EuGH-Urteil zum Urlaubsanspruch eines Rechtsreferendars

EuGH-Urteil zum Urlaubsanspruch eines Rechtsreferendars

EuGH fällt sogar gleich zwei arbeitnehmerfreundliche Urteile

Arbeitgeber müssen sich künftig dafür exkulpieren, wenn Angestellte ihren Urlaub nicht nehmen - der Anspruch geht zudem auch auf die Erben über. Dies hat der EuGH auf die Klagen eines Rechtsreferendars und zweier Witwen hin entschieden und klärt die Frage, unter welchen Umständen eine Abgeltungszahlung für nicht genommenen Urlaub nach Ende des Arbeitsverhältnisses verlangt werden kann.

 

 

Worum geht es?

Im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommt es immer wieder zu Diskussionen um den Jahresurlaub. In Deutschland gibt es hierfür sogar ein eigenes Gesetz, das Bundesurlaubsgesetz. Auf europäischer Ebene ist der Anspruch auf Erholung in der Arbeitszeitrichtlinie definiert. Doch im Hinblick auf die Bedeutung und Reichweite des Urlaubsanspruchs herrscht zwischen nationaler und europäischer Ebene ein unterschiedliches Verständnis. Dies bestätigen auch wieder die folgenden aktuellen Entscheidungen des EuGH: Ein ehemaliger Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts sowie ein ehemaliger Rechtsreferendar des Landes Berlin wollten sich nach dem Ende ihrer Beschäftigung die jeweils nicht genommenen Urlaubstage auszahlen lassen. Hierfür sieht § 7 III Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) grundsätzlich vor, dass Urlaub, der nicht bis zum Ende des Kalenderjahres, in Ausnahmefällen bis zum Ende des ersten Quartals des Folgejahres genommen wird, automatisch verfällt. Nach Absatz 4 der Norm ist Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gewährt werden “kann”, abzugelten. Doch in wessen Verantwortungskreis fällt es, wenn am Ende noch offene Urlaubstage vorhanden sind? Eine Vereitelung des Urlaubsanspruchs durch das Land Berlin beziehungsweise das Max-Planck-Institut konnten die nationalen Gerichte nicht erkennen - die Arbeitnehmer hätten vielmehr darauf verzichtet, ihren Urlaubsanspruch geltend zu machen. 

 

Bisherige Rechtslage (in Deutschland)

Der gesetzliche Urlaubsanspruch ist in Deutschland im BUrlG geregelt. So folgt aus § 1 BUrlG:

„Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.“

Die Anzahl der Urlaubstage im Einzelfall hängt jedoch von bestimmten Faktoren ab. Überdies regelt das BUrlG lediglich den Mindestanspruch. Es steht Arbeitgebern grundsätzlich frei ihren Mitarbeitern vertraglich mehr Urlaub zu gewähren. Gleiches gilt für Tarifverträge, in denen Gewerkschaften für ihre Mitglieder einen höheren Urlaubsanspruch aushandeln.

Der Mindestanspruch aus § 3 BUrlG sieht einen Urlaub von jährlich 24 Werktagen vor. Zu berücksichtigen ist, dass man bei Inkrafttreten der Norm (im Jahr 1963) noch von einer 6-Tage-Woche ausging. Heutzutage haben die meisten Arbeitnehmer die Arbeit auf fünf Werktage verteilt. Der gesetzliche Urlaubsanspruch beträgt nach entsprechender Umrechnung damit 20 Urlaubstage. Der Anspruch gilt unterschiedslos für alle Arbeitnehmer, d.h. für Arbeiter, Angestellte, Auszubildende, Volontäre und arbeitnehmerähnliche Personen (wie z.B. freie Mitarbeiter sofern diese von einem Unternehmen wirtschaftlich abhängig sind).  

