Bleibt die Schuldfrage ungeklärt?
Wird der Loveparade-Prozess möglicherweise ohne Urteil eingestellt? In einem „Rechtsgespräch” könnte am 16. Januar 2019 eine Entscheidung darüber fallen.
Worum geht es?
Duisburg am 24. Juli 2010: 21 Menschen sterben bei einer Massenpanik im Eingangsbereich der Loveparade. Über 600 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Siebeneinhalb Jahre später dann letztes Jahr im Dezember der Beginn des Strafprozesses gegen die möglicherweise Verantwortlichen des Unglücks. Seit dem 8.12.2017 wird vor dem Landgericht Duisburg in der Strafsache verhandelt, während das Bedürfnis der Angehörigen und der Bevölkerung nach Aufklärung auch 8 Jahre später mindestens genau so groß ist wie am Unglückstag. 90 Verhandlungstage dauert der Prozess bereits, 111 Sitzungstermine sind insgesamt anberaumt.
Der Prozess wird als einer der bedeutsamsten und zugleich umfangreichsten Prozesse der Nachkriegszeit gehandelt. Gegen insgesamt 10 Personen hat die Staatsanwaltschaft Duisburg sowohl wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB als auch fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB in einer 556 Seiten langen Schrift Anklage erhoben. Sechs von den Angeklagten sind Mitarbeiter der Stadt Duisburg, die anderen vier Angestellte des Veranstalters Lopavent. Der Vorwurf: Fehler dieser Personen in der Planung und/oder Genehmigung der Loveparade sollen zum verheerenden Ausgang der Veranstaltung im Jahr 2010 geführt haben. „Es soll für diese Beschuldigten vorhersehbar gewesen sein, dass es im Verlauf der Veranstaltung zwangsläufig zu lebensgefährlichen Situationen kommen musste, da zu viele Menschen auf engem Raum zusammengedrückt würden“, wird die Staatsanwaltschaft Duisburg in einer Pressemitteilung des Gerichts zitiert. Im Verfahren sind neben Staatsanwaltschaft, den Angeklagten und der Kammer auch insgesamt 64 NebenklägerInnen mit ihren Anwälten und Anwältinnen vertreten. Der Prozess findet in einem Raum des Congress Center Düsseldorf Ost der Messe Düsseldorf statt, da die Sitzungssäle im Gebäude des Landgerichts zu klein sind. Im Congress Center können rund 600 Zuschauer den Verhandlungstagen beiwohnen. Die Saalmiete samt Zusatzkosten beläuft sich auf 29.000 Euro pro Verhandlungstag.
Ein Schuldspruch scheint immer unwahrscheinlicher
Im Zentrum des Prozesses steht die Frage des Kausalitätsnachweises. Den Angeklagten muss nachgewiesen werden, dass ihr individuelles Verhalten kausal für die Todesfälle bzw. Verletzungen auf der Zugangsrampe war. Wenn dies nicht gelingt, kann kein Schuldspruch ergehen. Der Kausalitätsnachweis ist aber nicht nur im Hinblick auf die Masse des Beweismaterials und Zeugenaussagen äußerst schwierig zu erbringen, es drängt auch die Zeit. Im Juli 2020 läuft die zehnjährige Verjährungsfrist gemäß § 78 StGB ab.
Während die Beweisaufnahme bisher zunehmend zu der Aussage verleiten ließ, dass die Angeklagten trotz Planungsbeteiligung keine Entscheidungsträger waren, legte der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach letzte Woche (am 6.12.2018) dem Gericht den letzten Teil seines Gutachtens zu den Geschehnissen am 24. Juli 2010 vor. Gerlach, der unter anderem Experte für die Sicherheit bei Großveranstaltungen ist, eruiert die Geschehnisse in Duisburg auf 3600 Seiten. „Aufgabe des Sachverständigen war es, aus technisch-sachverständiger Sicht die Ursachen für das Gedränge auf der Loveparade 2010 und Möglichkeiten der Verhinderung dieses Gedränges zu benennen.“, so der Pressesprecher des Landgerichts vergangene Woche.
Genannt werden unterschiedliche, mögliche kausale Ursachen für die Unglücksfälle. Laut der Welt im Oktober 2018, nennt der Gutachter 58 verschiedene, mögliche Ursachen. Ein Schuldspruch scheint nun immer unwahrscheinlicher.
„Rechtsgespräch” entscheidet über Einstellung des Verfahrens
Währenddessen ist bereits seit September ein Rechtsgespräch mit allen Verfahrensbeteiligten für Anfang des Jahres 2019 geplant. Laut Pressemitteilung vom 4.12.2018 soll dies am 16.1.2019 stattfinden. „In dem Rechtsgespräch sollen Staatsanwaltschaft, Nebenklagevertreter und Verteidiger die Gelegenheit erhalten, zu dem bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme und dem vorläufigen Beweisergebnis Stellung zu nehmen. Das Gericht hat angekündigt, auch eine eigene Einschätzung des bisherigen Verfahrensverlaufs und zur bisherigen Beweisaufnahme abzugeben. Es soll auch eine Erörterung der Frage stattfinden, wie das Verfahren fortgeführt werden könnte“, so die Pressemitteilung des Gerichts.
Hintergrund könnte eine mögliche vorläufige Verfahrenseinstellung unter Auflagen und Weisungen gemäß ** 153a der Strafprozessordnung** sein. Voraussetzung für eine solche Verfahrenseinstellung ist jedoch unter anderem, dass die erteilten Auflagen und Weisungen geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Zu einer Verfahrenseinstellung müssen zudem jeweils die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft zustimmen, die Nebenkläger wären allerdings machtlos. Dass das Verfahren um die Unglücksfälle in Duisburg möglicherweise ohne Urteil beendet werden könnte, war Anlass für einen Brief an Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach, geschrieben und unterzeichnet von 13 Nebenklagevertretern. Biesenbach wurde darin aufgefordert, von seinem ministerialen Weisungsrecht Gebrauch zu machen und die Staatsanwaltschaft entsprechend gegen eine Verfahrenseinstellung anzuweisen. Die Annahme, dass kein öffentliches Interesse an der Verurteilung bestehe, sei „grundfalsch und rational nicht nachvollziehbar.” „Sollte es am Ende nicht möglich sein, in den zehn Jahren bis zur Verjährung der Taten zu einem Sachurteil zu gelangen, so wäre dies meiner Ansicht nach eine Blamage für die Justiz insgesamt”, meint der Nebenklagevertreter Franz Paul.
Wie das Rechtsgespräch am 16. Januar 2019 ausgehen wird, ist ungewiss. Es bleibt abzuwarten, ob und welches Urteil eines der prägendsten Geschehnisse in der deutschen Veranstaltungskultur nach sich ziehen wird.
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