Thomas Fischer zur straf- und medienrechtlichen Beurteilung des Anschlags in Halle
Gewohnt scharf und provokant kritisch bewertet Thomas Fischer in seiner neusten Kolumne die erfolgte Berichterstattung über den Terroranschlag in Halle.
Worum geht es?
Am 09.10.2019 wurde Stephan B. festgenommen, nachdem vor der Synagoge in Halle eine Frau und in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss ein junger Mann erschossen worden waren. Kurz zuvor hatte der Täter versucht, sich Zutritt zu der Synagoge, zu verschaffen. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich 51 Menschen hier auf, um das jüdische Fest Jom Kippur zu feiern. Aus einem Bekennervideo und Ermittlungen der Polizei geht hervor, dass er diese Menschen töten wollte. Er scheiterte aber an der Tür. Auf seiner Flucht verletzte er weiter ein Ehepaar, um an ihr Auto zu gelangen. Auf der Autobahn konnte der mutmaßliche Attentäter Stephan B. kurz darauf von der Polizei gestellt werden.
Der Terrorangriff schockiert Deutschland. Nach Einschätzung der Ermittler wollte der mutmaßliche Attentäter ein Massaker anrichten, wie es eines seiner Vorbilder Anfang des Jahres in Christchurch (Neuseeland) tat. Dort tötete ein Rechtsterrorist bei einem Terroranschlag auf zwei Moscheen 51 Menschen. Er streamte seine Taten live auf Facebook, das Video zeigte große Teile des Tatverlaufs. Daran nahm sich der mutmaßliche Attentäter aus Halle ein Beispiel: Auch er stellte sein Vorgehen live in’s Netz. In sozialen Netzwerken konnte man den Ablauf der Tat aus der Perspektive des Attentäters sehen.
Die zuständigen Ermittlungsbehörden sind dabei nicht die einzigen, die sich ein solches Video zu Nutze machen. Verschiedene Medien griffen das Video auf und zeigten ausschnittsweise den Täter. Am Tag des Terroranschlags gab es durchgehend eine Live-Berichterstattung, ergänzt mit verschiedenen „Brennpunkten“ und „Experten-Interviews“. Und immer wieder wurden einzelne Sequenzen gezeigt, die die Tat untermauerten.
Thomas Fischer, der ehemalige Strafrichter am BGH, hat sich in seiner Kolumne auf „Spiegel Online“ kritisch zu dieser Berichterstattung geäußert und sie straf- und medienrechtlich bewertet.
Unterscheidungen wichtig
Fischer betont, dass zunächst eine Unterscheidung bezüglich der veröffentlichten Videos relevant sei. Auf der einen Seite gibt es das Tätervideo von Stephan B. – gezeigt wurde von den Medien daraus zum Beispiel, wie er in seinem Auto sitzt und zu der Synagoge fährt. Auf der anderen Seite sind die Zeugenvideos. Ironisch schreibt Fischer:
Zum Glück hatte man wenigstens ein Handy-Video eines Anwohners zur Hand, das uns aus der Perspektive eines Fensters im Zweiten Stock zeigte, wie es aussieht, wenn ein Mann hinter einem Auto steht und auf nicht sichtbare Ziele schießt.
Deshalb seien die Ausschnitte aus dem Tätervideo aus dem Auto anders zu beurteilen als die Bilder mit dem schießenden Täter hinter dem Auto.
Auch inhaltlich müsse unterschieden werden. Es gibt Aufzeichnungen, die eher die äußeren Abläufe zeigen, wie zum Beispiel eine Straßensperre der Polizei oder allgemeine Auswirkungen wie eine Zusammenkunft der Anwohner zur Trauer. Aufzeichnung der Tat selbst haben, so Fischer, eine ganz andere Natur.
Strafrechtliche Bewertung
In den Medien wurden also verschiedenste Bilder verbreitet, sei es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sei es in sozialen Netzwerken. Verwirklichte Straftatbestände kommen immer in Betracht, unabhängig von der Form des Mediums.
