Airlines können sich bei Streiks nicht mehr pauschal auf “außergewöhnliche Umstände” berufen
Wenn das Sicherheitspersonal am Flughafen streikt, dann entsteht schnell Chaos an den Passagierkontrollen - insbesondere dann, wenn hierdurch auch noch Flüge gestrichen werden. Doch ist den Airlines in solchen Fällen zuzumuten, ihre Maschinen trotzdem zu starten? Von dieser Frage hängt es ab, ob den gestrandeten Passagieren eine Entschädigung zusteht. Der Entscheidung des BGH wird eine Signalwirkung zugesprochen. Im Hinblick auf die erst frisch in Kraft getretenen Regelungen zum Reisevertragsrecht vom 01. Juli 2018, solltest Du Dir die Entscheidung und die Neuregelungen unbedingt anschauen.
Worum geht es?
Der BGH hat aktuell darüber entschieden, ob Flugpassagieren eine Entschädigung zusteht, wenn ihr Flug aufgrund eines Streiks gestrichen wurde. Streiks galten bislang als “außergewöhnliche Umstände” - im Volksmund auch als “höhere Gewalt” bezeichnet. Airlines sahen sich in solchen Fällen von ihrer Pflicht entbunden, etwaige Entschädigungen zahlen zu müssen und verwiesen dabei in der Regel auf die EU-Fluggastrechteverordnung und eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2012. Damals hieß es: Wenn der Flugplan wegen eines Streiks nicht wie geplant durchgeführt werden kann, dann ist das ein “außergewöhnlicher Umstand” - es spiele dabei keine Rolle, ob eigene Mitarbeiter (wie etwa Piloten) oder Mitarbeiter eines anderen Unternehmens (zum Beispiel Sicherheitskräfte) streiken. Wenn eine Gewerkschaft zum Streik aufrufe, dann komme dies zudem”von außen” und sei für die Airline nicht beherrschbar. Doch dieses Mal liegt der Fall etwas anders - dafür sorgen auch gleich zwei aktuelle Urteile aus Luxemburg, denen sich der BGH in seiner Entscheidung weitestgehend anschließt.
Im konkreten Fall klagte ein Ehepaar, dessen Flug mit der Billigairline Easyjet von Hamburg nach Lanzarote im Februar 2015 ausfiel, da es am Hamburger Flughafen einen Streik des Sicherheitspersonals bei den Passagierkontrollen gab. Für den verpassten Flug fordert das Paar einen finanziellen Ausgleich in Höhe von 900 Euro. In den Vorinstanzen waren sie jedoch bisher unter Bezugnahme auf die “außergewöhnlichen Umstände” beide Male erfolglos. Zur Begründung führte das Landgericht Hamburg aus, dass die Probleme bei den Sicherheitskontrollen von einer Fluggesellschaft nicht beherrschbar seien. Aufgrund des Streiks konnten Sicherheitskontrollen nicht mit der gewohnten Sorgfalt durchgeführt werden, sodass hierdurch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko bestanden habe, das die Airline nicht zu verschulden habe. Das Ehepaar hatte aber bereits mehrere Stunden vor Abflug die Kontrollen passiert und wartete reisefertig am Gate. Nach Ansicht ihres Anwalts hätte Easyjet zumindest die bereits abgefertigten Passagiere mit an Bord nehmen und befördern müssen - die Maschine hob aber ohne Passagiere ab.
BGH folgt der Tuifly-Entscheidung des EuGH
Der BGH hat das Urteil des Landgerichts nun aber aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurück nach Hamburg verwiesen. Der für das Reiserecht zuständige X. Zivilsenat sah den Streik zwar grundsätzlich geeignet, außergewöhnliche Umstände zu begründen, macht dabei auch deutlich, dass dies nach der Fluggastrechteverordnung jedoch voraussetze, dass sich die Folgen des Ausstands nicht mit zumutbaren Maßnahmen abwenden ließen und diese Folgen die Absage des Fluges notwendig machten. Allgemein bedeutet dies nun: Hätte die Airline die zum Streik führenden Umstände verhindern können, dann kann sie sich im Nachhinein nicht auf den “außergewöhnlichen Umstand” berufen.
Der BGH folgt damit zwei Urteilen aus Luxemburg, die erst kürzlich in ähnlich gelagerten Fällen ergangen sind: Vor wenigen Wochen entschied das Friedensgericht Luxemburg, dass die betroffenen Passagiere eines Lufthansa-Pilotenstreiks für die gestrichenen Flüge eine entsprechende Entschädigung erhalten müssten. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die Piloten vor dem Streik etwa fünf Jahre lang keine Gehaltserhöhung bekommen hatten und dem bereits 13 andere Streiks vorausgegangen waren. Die Umstände, die aufgrund des Streiks zu den stornierten Flügen geführt hatten, seien daher für die Lufthansa nicht unerwartet gekommen. Dabei beriefen sich die Richter auf das sogenannte Tuifly-Urteil, einem Meilenstein des Europäischen Gerichtshofs (EuGH): Der EuGH hatte im April entschieden, dass ein Streik nicht generell als “außergewöhnlicher Umstand” nach der EU-Fluggastrechteverordnung angesehen werden könne. Vielmehr komme es auf den Einzelfall und die dabei maßgebliche Frage an, ob der jeweilige Vorfall Teil der normalen Geschäftstätigkeit der Fluggesellschaft und für sie auch beherrschbar sei.
