BGH: Kinderehe-Gesetz könnte verfassungswidrig sein

BGH: Kinderehe-Gesetz könnte verfassungswidrig sein

Die Wirksamkeit einer syrischen Kinderehe und die Vorlage des BGH an das BVerfG

Kinderehen sind in Deutschland verboten. Dies sind sie auch dann, wenn sie nach ausländischem Recht legal geschlossen werden. Der BGH hält das Kinderehen-Gesetz aber für verfassungswidrig und ruft in der Frage, ob ein Syrer eine (in Syrien geschlossene) wirksame Ehe mit einer Minderjährigen eingegangen ist.

 

 

Worum geht es?

Der Bundesgerichtshof hat vor wenigen Tagen ein Verfahren, bei dem es um die Gültigkeit einer sogenannten ausländischen Kinderehe in Deutschland geht, ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 I GG angerufen. Es geht um die Verfassungsmäßigkeit des § 13 III Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017. Die Richter am BGH sind davon überzeugt, dass dieser Paragraf mit den Art. 1, 2 I, 3 I und 6 I unseres Grundgesetzes unvereinbar ist und lassen dies nun vom Bundesverfassungsgericht überprüfen. Auf den Ausgang des Verfahrens wirkt sich die Verfassungsmäßigkeit der Norm in entscheidungserheblicher Weise aus.  

Der zugrundeliegende Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Im erwähnten Verfahren wird über die Gültigkeit einer vor einem syrischen Gericht geschlossenen Ehe zwischen einem volljährigen Syrer und einer minderjährigen Syrerin in Deutschland und ihre Auswirkungen auf eine angeordnete Vormundschaft gestritten.

Die Ehe wurde im Februar 2015 unter den in Syrien geltenden gesetzlichen Voraussetzungen rechtmäßig zwischen dem damals 21-Jährigen und der damals 14-Jährigen geschlossen. Im August desselben Jahres flohen die seit Februar 2015 zusammen lebenden Ehepartner aufgrund der Kriegsgeschehnisse in Syrien über die sogenannte „Balkanroute“ nach Deutschland. Nach der Registrierung in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Schweinfurt wurden die Ehepartner getrennt und die 14-jährige Ehefrau vom Jugendamt in eine Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge gebracht. Das Amtsgericht Aschaffenburg stellte ein Ruhen der elterlichen Sorge bezüglich der 14-Jährigen fest und ordnete Vormundschaft für dieselbe an.

Ihr syrischer Ehemann stellte daraufhin beim Amtsgericht einen Antrag auf Überprüfung der Inobhutnahme sowie die Rückführung der Betroffenen. Das Amtsgericht deutete den eingereichten Antrag in einen Antrag auf Regelung des Umgangsrechts um und legte fest, dass die beiden syrischen Staatsbürger jedes Wochenende miteinander verbringen dürfen. Gegen diese Regelung legte wiederum der Vormund der Minderjährigen Beschwerde am Oberlandesgericht Bamberg ein, woraufhin das Oberlandesgericht die Beschwerde verwarf und den Beschluss des Amtsgerichts aufhob. Das Oberlandesgericht ist - jedoch noch nach der alten Rechtslage - der Auffassung, dass die syrische Ehe auch in Deutschland Gültigkeit entfalte und somit dem Vormund keine Entscheidungsbefugnis bezüglich des Aufenthalts der Minderjährigen zustehe. Zu der Frage, ob ein Verstoß gegen den ordre public vorliegt, äußert es sich nicht. Es gäbe hierzu eine uneinheitliche Rechtsprechung, jedoch sei dies auch nicht entscheidungserheblich, so das Oberlandesgericht 2016. Der Vormund der Betroffenen hat sodann Rechtsbeschwerde zum BGH erhoben und strebt eine Umgangsregelung an, die den Betroffenen einmal wöchentlich ein Treffen für je drei Stunden in Begleitung eines Dritten erlaubt.  

Verfahren am Bundesgerichtshof

Der BGH hat nun zu entscheiden, ob die zugelassene Rechtsbeschwerde des Vormundes Erfolg hat. Problematisch und entscheidungserheblich ist der während des laufenden Verfahrens in Kraft getretene ** 13 III Nr. 1 EGBGB** in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017. Dieser lautet:
Art. 13 EGBGB Eheschließung

(1) Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört.

