Ein neues Instrument des Zivilprozessrechts: Die Musterfeststellungsklage

Die neue Klagemöglichkeit im Diesel-Aufstand

Seit wenigen Tagen (01. November 2018) sind in Deutschland sogenannte Musterfeststellungsklagenmöglich. Das deutsche Zivilprozessrecht hält also ein neues Instrument bereit, mit dem Verbraucher ihre Rechte gegen Konzerne einfacher durchsetzen können. Da sich das Thema gerade im Hinblick auf mündliche Prüfungen perfekt für Zusatzfragen eignet, haben wir für Dich nochmal die wichtigsten Details zur Musterfeststellungsklage zusammengefasst.   

 

Worum geht es und warum gibt es in Deutschland nun die Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage?

Spätestens seitdem im Jahr 2015 der VW-Abgasskandal eine scheinbar nie endende Klageflut (bisher 23.800 Einzelklagen) auslöste, entstand für den Bundestag zwingender Handlungsbedarf, um das Funktionieren des deutschen Rechtssystems sicherzustellen. Bereits zwei Stunden nach Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen zur Einführung der Musterfeststellungsklage war auch schon das erste Verfahren anhängig – wie erwartet gegen den VW Konzern. Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) reichte eine 246 Seiten mächtige Klage gegen VW ein und am Tag darauf eine Klage gegen die Volkswagen Bank: Kunden der VW Bank sollen wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrungen ihre seit Juni 2014 abgeschlossenen Autokredite widerrufen und damit auch ihre Autos zurückgeben können. Den Verbraucherschützern hat sich nun auch der ADAC mit seinen 20 Millionen Mitgliedern angeschlossen - eine seltene Allianz im Kampf gegen den Betrug in Zeiten zahlreicher Dieselaffären und fortschreitender Dieselfahrverbote. Die - insbesondere Diesel fahrende und vom Skandal betroffene - Bevölkerung fragt sich, wieso die Autokonzerne mit den Skandalen durchkommen, wieso das Problem nicht entschieden und technisch nachhaltig behoben wird, wieso sie nicht entschädigt werden, sondern sich stattdessen mit Fahrverboten und deutlichen Wertminderungen ihrer Fahrzeuge arrangieren sollen. Die Einführung der Musterfeststellungsklage gibt ihnen neue Hoffnung, ihre Rechte durchsetzen zu können. 

 

Wo ist die Musterfeststellungsklage geregelt?

In der Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung heißt es, dass die Musterfeststellungsklage dazu dienen soll die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher zu verbessern. Denn das heutige Wirtschaftsleben hinterlässt immer wieder eine Vielzahl von Geschädigten, deren Ansprüche auf demselben unrechtmäßigen Verhalten von großen Konzernen beruhen. Wenn der erlittene Nachteil im Einzelfall aber gering ist, sehen Individuen häufig von einer gerichtlichen Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche ab. Denn der erforderliche Aufwand ist aus ihrer Sicht unverhältnismäßig. Kommt darüber hinaus eine Einigung der Parteien – etwa im Rahmen der außergerichtlichen Streitschlichtung – nicht zustande und sehen die Betroffenen von einer Klage ab, würde der unrechtmäßig erlangte Gewinn bei dem Anbieter verbleiben, der hierdurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Wettbewerbern erzielt. Um diesem Ergebnis entgegenzuwirken, können nun Verbraucherverbände strittige Fragen in einem Musterprozess grundsätzlich klären lassen.

Das Musterfeststellungsverfahren wurde in mehreren unterschiedlichen bestehenden Gesetzen verankert (GVG, BGB, ArbGG, GKG, usw.). Die wesentlichen Bestimmungen finden sich aberin den §§ 606 ff. ZPO. Dort ist nun ausdrücklich das Musterfeststellungsverfahren geregelt.

 

Wie läuft das Verfahren ab?

Wie Du der Bezeichnung entnehmen kannst, handelt es sich bei der Musterklage um ein Feststellungsverfahren. Somit können betroffene Verbraucherinnen und Verbraucher das Vorliegen oder Nichtvorliegen zentraler anspruchsbegründender bzw. anspruchsausschließender Voraussetzungen feststellen lassen. Die Musterfeststellungsklage soll ausschließlich zwischen dem klagenden Verbraucherschutzverband und der beklagten Partei geführt werden. Die Teilnahme an der „Sammelklage“ soll auf einfache Weise dadurch erfolgen können, dass der Verbraucher sich in eine Liste einträgt, wofür nach § 608 ZPO keine Kosten anfallen sollen.

