BGH befasst sich erneut mit Fluggastrechteverordnung

BGH befasst sich erneut mit Fluggastrechteverordnung

Unbestimmter Rechtsbegriff: „Außergewöhnliche Umstände“

Die Richter des für das Personenbeförderungsrecht zuständigen X. Zivilsenats befassten sich letzte Woche erneut mit der Auslegung der sogenannten Fluggastrechteverordnung (EG Nr. 261/2004 des Europäischen Parlamentes und des Rates). Anlass für den Rechtsstreit zwischen der Fluggesellschaft und den Gästen war der Ausfall der Computersysteme im Abflugflughafen und die daraufhin verzögerte Ankunft zweier Klägerinnen im Zielflughafen.

 

Worum geht es?

Die beiden Klägerinnen buchten bei der beklagten Fluggesellschaft einen Flug von New York über London nach Stuttgart. Am Tag des geplanten Abfluges fielen im Terminal des New Yorker J.-F.-Kennedy Flughafens alle Computersysteme aus. Dieser Ausfall konnte - bedingt durch einen Streik innerhalb des für die Telekommunikationsleitungen des Flughafens verantwortlichen Unternehmens - erst 13 Stunden nach Bekanntwerden des Ausfalles behoben werden. Der Abflug aus New York verspätete sich deshalb erheblich, woraufhin die Klägerinnen mit mehr als zwei Stunden Verspätung in London landeten. Sie verpassten ihren Anschlussflug nach Stuttgart und erreichten den Zielflughafen schließlich rund neun Stunden nach der geplanten Ankunftszeit.  

BGH definierte „außergewöhnliche Umstände“ bereits 2012

Die Klägerinnen begehrten jeweils eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 Euro von der beklagten Fluggesellschaft gemäß Artikel 7 Abs. 1 Satz 1 Lit. c) der Fluggastrechteverordnung. Die Fluggesellschaft verweigerte die Zahlung und berief sich dabei auf Art. 5 Abs. 3 der Verordnung. Dort heißt es:

Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Der BGH wies vergangene Woche (am 15. Januar 2019) die Revision der beiden Klägerinnen zurück: Das Berufungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Computersystemausfall im Abfertigungsschalter in New York um einen von der Fluggesellschaft nicht beeinflussbaren, außergewöhnlichen Umstand handele. Als „außergewöhnliche Umstände“ definierte der BGH in einem Urteil im Jahre 2012 (X ZR 146/11) solche Umstände, die „nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann“.  

Da der Betrieb der technischen Einrichtungen - und somit auch der Computersysteme - dem Flughafenbetreiber obliege, wirke sich ein Ausfall eben dieser Systeme wie ein von außen auf den Flugbetrieb einwirkender Umstand aus. Die Wartung, Überwachung und Reparatur gehöre nicht in den Zuständigkeitsbereich der Fluggesellschaft, so die Richter weiter. Zudem konnte kein Rechtsfehler in der Annahme des Berufungsgerichts festgestellt werden, dass die Fluggesellschaft alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um Abhilfe zu leisten. Die Fluggesellschaft führte eine teils manuelle und teils telefonische Abfertigung der Fluggäste am Tag des Ausfalles durch. Die Fluggesellschaft verweigerte somit zu Recht die Ausgleichszahlungen.

 

Die Fluggastrechteverordnung

Der BGH befasst sich immer wieder mit der Auslegung der Fluggastrechteverordnung vom 11. Februar 2004. Grund dafür: Unbestimmte Rechtsbegriffe – wie zum Beispiel der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ – sind in der Verordnung nicht definiert und bedürfen deshalb einer Auslegung.

„Dass der BGH erneut zur Auslegung der Fluggastrechteverordnung angerufen wird, zeigt jedoch, dass die EU diese Verordnung und damit den Begriff der außergewöhnlichen Umstände präzisieren und die Verordnung unmissverständlich neu formulieren muss.“,

schreibt indessen der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Die Unsicherheit bezüglich der Auslegung des Begriffes der außergewöhnlichen Umstände führe zu einer Rechtsunsicherheit bei Fluggesellschaften und Passagieren. Bereits 2013 schlug die EU-Kommission eine Novellierung der Fluggastrechteverordnung vor. Neben der Einführung einer einheitlichen Regelung für Anschlussflüge, sollte es dabei insbesondere um die Präzisierung der in der Verordnung enthaltenen Rechtsbegriffe gehen. Nachdem diese Novellierung jedoch 2015 aufgrund von unterschiedlichen Auffassungen in den 28 Mitgliedsstaaten ins Stocken geriet, wurde die Reform auf Bundesebene im Koalitionsvertrag der Union und SPD für die laufende Legislaturperiode aufgenommen. Dort heißt es: „Wir unterstützen den Novellierungsvorschlag der EU-Kommission für die europäische Fluggastrechte-Verordnung.“ Ob die Differenzen auf Unionsebene allerdings während der laufenden Legislaturperiode beseitigt werden können, sodass es tatsächlich zu einer Novellierung der Fluggastrechteverordnung von 2004 kommt, bleibt abzuwarten.

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