[…]

(3) Unterliegt die Ehemündigkeit eines Verlobten nach Absatz 1 ausländischem Recht, ist die Ehe nach deutschem Recht

unwirksam, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte, …

[…]

Da die Verlobte zum Zeitpunkt der Eheschließung 14 Jahre alt war, ist die Ehe grundsätzlich nach der jetzigen Fassung des § 13 III Nr. 1 EGBGB in Deutschland ungültig.
Für Ehen, bei denen der minderjährige Ehegatte vor 22. Juli 1999 geboren ist oder die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und kein Ehegatte seit der Eheschließung bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, stellt Art. 229 § 44 EGBGB eine Übergangsvorschrift dar.

„Eine abweichende verfassungskonforme Auslegung des Art. 13 III Nr. 1 EGBGB kommt nicht in Betracht“, heißt es im Beschluss des Senats. Art. 13 III Nr. 1 EGBGB stelle zudem eine  spezielle Regelung des ordre public dar.

Sofern die Vorschrift jedoch verfassungswidrig ist, könnte die Ehe der Betroffenen in Deutschland gültig sein. Sodann wäre das Sorgerecht des Vormundes gemäß §§ 1800, 1631 bis 1632 ausgeschlossen und jegliche Umgangsregelungen des Amtsgerichtes wären nichtig.  

Kritik des BGH zu § 13 III Nr.1 EGBGB

Im Beschluss des u.a. für das Familienrecht zuständigen XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Freitag legten die Richter dar, wieso sie die Vorschrift mit den Artikeln 1, 2 I, 3 I und 6 I GG für unvereinbar halten. Kritisiert wird insbesondere, dass die Regelung keinerlei Raum für eine Einzelfallentscheidung zulasse, sondern eine generelle Ungültigkeit der in den Anwendungsbereich fallenden Ehen anordne. Die Richter sind der Überzeugung, dass der Gesetzgeber deshalb dem staatlichen Schutzauftrag der Ehe aus Art. 6 I GG – in dessen Schutzbereich auch ausländische Ehen fallen – nicht gerecht wird. Außerdem fehle es an Anschlussregelungen bei der Unwirksamkeit der Ehe. Abstammungs-, Sorgerechts- und Unterhaltsfragen der Kinder, die in die unwirksame Ehe geboren werden sind gesetzlich ungeklärt, heißt es im Beschluss vom 14.12.2018.

Und auch mit dem Rückwirkungsverbot aus Art. 6 I GG in Verbindung mit Art. 20 III GG gibt es Probleme: Es läge zwar keine sogenannte echte Rückwirkung vor (die belastende Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Ehe greift nach deutschem Recht erst nach der Verkündung des Gesetzes ein), „soweit jedoch vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen die vor dem 22. Juli 2017 nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Ehen bei Unterschreitung der Ehemündigkeit nach deutschem Recht wirksam und lediglich aufhebbar waren, verletzt Art. 13 III Nr. 1 EGBGB den durch den Vergangenheitsbezug diesbezüglich begründeten Vertrauensschutz“.

In Hinblick auf Art. 3 I GG wird die Ungleichbehandlung von in Deutschland geschlossenen und ausländischen Ehen kritisiert. Während eine nach deutschem Recht vor dem 22. Juli 2017 unter Verstoß gegen die Ehemündigkeit geschlossene Ehe nach Art. 229 § 44 Abs. 1 EGBGB weiterhin wirksam, aber aufhebbar bleibt, ist die nach ausländischem Recht geschlossene Ehe nach Art. 13 III Nr. 1 EGBGB i.V.m. Art. 229 § 44 IV EGBGB unwirksam, wenn der minderjährige Ehegatte nicht vor dem 22. Juli 1999 geboren wurde und die Ehegatten vor der Volljährigkeit dieses Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland genommen haben. Ein sachlicher Grund läge für diese Ungleichbehandlung nicht vor.

Wann das Bundesverfassungsgericht in der Sache entscheiden wird, ist indes ungewiss.

 

Der familienrechtliche Instanzenzug

Der familienrechtlich Instanzenzug unterscheidet sich vom gewöhnlichen zivilrechtlichen Instanzenzug und ist deshalb im Examen beliebt. Das Amtsgericht entscheidet gemäß §23 a I Nr. 2 GVG über Familiensachen in 1. Instanz. Die Beschwerde gegen Entscheidungen des Amtsgerichts geht gemäß §§ 119 I Nr. 1 GVG, §§ 58 ff. FamFG zum Oberlandesgericht in 2. Instanz. Der Bundesgerichtshof ist in 3. Instanz gemäß §133 GVG, §§ 70 ff. FamFG für die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts zuständig. 

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