Urteil zu Kindesmissbrauch in Staufen

Urteil zu Kindesmissbrauch in Staufen

Nach der juristischen Aufarbeitung soll eine politische folgen

Mehrere Jahre lang missbrauchte eine Mutter zusammen mit ihrem Lebensgefährten ihren eigenen Sohn. Zudem verkauften sie ihn im Darknet an Pädophile aus dem In- und Ausland für Missbrauchshandlungen. Das Landgericht Freiburg hat nun beide zu langen Haftstrafen verurteilt.  

 

Worum geht es?

Der schreckliche Missbrauchsfall aus Staufen bei Freiburg löste bundesweites Entsetzen aus und erreichte laut Landeskriminalamt eine bis dahin nie dagewesene Dimension. Die Sichtung der Fotos und Filme sowie das Ausmaß des Falles hatten die Ermittler und die am Prozess Beteiligten an ihre Grenzen gebracht: Die an dem mittlerweile zehnjährigen Jungen begangenen schweren Sexualstraftaten wurden gefilmt und im Internet in einschlägigen Foren des Darknets verbreitet. Neben Vergewaltigungen zeigen sie auch Erniedrigungen, Misshandlungen und Beschimpfungen, während der Junge maskiert und gefesselt wurde. Für etwa 60 Taten wurde die 48-jährige Mutter und ihr 39-jähriger Lebensgefährte angeklagt.

Die Jugendkammer des Landgerichts Freiburg (LG) hat die beiden Hauptangeklagten jetzt zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwölf Jahren bzw. zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Während gegen die Frau eine etwas höhere Strafe verhängt wurde, hat das LG bei dem Mann auch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet, welche er zuvor auch selbst für sich gefordert hatte. Verhandelt wurde auch über einen Missbrauchsfall eines dreijährigen Mädchens, dem die Angeklagten zudem 12.500 € Schmerzensgeld zahlen müssen.

 

Zwar unterdurchschnittlich intelligent, aber uneingeschränkt strafrechtlich verantwortlich

Das Gericht stellte letztlich fest, dass sich der bereits einschlägig vorbestrafte Angeklagte in insgesamt 21 Fällen, die Mutter des Jungen hingegen in 19 Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gemacht habe - teilweise in Tateinheit mit schwerer Vergewaltigung, Vergewaltigung, schwerem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, schwerer Zwangsprostitution, Herstellung kinderpornografischer Schriften, Missbrauch von Schutzbefohlenen und anderen Delikten.

Laut Gericht liege bei dem Angeklagten eine Störung im Sinne einer Pädophilie mit hetero- und homosexueller Ausprägung vor, zudem eine sexuelle aggressiv-destruktive Nebenströmung sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Anteilen. Die bei ihm zu diagnostizierende Störung der Sexualpräferenz erreiche aber nicht das Ausmaß einer krankhaften seelischen Störung, einer anderen schweren seelischen Abartigkeit oder gar eines Schwachsinns im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Es lag auch bei keiner der Taten eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vor, sodass das Gericht bei ihm von einer uneingeschränkten strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei der Begehung sämtlicher Taten ausging.

Bei der Mutter des missbrauchten Jungen lag ebenfalls keine seelisch-geistige Störung vor, die geeignet wäre, die Merkmale der §§ 20, 21 StGB zu erfüllen. Zwar ist bei ihr eine unterdurchschnittlich niedrige Intelligenz festzustellen, die sich im Grenzbereich zur leichten Intelligenzminderung verorten lasse. Da diese den Grenzbereich jedoch noch nicht überschreite, ging das Gericht auch bei ihr von einer uneingeschränkten strafrechtlichen Verantwortlichkeit aus. Die unterdurchschnittliche Intelligenz sei auch im Zusammenhang mit einer vorhandenen Persönlichkeitsfehlentwicklung nicht geeignet, eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit der Angeklagten zu begründen.

 

Er nannte sich “Onkel Luc”

Als sie den Mitangeklagten nach seiner Haftentlassung im Januar 2014 bei der “Tafel” in Staufen kennenlernte, soll sie von seiner pädosexuellen Orientierung und seiner Vorstrafe sowie dem Umstand, dass er unter Führungsaufsicht stand, gewusst haben. Zudem organisierte sie auf seinen Wunsch und nach detaillierter Absprache Begegnungen mit einem im Mai 2012 geborenen, geistig und motorisch etwas retardierten Mädchen, das der Angeklagten von deren Mutter gelegentlich für einige Stunden zur Betreuung und zum gemeinsamen Spielen mit dem Sohn der Angeklagten überlassen worden war. In der Folge kam es zu im Einzelnen abgesprochenen sexuellen Übergriffen gegen das Mädchen. Wenige Zeit später begannen sie damit, auch den Sohn der Angeklagten zu missbrauchen und ihn für pädophile Freier im Internet anzubieten.