Exkurs: Berechnungsformel

Im Examen wird häufig verlangt einen Urlaubsanspruch in Teilzeit zu berechnen. Dabei kannst Du auf die folgende Formel zurückgreifen:

(vereinbarte Werktage / 6) * Wochenarbeitstage = Urlaubsanspruch

Für eine 5-Tage-Woche folgt damit aus § 3 BUrlG:

(24 Werktage / 6) * 5 Arbeitstage = 20 Urlaubstage

Wenn Du beispielsweise in einer 4-Tage-Woche arbeitest, rechnest Du:

(24 Werktage / 6) * 4 Arbeitstage = 16 Urlaubstage

Wenn Du beispielsweise in einer 3-Tage-Woche arbeitest, rechnest Du:

(24 Werktage / 6) * 3 Arbeitstage = 12 Urlaubstage

 

Übertragung von Resturlaub

Im Optimalfall ist der gesamte Urlaub im Laufe des Kalenderjahres zu nehmen. Doch aus persönlichen oder auch betrieblichen Gründen bleibt Arbeitnehmern oftmals ein Resturlaub am Ende des Jahres. Auch hierzu enthält das BUrlG in § 7 III eine Regelung:

„Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. (…).“

Wird der Urlaub also nicht genommen, verfällt er automatisch am 31. Dezember des Jahres. Nur in Ausnahmefällen kann der Urlaub auf das nächste Jahr übertragen werden – allerdings nur bis zum 31. März des Folgejahres.

Hinzuweisen ist hier auf eine mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des BAG im Rahmen der Übertragung von Urlaub bei längerer Erkrankung des Arbeitnehmers. Früher vertrat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Ansicht, dass ein Urlaubsanspruch spätestens dann verfällt, wenn ein Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsübertragungszeitraums, also dem 31. März des Folgejahrs, krank war. Der EuGH trat dieser Auffassung entgegen, da sie gegen die europäische Arbeitszeitrichtlinie verstieß. Nun nimmt das BAG bei Langzeiterkrankungen eine teleologische Reduktion der Verfallfrist von § 7 III BUrlG vor. Kann der Arbeitnehmer seinen Urlaub aufgrund Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraumes nicht nehmen, bleibt der Urlaubsanspruch als Freizeitanspruch zunächst erhalten. Da es aber unangemessen erscheint, dass sich die Urlaubstage von Arbeitnehmern, die über mehrere Jahre hinweg arbeitsunfähig erkrankt sind, ins Unermessliche addieren, hat der EuGH festgelegt, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch spätestens 15 Monate nach Ablauf des Jahres in dem der Anspruch entstanden ist, verfällt.

Die Rechtsprechung des EuGH zu § 7 BUrlG bezieht sich jedoch (derzeit) ausschließlich auf Fälle des Urlaubsverfalls infolge von Langzeiterkrankungen.

 

Was wurde vom EuGH nun entschieden?

Nun hat sich der EuGH wiederholt zum gesetzlichen Urlaubsanspruch geäußert und die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt. In zwei wichtigen Entscheidungen äußerte sich das Gericht sowohl erneut zum Verfall des Urlaubsanspruchs als auch zu dessen Vererblichkeit.

In den zur Entscheidung vorgelegten Fällenging es um einen**finanziellen Ausgleich für nicht genommene Urlaubstage nach Ende des Arbeitsverhältnisses.**Zum einen hatte ein Rechtsreferendar beim Land Berlin den juristischen Vorbereitungsdienst absolviert und während der letzten Monate keinen Urlaub genommen. Nach dem Ende des Vorbereitungsdienstes beantragte er eine finanzielle Vergütung für die nicht genommenen Urlaubstage. Das Land lehnte den Antrag ab. Der Referendar hatte daraufhin die Ablehnung vor den deutschen Verwaltungsgerichten angefochten. Zum anderen beantragte ein Mitarbeiter der Max-Planck-Gesellschaft ebenfalls die finanzielle Abgeltung der nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage. Dies wurde vom Arbeitgeber mit der Begründung abgelehnt, dass der Mitarbeiter zwei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch darum gebeten wurde, den Resturlaub zu nehmen. Der Fall wurde vom Bundesarbeitsgericht dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt:

Steht das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegen, die den Verlust des nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubs und den Verlust der finanziellen Vergütung für diesen Urlaub vorsieht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantragt hat?

Der EuGH entschied, dass Arbeitnehmer ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht allein dadurch verlieren, dass der Urlaub nicht beantragt wurde.

 

Vielmehr kann der gesetzlich garantierte Urlaubsanspruch nur verfallen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen. Die Beweislast liegt insoweit beim Arbeitgeber.

