Freispruch im Wehrhahn-Prozess

Freispruch im Wehrhahn-Prozess

„Der schlimmste Vorwurf, den man einem Gericht machen kann”

18 Jahre und 4 Tage dauerte es, bis das Landgericht Düsseldorf sein Urteil fällte. Und es hat Ralf S., den Angeklagten im Prozess um den Bombenanschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000, freigesprochen - aus Mangel an Beweisen. Die Staatsanwaltschaft legte umgehend Revision ein. 

 

Worum geht es?

Vor fast genau 18 Jahren am 27. Juli 2000 explodierte an der Düsseldorfer S-Bahnstation ein Sprengsatz. Zehn Menschen wurden zum Teil schwer verletzt und eine junge Frau verlor ihr ungeborenes Kind - aufgrund der Detonation drang ein Metallsplitter in ihren Bauch ein. Bei den Opfern des Anschlags handelte es sich um eine Gruppe junger, aus Osteuropa eingewanderter Juden. Als wenige Monate später auch noch ein Brandanschlag auf eine Düsseldorfer Synagoge verübt wurde, ging man zunächst von einem ausländerfeindlichen Angriff aus. Der Verdacht fiel auf Ralf S. - er wohnte in der Nähe der Anschläge und betrieb dort einen Army Shop. Eine Zeit lang wurde er überwacht und auch mehrmals verhört, aber die Indizien reichten nicht für einen Prozess aus, sodass 2002 die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen ihn einstellte und im Jahre 2009 dann letztlich auch das gesamte Verfahren. Überraschend wurde dann im Februar 2017 gemeldet, dass Ralf S. von einem Spezialkommando festgenommen worden sei: Wegen unbezahlter Bußgelder hatte er eine kurze Haftstrafe verbüßt und soll dort einem Mithäftling gegenüber damit geprahlt haben, hinter dem Anschlag am S-Bahnhof zu stecken. Dieser brachte die Informationen an die Polizei - die Ermittlungen wurden wieder aufgenommen. Plötzlich sagte auch die ehemalige Freundin von Ralf S. aus. Der Polizei gelang es allmählich ein immer klareres Bild des sich bekennenden Ausländerfeindes zu konstruieren. Und trotzdem hat es nicht für eine Verurteilung gereicht: „Mehrere unbrauchbare Aussagen können nicht in der Summe zu einer Brauchbaren zusammengefügt werden”, fasst der Vorsitzende Richter zusammen. Er habe erhebliche Zweifel daran, dass Ralf S. am 27. Juli 2000 per Fernsteuerung an der S-Bahnhaltestelle eine Rohrbombe zündete.

 
Mordpläne gegen Staatsanwalt? Strippenzieher eines jüdischen Komplotts

Als der Richter den Freispruch zu Beginn des letzten Verhandlungstages am Düsseldorfer Landgericht verkündet, bleibt der gesamte Saal nahezu regungslos. Der Freispruch hat sich bereits angedeutet - Ralf S. wurde schon am 17. Mai aus der U-Haft entlassen, weil die Kammer keinen dringenden Tatverdacht mehr habe erkennen können. Er hinterlässt aber dennoch einen bitteren Nachgeschmack. Denn der verheerende Bombenanschlag auf eine Gruppe von überwiegend jüdischen Sprachschülern am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn bleibt weiterhin ungesühnt. Der Vorsitzende Richter sagt, dass die Kammer in den insgesamt 32 Verhandlungstagen nicht den für eine Verurteilung erforderlichen Grad an Überzeugung erlangt habe. 

Die Staatsanwaltschaft forderte hingegen lebenslange Haft. Gegen den Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück soll Ralf S. Zeugenaussagen zufolge einen Mordplan gefasst haben, weil er ihn für einen Strippenzieher eines jüdischen Komplotts halte. Herrenbrück kritisierte in seinem Plädoyer das Gericht, dass es sich von Ralf S. habe blenden lassen, indem es ihn nur für einen Spinner, einen Aufschneider, einen Wichtigtuer halte. Der Vorsitzende Richter wies die Vorwürfe entschieden zurück: „Das ist der schlimmste Vorwurf, den man einem Gericht machen kann”, sagte er in seiner zwei Stunden langen Urteilsbegründung. Dabei räumte er ein, dass Ralf S. durchaus als Täter in Betracht käme, zumal die Gesinnung des mittlerweile 52-Jährigen tief ausländerfeindlich sei - zahlreiche Äußerungen und Mitschnitte abgehörter Telefonate hätten dies auch deutlich zum Ausdruck gebracht: Im Prozess wurden grobe, zynische Hasstiraden zitiert, in denen er sich über „Kanaken” und „drogenverkaufendes Dreckspack” äußerte sowie „Schwarze, die man mit einer 357 Magnum abknallen” solle. Zudem spreche für Ralf S. als Täter auch, dass er zum Tatzeitpunkt in unmittelbarer Nähe des Anschlagsorts wohnte, sich in der Gegend auskannte, Kontakt zu Rechtsextremen gehabt habe und sich selbst in Widersprüche verstrickte. Außerdem wurde bei einer Durchsuchung eine Werbebroschüre für eine Sprengkapsel in seiner Wohnung gefunden und auch das angefertigte Phantombild eines zum Zeitpunkt der Detonation auf einem Stromkasten sitzenden Mannes, den eine Frau dort gesehen haben will, zeigte verblüffende Ähnlichkeit mit Ralf S. Laut Anklage habe eine Bekannte des Angeklagten sofort „Das ist ja der Ralf” gerufen, als ihr das Phantombild vorgelegt wurde. Lege man das Phantombild über den Personalausweis von Ralf S., so sehe man sofort, dass es sich um dieselbe Person handele, macht Staatsanwalt Herrenbrück deutlich. Die Ermittler sind sich sicher: Der Mann auf dem Stromkasten muss der Täter sein - es muss Ralf S. sein.

 
Bemerkenswert gelassene Prozessführung

Doch all das vermochte das Gericht nicht von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Zur Begründung führt es unter anderem aus, dass die Tatausführung einen gewissen logistischen Anspruch erfordere, den der ehemalige Zeitsoldat nicht hätte aufbringen können. Ihm mangele es an Selbstdisziplin und an hierfür erforderlichen intellektuellen Fähigkeiten. Ein Gutachter beschrieb ihn zudem als einen Menschen mit Imponiergehabe und narzisstischen Zügen. Trotz seiner Bundeswehrzeit sei er nicht versiert genug, die in Wehrhahn detonierte Bombe zu bauen. Insbesondere seien aber die Zeugenaussagen unbrauchbar. Prozessbeobachter sind von dem Verhalten des Richters erstaunt: Er habe den Prozess in einer bisweilen bemerkenswerten Gelassenheit geführt. Die zum Teil fast schon beleidigenden Pöbeleien gegen den Staatsanwalt ließ er milde durchgehen und wirkte in seiner Urteilsfindung bereits festgelegt. So soll er den Eindruck hinterlassen haben, dass er weder den Angeklagten noch die Belastungszeugen wirklich ernst nahm und soll bei seinen Nachfragen teilweise fast wie ein Verteidiger gewirkt haben, indem er sich insbesondere auf die Widersprüche konzentrierte und durchaus konsistenten Aussagen kaum Aufmerksamkeit widmete. 

Herrenbrück will aber nicht aufgeben: „Der Wehrhahn-Anschlag ist ohne Beteiligung von Ralf S. nicht denkbar”, sagt er abschließend und kündigt nach dem Urteil die Revision beim Bundesgerichtshof an.