Der Fall 'Metzelder' und die Pressefreiheit

Der Fall 'Metzelder' und die Pressefreiheit

Verdacht auf Verbreitung von Kinderpornographie: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Fußballprofi Metzelder

Anfang September sorgte Christoph Metzelder für Schlagzeilen: Die „Bild“-Zeitung berichtete, dass gegen den ehemaligen Fußball-Nationalspieler wegen des Verdachts der Verbreitung von Kinderpornografie ermittelt wird. Eine Vorverurteilung des Fußballprofis scheint damit nahezu unumgänglich. In welchem Verhältnis stehen die Unschuldsvermutung und die Pressefreiheit?

 

Worum geht es?

Schwere Vorwürfe stehen im Raum: Christoph Metzelder, der mit der Deutschen Nationalmannschaft 2002 Vizeweltmeister wurde, soll kinderpornographische Bilder per „WhatsApp“ verschickt haben. Das behauptet zumindest seine Lebensgefährtin, die sich mit einer Freundin an die „Bild“ wandte, die ihrerseits die Polizei darüber in Kenntnis setzte. Daraufhin durchsuchte die Polizei das Anwesen des Fußballers und leitete Ermittlungen ein – regelrecht vor den Augen der deutschen Bevölkerung. Die Berichte über Christoph Metzelder erlangten eine hohe Aufmerksamkeit, schließlich wurde eine Berühmtheit eines schweren Verbrechens beschuldigt. Oder wurde sie durch die Berichterstattung schon verurteilt?

 

Die Unschuldsvermutung im Rechtsstaat

In Deutschland gilt wie in den meisten anderen Nationen auch die Unschuldsvermutung. Sie ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und ist somit aus Art. 20 III GG und Art. 28 I 1 GG herzuleiten. Ihr ist deshalb ein verfassungsrechtlicher Status zuzusprechen. Bereits 1948, also noch vor der Geburtsstunde unseres Grundgesetzes, wurde auf der Generalversammlung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen bekanntgegeben. Ein wichtiger Bestandteil davon ist Art. 11 I AEMR, die Unschuldsvermutung.
Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

 

Kurz und knapp: Die Unschuldsvermutung besagt, dass bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld die Unschuld vermutet wird. Über eine Verdachtslage hinaus einen Betroffenen für schuldig zu sprechen oder ihn gar zu bestrafen, ist unseren Gerichten erst dann erlaubt, wenn die Schuld des Angeklagten in einem Strafverfahren endgültig nachgewiesen ist.

Strafrechtlich wurde Christoph Metzelder noch nicht verurteilt. Die Berichterstattung zeigt aber teilweise ein anderes Bild. Kann hier noch von einer Unschuldsvermutung die Rede sein, wenn Medien mit immenser Reichweite ihn namentlich nennen und mit solchen Vorwürfen in Verbindung bringen? Wie sieht es hier presserechtlich aus?

 

Pressefreiheit und Pressekodex

Grundsätzlich gilt das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art. 5 I 2 GG. Das Grundrecht schützt die Wahrnehmung aller wesensmäßig mit der Pressearbeit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten. Der Schutzbereich beginnt frühzeitig mit der Beschaffung von Informationen und reicht bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung.

Die Berichterstattung über Metzelder fällt also unter die Pressefreiheit. Bezüglich der Unschuldsvermutung gibt es den „Pressekodex“. Er wurde vom Deutschen Presserat erlassen und enthält Regelungen zu der Frage, was von einer sorgfältig arbeitenden Presse erwartet werden muss. In Punkt 13 des Pressekodex steht geschrieben: 
Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.

Da es sich um keine Norm des Gesetzgebers handelt, ist der Pressekodex mit seinen Regelungen nicht bindend. Vielmehr handelt es sich um ein Auslegungsinstrument im Rahmen von bestimmten Abwägungsentscheidungen. Um eine Abwägungsentscheidung handelt es sich beispielsweise bei der sog. „Verdachtsberichterstattung“. Um eine solche handelt es sich auch im Fall um Christoph Metzelder.

 

Regelungen der Verdachtsberichterstattung beachten

Wenn in der Presse über Vorwürfe berichtet wird, die weder gerichtlich festgestellt, noch von dem Beschuldigten selbst eingeräumt worden sind, finden die Regeln der Verdachtsberichterstattung Anwendung. Sie wurden von der Rechtsprechung entwickelt, um zu verhindern, dass die Pressefreiheit im Rahmen von strafrechtlich relevanten Sachverhalten beschränkt wird. Ansonsten wäre die Presse nämlich mit der Folge konfrontiert, dass sie personenbezogen nur dann negativ berichten dürfe, wenn es bewiesen werden kann, sodass hier unter Umständen die in § 186 StGB geregelte üble Nachrede im Raum stünde. Die Vorschrift verbietet das Ermöglichen fremder Missachtung. Das liegt im aktuellen Metzelder-Falle auch gar nicht so fern.
Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, […] bestraft.