Nach Auffassung des EuGH ist der Arbeitnehmer allgemein als schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses anzusehen. Daraus folgt, dass Arbeitnehmer aufgrund dieses Kräfteungleichgewichts möglicherweise davon absehen, ihre Rechte ausdrücklich geltend zu machen. Deshalb sei auch der Arbeitgeber verpflichtet für völlige Transparenz dahingehend zu sorgen, dass seine Arbeitnehmer auch tatsächlich eine Chance hatten den bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Alleine diese Auslegung ist entsprechend des EuGH im Hinblick auf die EU-Grundrechtscharta und die Arbeitszeitrichtlinie angemessen.

Kann der Arbeitgeber jedoch beweisen, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage auf seinen Jahresurlaub verzichtet hat, obwohl er in der Lage gewesen wäre diesen zu nehmen, dann verfällt der Anspruch nach den gesetzlichen Vorschriften. Denn in diesem Zusammenhang ist auch der Sinn und Zweck des gesetzlichen Urlaubsanspruchs, die ausreichende Erholung und des Schutzes der Gesundheit, zu berücksichtigen. Arbeitnehmer sollen schließlich nicht dazu ermutigt werden, den Urlaubsanspruch mit Blick auf eine zusätzliche Vergütung verfallen zu lassen.  

EuGH zur Vererbbarkeit von Urlaubsansprüchen

Darüber hinaus hatte der EuGH zur Vererblichkeit des Urlaubsanspruchs zu entscheiden.

In den vom EuGH zu beurteilenden Fällen beantragten zwei Witwen als alleinige Rechtsnachfolgerinnen von den ehemaligen Arbeitgebern ihrer verstorbenen Ehemänner eine finanzielle Vergütung für die noch ausstehenden Urlaubstage.

Bereits 2014 hatte der EuGH entschieden, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch mit dem Tod untergeht. Nun trat das BAG erneut an den EuGH heran, um diese Aussage unter Berücksichtigung der Besonderheiten nationalen Rechts zu spezifizieren:

**Gilt diese Rechtsprechung auch dann, wenn eine finanzielle Vergütung von Urlaubsansprüchen nach dem nationalen Recht, wie in Deutschland, nicht Teil der Erbmasse wird?**Zu berücksichtigen ist außerdem, dass der mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolge Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen und einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zur Verfügung zu stellen, nach dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr verwirklicht werden kann.

Mit Urteil vom 6. November 2018 bestätigte der EuGH, dass die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers von dessen ehemaligem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen können.

**In Bezug auf den Anspruch auf Jahresurlaub unterscheidet der EuGH grundlegend zwischen zeitlicher und finanzieller Komponente:**Zwar führt der Tod des Arbeitnehmers zwangsweise dazu, dass er die Entspannungs- und Erholungszeiten, die mit dem Jahresurlaub verbunden sind, nicht wahrnehmen kann. Indes umfasst der Anspruch auf Bezahlung im Urlaub aber auch sinngemäß den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaubs. Diese zweite, finanzielle Komponente ist vermögensrechtlich und somit vom Arbeitnehmer vererbbar. Der Anspruch auf Vergütung des Urlaubsanspruchs kann also von den Erben geltend gemacht werden. Danach bestätigte der EuGH erneut, welche enorme Bedeutung dem Urlaubsanspruch beizumessen ist.

Welche Folgen hat die Entscheidung für die Rechtslage in Deutschland?

Die Entscheidungen des EuGH bestärken das Recht des Arbeitnehmers auf Urlaub. Künftig müssen Arbeitgeber aktiv darauf hinwirken, dass Arbeitnehmer ihren Erholungsurlaub auch in Anspruch nehmen. Kommt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nicht nach, dann hat der Arbeitnehmer ein Recht auf Ausgleichszahlung. Allerdings besteht auch weiterhin kein allgemeiner Anspruch auf Auszahlung des gesetzlich garantierten Mindesturlaubs.

Wenn der Arbeitnehmer stirbt, wird der Anspruch auf Ausgleichszahlung Bestandteil der Erbmasse. Da diese Vererblichkeit im deutschen Recht nicht vorgesehen ist, können sich die Erben hierzulande zukünftig zur Begründung ihres Anspruchs unmittelbar auf das Unionsrecht berufen.

 
*- Az. C-619/16 und C-684/16 -

  • Az. C-569/16 und C-570/16 -*