Ist die Rückkehr zur Wehrpflicht verfassungsrechtlich überhaupt möglich?
Die Bundeswehr hat Nachwuchssorgen - angesichts der bestehenden Rekrutierungsprobleme diskutieren Koalitionspolitiker über die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder die Einführung einer “allgemeinen Dienstpflicht”. Die Debatte sorgt für reichlich Kritik.
Worum geht es?
Vor sieben Jahren, zum 01. Juli 2011, wurde die allgemeine Wehrpflicht – mit guten sicherheitspolitischen, finanziellen und rechtlichen Gründen – ausgesetzt. Damals ist die Bundesregierung davon ausgegangen, dass die Bundeswehr künftig als sogenannte Krisenreaktionskraft im Ausland tätig wird und nicht mehr hauptsächlich für die Bündnis- und Landesverteidigung. Der Grund dafür lag in der fehlenden Bedrohung durch den Warschauer Pakt der Ostblockstaaten, der 1991 aufgelöst wurde. Logische Konsequenz war eine Verkleinerung der Bundeswehr (von ca. 255.000 auf 185.000 Soldaten) mit dem Ziel, einerseits eine kleinere, hochprofessionelle Armee aus Spezialisten zur Verfügung zu haben und auf der anderen Seite Kosten zu sparen.
Nun wird über die Wiederaufnahme der Wehrpflicht in einer anderen Form diskutiert: Dem sog. „Gesellschaftsjahr“. Die Initiative hierzu kam aus der CDU von Annegret Kramp-Karrenbauer, nach deren Vorschlag das Gesellschaftsjahr ein zwölfmonatiges Engagement – militärisch oder als Zivildienst – für alle Schulabgänger, also Männer und Frauen verpflichtend absolviert werden soll. Bezweckt werden soll damit bei den Heranwachsenden insbesondere die Entwicklung und Verbesserung sozialer Kompetenzen sowie auch eine persönliche individuelle Weiterentwicklung. Auch die Bundeswehr solle davon profitieren, wobei jedoch nicht sämtliche Probleme der Bundeswehr aus der Welt geschafft werden könnten. Kritik hagelt es insbesondere von Seiten der SPD und der Grünen: Man solle lieber soziales Engagement der Freiwilligendienste gerechter entlohnen. Auch wird bezweifelt, dass ein besserer gesellschaftlicher Zusammenhalt durch solch einen Zwangsdienst erreicht werden könne. Weitere Stimmen der Opposition tun die Diskussion als „Sommerloch-Debatte“ ab oder sehen das dafür aufzubringende Geld sinnvoller in das kränkelnde Pflegesystem Deutschlands investiert. Die Bundesregierung hat sich jedoch bereits dafür ausgesprochen, dass eine solche „Rückkehr zur Wehrpflicht“ nicht zur Debatte stehe.
Rund 8.500 freiwillige Wehrdienstleistende
Aktuell gestaltet sich die Situation so, dass die Bundeswehr 12.500 Stellen für freiwillige Wehrdienstleistende anbietet, wovon i.d.R. 8.500 besetzt seien. Dies werde für die Rekrutierung und die Nachwuchsgewinnung derzeit als ausreichend betrachtet. Laut des Ministeriums müsse aber insbesondere die Zukunft im Auge behalten werden, da sich die Lage in den kommenden Jahren aufgrund der alternden Gesellschaft und in Anbetracht der guten Arbeitsmarktsituation verschärfen werde. Es bestehe daher schon jetzt ein Bedürfnis, sich um passenden und ausreichenden Nachwuchs zu bemühen.
Bundesverteidigungsministerin von der Leyen sieht zum Ziel der Attraktivitätssteigerung militärischen und zivilen Diensten ebenfalls Aufarbeitungsbedarf. Es müssten insbesondere von Seiten der Bundeswehr persönliche Vorteile der jungen Menschen eingeräumt werden, die diese für ihr Engagement entlohnen. Auch dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass ein Großteil der Bundeswehr inzwischen auf hochprofessionelle Einsätze eingestellt sei, die mehrere Jahre Training erfordern. Hierfür würde ein einjähriges „Gesellschaftsjahr“ nicht die optimale Zuarbeit darstellen. Weitere CDU-Stimmen sprechen sich für den Dienst als ehrenwerte Idee aus, bestätigen aber, dass das Grundgesetz solch einen verpflichtenden, mit anderen Worten erzwungenen Arbeitseinsatz nicht vorsehe. Auch müssten die enormen Finanzmittel für die bis zu 700.000 jungen Menschen pro Jahr einberechnet werden. Diese würden wiederum Einschnitte in anderen Bereichen, auch bei der Bundeswehrausrüstung nach sich ziehen.
Verfassungsrechtliche Voraussetzungen
Rechtlich unmöglich ist die „Wiedereinführung der Wehrpflicht“ nicht - sie wurde 2011 lediglich ausgesetzt und steht weiterhin im Grundgesetz. Gemäß Art. 12 a I GG können Männer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. Dies stellt eine Ausnahme des in Art. 12 II GG festgelegten Verbots der Zwangsdienste dar, in dem es heißt, dass niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf - außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen und öffentlichen Dienstleistungspflicht.
Um diese Pflicht der Ableistung eines sogenannten Gesellschaftsjahres (wieder-)einzuführen, bedürfte es somit einer Grundgesetzänderung, die wiederum auf einer dafür erforderlichen Zweidrittelmehrheit im Bundestag fußen müsste, vgl. Art. 79 II GG. Zu beachten ist dabei aber, dass sich neben der Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundesrat und Bundestag, eine etwaige Änderung des Grundgesetzes auch an der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG messen lassen müsste.
Angesicht der bestehenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Wehrpflicht, dürfte der Wiedereinführung nur wenig Erfolg zuzusprechen sein: Das BVerfG sieht weder in dem früheren Zivildienst oder dem aktuell absolvierbarem sozialen (FSJ) oder ökologischen (FÖJ) Jahr eine solche „herkömmliche Pflicht“, die die Ausnahmeregelung des Art. 12 a I GG rechtfertigen würde. Lediglich etwa Feuerwehr- oder Deichschutzpflichten sollen einen solch verpflichtenden Dienst darstellen.
Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich auch daraus, dass ein allgemeiner Pflichtdienst einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die Freiheitsrechte der zu Verpflichtenden bedeuten würde. Daher bedürfte es umso mehr einer guten verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieser Eingriffe - die Personalnot der Bundeswehr oder der Pflegedienste solle hierfür nicht genügen. Hieran ändere auch die Krim-Ergreifung Russlands und die damit einhergehende Brisanz von Landes- und Bündnisverteidigung nichts, da trotz der geplanten Aufstockung auf bis zu 198.000 Soldaten kein sicherheitspolitisches Bedürfnis für die Wehrpflicht bestehe.
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