverletzung ist gerade nicht in dem Maße offensichtlich wie es beispielsweise ein gebrochenes Bein ist. Trotzdem sind sie nach ihrer Feststellung unter bestimmten Voraussetzungen als Verletzung zu qualifizieren. Psychische Störungen können eine Gesundheitsverletzung darstellen, wenn ihnen ein gewisser Krankheitswert zukommt. Verlangt werde etwa nach Rechtsprechung des BGH eine traumatische Auswirkung von einiger Dauer.

Außerdem könnten sich auch Sekundäropfer auf einen Schockschaden berufen. Voraussetzung sei dafür – ebenso wie bei Primäropfern – eine unmittelbare Schädigung, also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung. Das Sekundäropfer müsse durch die Wahrnehmung der Tat oder durch eine sonstige Kenntnisnahme davon geschädigt sein. Das LSG formuliert:

Darüber hinaus müssen die psychischen Auswirkungen der Gewalttat beim Sekundäropfer bei wertender Betrachtung mit der Gewalttat so eng verbunden sein, dass beide eine natürliche Einheit bilden.

(P): Keine Dokumentation

Problematisch war in diesem Fall, dass die Frau nach der Todesmitteilung keinen Arzt aufsuchte, der ihren Zustand dokumentierte, sowie die Tatsache, dass sie erst sechs Jahre später eine Opferrente beantragte. Sie habe sich bis dahin aus „Scham“ nicht behandeln lassen und habe versucht, das Trauma zu verdecken. Das Ereignis habe aber gravierende Auswirkungen auf ihr Leben gehabt: Sie habe sich aus ihrem sozialen Umfeld zurückgezogen, sei ihren Leidenschaften (Tanzen und Kegeln) nicht mehr nachgekommen und hätte keinen Kontakt mehr zu ihren Freunden gehabt. Außerdem habe sie unter ständiger Angst gelitten, dass ihr ein ähnliches Ereignis passieren könnte und ihre Wohnung in eine „regelrechte Festung“ verwandelt. Diese Ausführungen konnten das Versorgungsamt nicht überzeugen – es lehnte einen Schockschaden und eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ab, da keine ärztliche Dokumentation über ihre Krankheit vorliege.

LSG verurteilt zur Opferrente

Das LSG hat aber in seiner Entscheidung eine psychische Erkrankung der Frau anerkannt. Ein Schockschaden sei bei der Klägerin anzunehmen, wie aus einem eingeholten medizinischen Gutachten hervorgeht. In diesem werde der Frau eine PTBS diagnostiziert.

Die festgestellte PTBS ist zur Überzeugung des Senats mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Übermittlung der Nachricht vom gewaltsamen Tod des Vaters zurückzuführen.

Dass die Klägerin über Jahre ein Vermeidungsverhalten zeigte und daher keinen Arzt aufsuchte, sei typisch für die psychische Erkrankung. Es spräche nicht gegen eine PTBS, sondern sei vielmehr ein Ausdruck derselben, heißt es in der Entscheidung des LSG. Die psychische Erkrankung sei eine Schädigungsfolge – und damit ein Schockschaden.

Im Ergebnis habe die vorherige Instanz zu recht die Behörde zur Zahlung einer Opferrente verurteilt.

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