Insgesamt sechs von ihnen hat das Gericht zu Haftstrafen zwischen siebeneinhalb und zehn Jahren verurteilt - zehn Jahre erhielt ein 33 Jahre alter Mann aus Spanien. Er hatte gestanden, den damals neunjährigen Jungen mehrfach missbraucht und der Mutter und deren Lebensgefährten hierfür mehr als 10.000 € gezahlt zu haben. Er reiste in der Zeit zwischen September 2016 und August 2017 mehrmals von Spanien nach Deutschland und mietete für den Missbrauch Ferienwohnungen in der Nähe von Freiburg an. Er selbst gab sich bei den Straftaten den Spitznamen “Onkel Luc”. Vor Gericht sagte er, dass er schwere Straftaten begangen und dem Jungen großes Leid zugefügt habe und eine Therapie machen wolle. Während des Prozesses wurde außerdem bekannt, dass gegen ihn in einem anderen Fall wegen Mordes ermittelt werde - er soll sich mit einem weiteren Mann in Weißrussland verabredet haben, um ein Mädchen zu missbrauchen und zu töten. Bislang sei jedoch noch nicht klar, um wen es sich bei dem Mädchen und dem vermeintlichen Mittäter handeln könnte - die Polizei wertet derzeit Videomaterial aus, das sie bei dem 33-Jährigen gefunden habe und woraus sich diese Informationen ergeben sollen.

 

Der Staat schuldet Rechenschaft und Transparenz

Der Junge aus Staufen lebt inzwischen bei einer Pflegefamilie. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, fordert nun nach der juristischen Aufarbeitung auch eine politische. Von den Behörden sei in der Vergangenheit zu viel versäumt worden und es seien falsche Entscheidungen getroffen worden, die dazu geführt hätten, dass dem Kindeswohl derart geschadet werden konnte. Das Kind war im Frühjahr 2017 vom Jugendamt zwar kurzzeitig in Obhut genommen worden, weil an der Erziehungsfähigkeit der Mutter gezweifelt wurde. Der Junge kam aber per Gerichtsentscheid schnell wieder zurück. Fraglich ist auch, wie der Lebensgefährte der Mutter, der den Behörden als verurteilter Sexualstraftäter bekannt war, nahezu unbehelligt mit ihr trotz bestehendem Kontaktverbots zu Kindern zusammen leben konnte.

Zudem empfinden Kritiker die Urteile als unzureichend: Die Höchststrafe für den besonders schweren Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern liegt bei 15 Jahren - wann, wenn nicht in diesem Fall, soll denn die Höchststrafe verhängt werden, fragt Prof. Dr. Heribert Prantl, Honorarprofessor für Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld. Der Staat sei seinen Bürgern jetzt schuldig, Fehler der Behörden schonungslos aufzuklären, damit sich Elternrecht nicht auf solch schreckliche Weise zu Elternunrecht verwandle. Der Staat müsse das Kind in solchen Fällen mit aller Kraft schützen. Im Missbrauchsfall von Staufen habe der Staat seine Schutzpflichten aber verletzt, weil die zuständigen Behörden nicht richtig zusammengearbeitet haben. Strukturelle Probleme bei Jugendfürsorge, Staatsanwaltschaft und Gerichten haben eine rechtzeitige Aufklärung und Rettung des Jungen verhindert, weil sie zu sehr in ihren eigenen jeweiligen Rastern gearbeitet haben. Der Staat schuldet seinen Bürgern mehr als ein Urteil gegen die Täter - er schuldet ihnen Rechenschaft und Transparenz, so Prantl.

 

Warum hat eigentlich die Jugendkammer des LG Freiburg über den Fall verhandelt und kein Erwachsenengericht?

Nach §§ 26 I 1, 74 b S. 1 GVG sind die Jugendgerichte auch für Straftaten Erwachsener zuständig, durch die ein Kind oder Jugendlicher verletzt oder unmittelbar gefährdet wird, sowie für Verstöße Erwachsener gegen Vorschriften, die den Jugendschutz oder der Jugenderziehung dienen. Grund hierfür ist, dass in diesen Verfahren zumeist die Kinder oder Jugendlichen als Zeugen zu vernehmen sind und die Jugendgerichte in dieser Hinsicht qualifizierter aufgestellt sind als die Erwachsenengerichte.  

- LG Freiburg (Breisgau) - AZ 6 KLs 160 Js 30250/17 AK 4/18 -