Beleidigung durch sexualbezogene Handlung

A. Sachverhalt

Das Landgericht hat die Angeklagten Britta B., Roger H. und Siegfried T. von dem Vorwurf der sexuellen Nötigung und den Angeklagten Hans S. von dem Vorwurf der versuchten Vergewaltigung zum Nachteil der damals 14jährigen Nebenklägerin freigesprochen. Es konnte nicht klären, ob die sexuellen Handlungen an der Nebenklägerin gegen deren Willen und mit Gewalt oder einvernehmlich vorgenommen worden sind (UA S. 13/14, 32, 39). Gegen dieses Urteil richtet sich die zulässige Revision der Nebenklägerin, die mit der Sachrüge Erfolg hat.

B. Worum geht es?

Die Nebenklägerin rügt, dass die Angeklagten nicht wegen (tätlicher) Beleidigung gemäß § 185 StGB verurteilt worden seien.

Der BGH hatte deshalb die Frage zu beantworten:

“Kommt eine Strafbarkeit wegen Beleidigung in Betracht, wenn der Täter sexuelle Handlungen an oder vor einem Jugendlichen vornimmt, ohne hierdurch den Tatbestand eines Sexualdelikts zu erfüllen?“

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH hebt im Fall „Beleidigung durch sexualbezogene Handlung“ (Urt. v. 14.05.1986 – 3 StR 504/85 (NJW 1986, 2442 ff.)) den Freispruch der Angeklagten auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Nimmt der Täter sexuelle Handlungen an oder vor einem Jugendlichen vor, ohne hierdurch den Tatbestand eines Sexualdelikts zu erfüllen, so komme eine Bestrafung wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB in Betracht, wenn das Verhalten des Täters wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls über die mit der sexuellen Handlung regelmäßig verbundene Beeinträchtigung hinaus einen Angriff auf die Geschlechtsehre des Jugendlichen enthalte.

 

Zunächst stellt der BGH die Entwicklung der Rechtsprechung dar, weist aber zugleich darauf hin, dass sich durch das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 Änderungen ergeben könnten:

„Das Reichsgericht hat den Geschlechtsverkehr oder die Vornahme anderer sexueller Handlungen an Mädchen unter 18 Jahren als möglichen Fall einer nach § 185 StGB strafbaren tätlichen Beleidigung angesehen. Hierbei hat es insbesondere auf das Alter des Mädchens und dessen Verständnis für den Wert der Wahrung der Geschlechtsehre abgestellt (z.B. RGSt 60, 34;  71, 349;  75, 179). Der Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsprechung im wesentlichen gefolgt (BGHSt 1, 288; 5, 362; GA 1966, 338; DRiZ 1971, 242). Durch das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) vom 23. November 1973 (BGBl. I 1725) ist das Sexualstrafrecht neu geregelt worden. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu der hier erheblichen Frage, ob sexuelle Handlungen, die keinen Tatbestand des neuen Sexualstrafrechs erfüllen, entsprechend der früheren Rechtsprechung als tätliche Beleidigung beurteilt werden können, liegen, soweit ersichtlich, nicht vor.“

Sodann stellt der 3 Strafsenat die Veränderungen dar, die sich durch die Reform der Sexualstraftaten ergeben haben:

„Das 4. StrRG hat infolge der gewandelten Auffassung über die Strafwürdigkeit sexueller Verhaltensweisen und neuer Erkenntnisse über die Sozialschädlichkeit solcher Handlungen die Grenze zwischen strafbarem und straffreiem Tun neu gezogen. Dem waren intensive, unter Heranziehung von Sachverständigen geführte Beratungen in dem Sonderausschuß des Deutschen Bundestags für die Strafrechtsreform vorausgegangen (zur Entstehungsgeschichte vgl. Laufhütte in LK, 10. Aufl. vor § 174). Dabei ist dem Jugendschutz und der Festlegung eines bestimmten Schutzalters bei den einzelnen Jugendschutztatbeständen besondere Beachtung geschenkt worden (Laufhütte a.a.O. Rdn. 7 ff. vor § 174). Deshalb verzichtet z.B. der neue § 180 Abs. 1 StGB bei der Förderung sexueller Handlungen Jugendlicher unter 16 Jahren auf die früher die Strafbarkeit einschränkenden Kriterien des Eigennutzes und der Gewohnheitsmäßigkeit. Der Gesetzgeber wollte hierdurch “die geschlechtliche Entwicklung junger Menschen vor Manipulationen Dritter abschirmen” (BTDrucks. VI/1552 S. 22), nicht aber Minderjährige vor der Vornahme sexueller Handlungen durch den Täter schützen. Insoweit enthalten - wie sich auch aus der Begründung der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf ergibt (BTDrucks. a.a.O. S. 23) - die §§ 176 und 174 eine abschließende Regelung. Darüber hinausgehende Sondervorschriften, z.B. die §§ 175, 182 StGB, greifen ein, wenn die im Einvernehmen mit dem Jugendlichen vorgenommene sexuelle Handlung durch weitere tatbestandserhebliche Merkmale, z.B. Gleichgeschlechtlichkeit oder Verführung, gekennzeichnet ist.“