Vorausgesetzt werden aber mindestens zehn Verbraucher, die den gleichen Schaden glaubhaft machen können. Der Verband meldet dann die Klage an - beim Bundesamt für Justiz wird sodann ein Klageregister eingerichtet. Innerhalb einer Frist von zwei Monaten müssen sich nun 50 Geschädigte in das Klageregister eintragen. Erst dann kann der Prozess vor einem Landgericht starten. Wer sich registrieren lässt, verliert damit allerdings gem. ** 610 III ZPO** das Recht zur eigenen Klage. Wenn der Verbraucher sich angemeldet hat, darf er seine Ansprüche aus dem gleichen Lebenssachverhalt also nicht mehr selbst geltend machen. Er ist dann an die Prozessführung in der Sammelklage durch den Verbraucherschutzverein gebunden, ohne selbst Einfluss nehmen zu können. Eine danach erhobene eigene Klage wäre aufgrund „doppelter Rechtshängigkeit“ unzulässig (siehe § 261 III Nr. 1 ZPO).

Zu beachten ist dabei auch die neue Regelung des ** 613 II ZPO**: Hat der Verbraucher bereits ein eigenes Verfahren gegen das Unternehmen eingeleitet und meldet sich dann trotzdem zusätzlich bei der Sammelklage an, dann müsste die bereits eingeleitete Klage bis zur Erledigung der Sammelklage ausgesetzt werden - das eigene Verfahren dürfte somit nicht mehr weiter betrieben werden, sodass der Verbraucher hierdurch gegebenenfalls wertvolle Zeit und aufgrund der zeitlichen Verzögerung auch Ansprüche verlieren könnte. Das Verfahren würde dann nämlich erst nach Abschluss der Musterfeststellungsklage wieder aufgenommen werden. Als „Negativ-Beispiel” für ein solches Szenario sei an dieser Stelle an das seit 2006 andauernde Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz-Verfahren gegen die Telekom erinnert - auch „Lex Telekom” genannt. Diesem Verfahren lagen etwa 16.000 gleich gelagerte Gerichtsverfahren gegen die Deutsche Telekom zugrunde, mit denen Einzelpersonen als Aktionäre Schadensersatz wegen womöglich falscher Angaben in einem Verkaufsprospekt verlangen. 

 

Wer ist klageberechtigt und welchen Mehrwert bringt das neue Verfahren?

Klageberechtigt sind keine Individuen, sondern ausschließlich bestimmte Verbraucherschutzverbände. Eine Einschränkung erfolgt dahingehend, dass nur Dachverbände mit mindestens zehn Mitgliedsverbänden oder mindestens 350 Mitgliedern klagen dürfen. Außerdem müssen die Organisationen mindestens seit vier Jahren in einer vom Bundesamt für Justiz geführten Liste erfasst sein. Daneben müssen sich die Verbände nachweislich auf Verbraucherinteressen konzentrieren und dürfen sich höchstens zu fünf Prozent aus Zuwendungen von Unternehmen finanzieren. Dies entspricht auch dem Regelungsgehalt des ** 606 I Nr. 1-5 ZPO**.

Die Musterklage dient dazu, dass bestimmte Rechtsverhältnisse oder Anspruchsvoraussetzungen für eine Vielzahl von betroffenen Verbrauchern gegenüber einem Unternehmen verbindlich festgestellt werden. Gibt das Gericht der Musterfeststellungsklage statt, müssen die Verbraucher ihre Ansprüche gegen den Unternehmer zwar in einem Folgeprozess noch einzeln einklagen, allerdings ist das Gericht im Folgeprozess an die Feststellungen des Musterfeststellungsurteils gebunden. Außerdem ist das Verfahren für die Verbraucher kostenfrei, da das Prozesskostenrisiko die Verbraucherzentrale trägt. Wer sich ins Klageregister eingetragen hat, kann den Ausgang des Prozesses abwarten und dann entscheiden, ob und wie er weitermachen will.  

§ 606 ZPO Musterfeststellungsklage

(1) Mit der Musterfeststellungsklage können qualifizierte Einrichtungen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer begehren. Qualifizierte Einrichtungen im Sinne von Satz 1 sind die in § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Unterlassungsklagengesetzes bezeichneten Stellen, die

 1. als Mitglieder mindestens zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben,

 2. mindestens vier Jahre in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes oder dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. L 110 vom 1.5.2009, S. 30) eingetragen sind,

 3. in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehmen,

 4. Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erheben und

 5. nicht mehr als 5 Prozent ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen.

Bestehen ernsthafte Zweifel daran, dass die Voraussetzungen nach Satz 2 Nummer 4 oder 5 vorliegen, verlangt das Gericht vom Kläger die Offenlegung seiner finanziellen Mittel. Es wird unwiderleglich vermutet, dass Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, die Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllen.

(2) Die Klageschrift muss Angaben und Nachweise darüber enthalten, dass

 1. die in Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen vorliegen;

 2. von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen.

Die Klageschrift soll darüber hinaus für den Zweck der Bekanntmachung im Klageregister eine kurze Darstellung des vorgetragenen Lebenssachverhaltes enthalten. § 253 Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Die Musterfeststellungsklage ist nur zulässig, wenn

 1. sie von einer qualifizierten Einrichtung im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 erhoben wird,

 2. glaubhaft gemacht wird, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen und

 3. zwei Monate nach öffentlicher Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister wirksam angemeldet haben.

 

Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage (PDF, 50KB) -