 

Damit die Presse ihr Recht auf freie Berichterstattung aber auch im Rahmen von brisanten Geschehnissen ausüben kann, die eben noch nicht dem endgültigen Beweis zugänglich sind, wurden die Regeln der Verdachtsberichterstattung entwickelt, sodass unter Abweichung des § 186 StGB ein Bericht über einen bloßen Verdacht zulässig ist. Dabei wird an § 193 StGB angeknüpft, der die Wahrnehmung berechtigter Interessen regelt und somit einen Rechtfertigungsgrund im Bereich der Ehrdelikte darstellt.

Damit die Regelungen über die Verdachtsberichterstattung anwendbar sind, müssen folgende vier Grundvoraussetzungen gegeben sein:

 1.    **Informationsbedürfnis der Allgemeinheit** 

Zunächst muss ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit bestehen. Ein solches ist immer dann anzunehmen, wenn es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handelt. Ein gravierendes Gewicht kann entweder durch das besondere Interesse an der in Rede stehenden Person oder der Schwere der zur Last gelegten Straftat begründet werden. Das Informationsbedürfnis dürfte im Hinblick auf die Schwere der Vorwürfe dahingehend zu bejahen sein, dass es sich bei Metzelder nicht nur um einen bekannten Fußballspieler handelt, sondern dass er sich auch mit einer Stiftung für Kinder einsetzt. 

 1.   **Mindestbestand an Beweistatsachen**

Als nächste Voraussetzung muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegen. Das ist in der Praxis oftmals schwierig und stets einzelfallabhängig. Es gilt seitens der Presse zu prüfen, „ob was an der Sache dran ist“ – es müssen also konkrete Beweise vorliegen. Je gravierender die Vorwürfe sind, desto stichhaltiger müssen die Beweise ausfallen. Gibt es Zeugen des Verdachts? Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist in der Regel nicht hinreichend für die Annahme eines Mindestbestands an Beweissachen. Die Presse muss vielmehr selbst davon überzeugt sein, dass ein solcher Mindestabstand vorliegt. 

Im Fall um Christoph Metzelder wurde bekannt, dass die „Bild“-Zeitung bereits vor der jeweiligen Strafverfolgungsbehörde in Kenntnis des Verdachts war. Schließlich wurden ihr nach eigener Aussage die brisanten Fotos zugestellt, die dadurch erst an die Polizei weitergegeben wurden. Es liegt also ein Mindestbestand an Beweistatsachen vor.

 1.   **Möglichkeit der Stellungnahme des Beschuldigten**

Weiter ist eine Verdachtsberichterstattung nur zulässig, wenn dem Beschuldigten eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen gegeben wird. Die Art und Weise sind dabei nachrangig.

 

 1.   **Keine Vorverurteilung**

Schließlich darf der Verdacht nicht als Fakt verbreitet werden: Es darf schlichtweg keine Vorverurteilung erfolgen. Dies kann durch die Presse eingehalten werden, indem sie zum Beispiel auch über entlastende Tatsachen berichtet. Eine andere Möglichkeit ist eine Anmerkung im Artikel, wie es zum Beispiel „Focus.de“ getan hat:

 

Die Abwägung, ob und wann Medien in einem solchen Fall den Namen eines Verdächtigen nennen, ist schwierig. Die Vorwürfe wiegen schwer und können das Leben einer Person dauerhaft verändern. […] Nach unseren Recherchen haben die Ermittler belastbare Hinweise, weshalb wir uns schließlich für eine Berichterstattung mit Namen entschieden haben. Dennoch handelt es sich zum jetzigen Zeitpunkt lediglich um einen Verdacht, für den Verdächtigen gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

Fazit

Vorwürfe über den Verdacht auf Verbreitung von Kinderpornographie wiegen schwer und können lebensverändernd für den Beschuldigten sein, unabhängig vom Ausgang des möglichen Strafverfahrens. Allerdings darf die Presse im Rahmen ihrer Pressefreiheit gerade auch über solche Verdachtsereignisse berichten, soweit die Regelungen der Verdachtsberichterstattung gewahrt sind. Somit wird die Unschuldsvermutung des Betroffenen gewahrt. Ob die Unschuldsvermutung aber im deutschen Meinungsbild durch eine solche Verdachtsberichterstattung noch gewährleistet werden kann, steht auf einem anderen Blatt.