Der Gesetzgeber habe mit der Reform eine sorgfältig abgewogene Differenzierung der gesetzlichen Regelung vorgenommen. Damit sei es nicht vereinbar, sexuelle Handlungen an Jugendlichen dann, wenn der Tatbestand eines Sexualdelikts nicht vorliegt, allgemein oder in bestimmten Fällen nach § 185 StGB zu ahnden:

„Das würde darauf hinauslaufen, die vom Gesetzgeber festgelegten und je nach Unrechtsgehalt der Sexualhandlung unterschiedlich abgestuften Schutzaltersgrenzen zum Nachteil des Täters zu verschieben. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob es in solchen Fällen schon tatbestandlich an einer Beleidigung fehlt, weil zwischen Scham- und Ehrverletzung zu unterscheiden sei (so z.B. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 22. Aufl. § 185 Rdn. 4; Herdegen in LK, 9. Aufl. § 185 Rdn. 14), oder § 185 StGB lediglich infolge der Sondervorschriften des Sexualstrafrechts verdrängt wird (so z.B. Laufhütte a.a.O. § 174 Rdn. 23, § 182 Rdn. 6 für die Fälle des sexuellen Mißbrauchs Schutzbefohlener und der Verführung; vgl. auch BGH StV 1982, 14 für den Fall der versuchten Vergewaltigung). Die Ausgestaltung der einzelnen Tatbestände im 4. StrRG führt jedenfalls, worauf im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich hingewiesen worden ist, “zu einer Entlastung des Beleidigungsstrafrechts und damit auch … zu einer rechtsstaatlichen Präzisierung der Tatbestandsumschreibung” (vgl. die unwidersprochen gebliebenen Äußerungen der Regierungsvertreter in der 58. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in der 6. Wahlperiode Prot. S. 1771, 1787 und in der 6. Sitzung in der 7. Wahlperiode Prot. S. 85: “gesunde Tendenz, die bisherige ‘Lückenbüßerfunktion’ des § 185 zu beschränken”).“

Für eine Bestrafung nach § 185 StGB komme es danach nicht auf eine mit der sexuellen Handlung etwa regelmäßig verbundene Beeinträchtigung der Geschlechtsehre an. Maßgebend sei vielmehr, ob die besonderen Begleitumstände, unter denen die sexuellen Handlungen angebahnt oder vorgenommen werden, oder die Art und Weise ihrer Vornahme das Verhalten des Täters trotz des Einverständnisses des Jugendlichen als einen Angriff auf dessen Ehre erscheinen lassen:

„Ob eine solche vom Täter konkludent erklärte Mißachtung des Jugendlichen durch dessen Einbeziehung in sexuelle Handlungen vorliegt, muß in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller die Tatsituation kennzeichnenden Besonderheiten beurteilt werden, auch wenn es sich um ein gerade dem Schutzalter des § 176 StGB entwachsenes Mädchen handelt. Hierbei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob dem Jugendlichen das Verständnis für die Bedeutung der Preisgabe der Geschlechtsehre noch fehlt und er sich durch das ihm angesonnene Verhalten trotz der inzwischen weitgehend akzeptierten Liberalisierung der Sexualnormen allgemeiner Mißachtung aussetzt. Denn für die Verwirklichung des Beleidigungstatbestandes kann es keinen Unterschied ausmachen, ob der Täter den Jugendlichen mit Worten als Dirne oder Strichjungen bezeichnet oder ob er eine entsprechende Mißachtung durch sein (Sexual) Verhalten dem Jugendlichen gegenüber konkludent zum Ausdruck bringt.“

 

Weil die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Beleidigung gewürdigt hat, liegt ein sachlich-rechtlicher Mangel vor, der zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache führt.

D. Fazit

Die Frage der Strafbarkeit einer Beleidigung durch sexualbezogene Handlungen ist sehr problematisch. Dabei gab es durchaus die Neigung, § 185 StGB zu einem Auffangtatbestand für „kleine Sexualdelikte“ zu machen. Nämlich immer dann, wenn das Handeln des Täters nicht als Sexualstraftat bestraft werden konnte, etwa weil die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB nicht erreicht wurde oder keine „Gewalt“ angewendet wurde. In den nächsten Wochen werden wir weitere Beispiele aus diesem Problemkreis vorstellen.

An dieser Stelle aber noch ein wichtiger Hinweis: Mit der Einführung des Straftatbestandes „Sexuelle Belästigung“ (§ 184i StGB, siehe dazu auch die von uns vorgestellte erste Grundsatzentscheidung des BGH) hat der Gesetzgeber reagiert und ein recht niedrigschwelliges Sexualdelikt geschaffen, um eine vermeintliche Strafbarkeitslücke zu schließen:

„Mit § 184i StGB-E wird sichergestellt, dass derartige Handlungen, die die Schwelle der sexuellen Erheblichkeit nicht erreichen, zukünftig strafrechtlich zweifelsfrei erfasst werden. Denn die Handlungen  sind geeignet, das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung in einem Ausmaß zu tangieren, dass sie als strafwürdig anzusehen sind.“ (BT-Drs. 18/9097, S. 30)

Damit wird das „Bedürfnis“ nach einer Anwendung von § 185 StGB sinken.

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