Bei der Entscheidung des EuGH ging es um einen sogenannten “Wilden Streik” (auch “go-sick” genannt) und der damit verbundenen Frage, ob sich dieser unter die “außergewöhnlichen Umstände” subsumieren lasse. Im Herbst 2016 hatte sich ein großer Teil der Tuifly-Mitarbeiter plötzlich krank gemeldet, sodass mehr als 100 Flüge gestrichen werden mussten. Tuifly hatte ihre Mitarbeiter nämlich über Umstrukturierungspläne informiert, die bei der Belegschaft auf starken Widerstand gestoßen waren. Aufgrund der darauffolgenden Krankmeldungen kam der Flugverkehr der Airline größtenteils zum Erliegen, sodass viele Passagiere ihre Reisen umplanen oder ganz absagen mussten. Tuifly wollte die Kosten hierfür mit dem Verweis auf die “außergewöhnlichen Umstände” nicht übernehmen. Gerichte lehnten die Entschädigungsansprüche mehrheitlich ab und ordneten die “Wilden Streiks” unter die Ausnahmeregelung der Fluggastrechte-Verordnung. Die Amtsgerichte Hannover und Düsseldorf waren sich allerdings über die Auslegung der Verordnung nicht ganz sicher, sodass sie den EuGH um Klärung ersuchten, ob es sich bei den massenhaften Krankmeldungen tatsächlich um außergewöhnliche Umstände handeln könne. Der EuGH stellte sodann fest, dass außergewöhnliche Umstände bei Krankmeldungen nur dann in Betracht kämen, wenn sie einen für die Durchführung der Flüge erheblichen Teil des Personals betreffen. Was ein “erheblicher Teil” des Personals wiederum ist, mussten die Gerichte dann alleine bestimmen. Abschließend betonte der EuGH aber, dass außergewöhnliche Umstände nur dann als solche anzusehen seien, wenn sie für das Unternehmen nicht durch zumutbare Maßnahmen hätten verhindert werden können.
- *EuGH Urteil vom 17. April 2018, Az. C-195/17*
Auswirkungen auf andere Airlines?
Zudem stellte der BGH fest, dass sich aus den Feststellungen des LG Hamburg nicht ergebe, dass die Airline aufgrund der überfüllten Passagierkontrollen auf dem Flug überhaupt keine Reisenden hätte mitnehmen können. Den Flug hätte die Airline aufgrund etwaiger Sicherheitsrisiken ohnehin nicht von sich aus streichen können, da hierfür allein die Luftsicherheitsbehörde zuständig sei.
Die Entscheidung könnte auch weitere Airlines in Bedrängnis führen, wie etwa die Billigairline Ryanair: Hier kam es Mitte August zu einem 24-Stunden-Streik von Ryanair-Mitarbeitern in mehreren Ländern, in dem die Mitarbeiter um bessere Arbeitsbedingungen kämpften. Europaweit waren etwa 55.000 Passagiere von der Arbeitsniederlegung betroffen, weil 400 Flüge gestrichen werden mussten - 250 davon allein in Deutschland.
Kritische Stimmen sehen in der Entscheidung des BGH allerdings zu hohe Anforderungen für die Airlines und fragen sich, wie eine Airline bei Streiks künftig bei ihrer Sicherheitskontrolle innerhalb kürzester Zeit beurteilen können soll, ob einem Flug Bedenken bei der Sicherheit entgegenstehen oder nicht. Dem schließt sich die Frage an, welche praktischen Maßnahmen den Airlines dann zur Verfügung stünden.
Festzuhalten bleibt also: Auch Streiks an Passagierkontrollen können zwar grundsätzlich außergewöhnliche Umstände begründen. Dies setzt nach der Fluggastrechteverordnung aber voraus, dass sich die Folgen des Ausstands nicht mit zumutbaren Maßnahmen abwenden lassen und diese Folgen die Absage des Flugs notwendig machen. In Vorbereitung auf Deine Prüfungen empfiehlt es sich an dieser Stelle auch die neuen Regelungen zum Reisevertragsrecht, die erst kürzlich am 01. Juli 2018 in Kraft getreten sind, zu wiederholen. Wir haben Dir hierfür ein spezielles und kostenloses 10-Tage-Paket erstellt, mit dem Du Dir die Änderungen in Ruhe anschauen und lernen kannst. Schreibe uns eine einfach eine Email mit dem Betreff“Reiserecht”aninfo@jura-online.de und wir schalten Dir das unverbindliche 10-Tage-Paket frei.
- BGH Urteil vom 04. September 2018 - Az. X ZR 111/17 -
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