Thomas Fischer zählt mehrere in Betracht kommende Kommunikationsdelikte auf, die bei der Verbreitung von bildlichen Tatdokumentationen in Frage kommen. Zunächst seien da § 140 StGB (Belohnen und Billigen von Straftaten), § 130 StGB (Volksverhetzung) und § 130a StGB (Anleitung zu Straftaten). Letztere in der Form, wenn die Verbreitung die Bereitschaft Dritter zur Begehung fördern soll (§ 130a II StGB). Diese Delikte betreffen allerdings in der Regel nur Tatbeteiligte, Unterstützer oder Sympathisanten. Um eines der genannten Delikte zu verwirklichen, müsse eine Identifikation bzw. eine Befürwortung mit dem verbreiteten Material gegeben sein. Fischer ist der Ansicht, dass dies bei Fernsehsendern, Zeitungen und legalen Internetmedien grundsätzlich ausscheide – aber nicht ausgeschlossen sei.
Ein Problem könnte Fischer zufolge aber auch für Nicht-Sympathisanten die subjektive Tendenz von Veröffentlichungen sein. Die Billigung von Straftaten im Sinne des § 140 StGB setze voraus, dass durch das Verbreiten eine schwere Straftat „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gebilligt wird.“ Fischer zieht in Betracht, dass der Inhalt von „Täter-generiert(en) Dokumentationen“ einen solchen Billigungscharakter haben könne. Die zahlreichen Sondersendungen über den Terroranschlag, in denen die Handlung des Täters lang und breit, immer wieder und immer wieder thematisiert wird, legten es nahe, auch der Verbreitungshandlung eine billigende Tendenz zu unterstellen.
Abschließend geht Thomas Fischer in seiner strafrechtlichen Bewertung auf § 131 I StGB ein, die Gewaltdarstellung:
** 131 I StGB:**
Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Schrift (oder Darstellung), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildert, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, […] verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht, […] oder einen (solchen) Inhalt mittels Rundfunk oder Telemedien der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Würde es nur diesen Absatz der Norm geben, sähe die Rechtslage für die Medien düster aus, so Fischer. Allerdings gibt es noch den zweiten Absatz:
„Absatz 1 gilt nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient.“
*Bingo,*schreibt der ehemalige Strafrichter in seiner Kolumne. Er wirft den Gedanken ein, dass dadurch für manche Medien das Motto gelten könnte, je mehr Grausamkeit, Menschenverachtung oder Quälerei, desto besser. „Wenn wir’s nicht machen, macht’s jemand anders“ sei schon immer eine goldene Regel des journalistischen Showgeschäfts gewesen, kommentiert der Kolumnist.
Die Berichterstattung als solche
Abschließend geht Fischer auf die Berichterstattung der Medien als solche ein. Szenen, wie sie in Halle Realität waren, habe jeder deutsche Fernsehzuschauer schon unzählige Male in vergleichbarer Art und Weise in Spielfilmen gesehen. Deshalb sieht der ehemalige Richter des BGH es insbesondere kritisch, dass Bilder des Täters nicht die geringste zusätzliche nützliche Information beinhalten würde:
Es gibt daher in der Sache überhaupt keinen Grund, das Verbreiten dieser Bilder ans Anliegen der „Berichterstattung“ anzusehen.
Das würde dann auch erst recht für den Täterfilm, also die Streaming-Aufnahmen gelten. Wieso solle ein Zuschauer ein Recht darauf haben, zu sehen, wie andere Menschen getötet oder verletzt werden? Es gebe keine nachvollziehbaren Gründe, den Blickwinkel eines Mörders auf seine Opfer zu „berichten“, so Fischer. Drastisch formuliert er abschließend:
Jeder der meint, es stehe ihm zu, per Teleobjektiv dem Töten von Menschen zuzusehen, mag sich überlegen, ob er gern den Tod seiner Angehörigen zwecks „Berichterstattung“ über die Schlechtigkeit des Täters live im Fernsehen betrachten möchte.
Insgesamt thematisierte Fischer das Thema ironisch scharf und gewohnt provokant. Es lohnt sich auf jeden Fall, die ganze Kolumne noch einmal nachzulesen. Wir haben sie hier für Dich verlinkt.
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