Staatlich organisiertes Kidnapping

Staatlich organisiertes Kidnapping

Agententätigkeit wie in Zeiten des Kalten Krieges

Seitdem im Juli letzten Jahres ein Vietnamese am hellichten Tag in Berlin mutmaßlich entführt und nach Hanoi verschleppt wurde, sind die deutsch-vietnamesischen Beziehungen stark belastet. Der ehemalige Öl-Manager Trinh Xuan Thanh wurde nach seiner Entführung in Vietnam zu zweimal lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Am Berliner Kammergericht fand jetzt die Gerichtsverhandlung zu einem der mutmaßlichen Entführer statt. 

 

Worum geht es?

Ein spektakulärer Fall erinnerte vergangenen Sommer an einen Agentenkrimi: Am 23. Juli hatten Zeugen beobachtet, wie der Vietnamese in einem Berliner Park gewaltsam in ein Auto bugsiert wurde. Einige Tage später tauchte er in Hanoi wieder auf - in Haft. Die mutmaßliche Entführung sorgte weltweit für Schlagzeilen. Jegliche Versuche, die Angelegenheit auf diplomatischem Wege zu klären, scheiterten. Der Geschäftsmann und Politiker war bei den Kommunisten in seinem Heimatland in Ungnade gefallen: Nach Angaben des zuständigen Richters ging es um Unregelmäßigkeiten bei zwei verschiedenen Tochterfirmen des staatlichen Öl- und Gaskonzerns PetroVietman. Thanh wurde insbesondere vorgeworfen, als Chef einer Bautochter namens PVC in den Jahren 2007 bis 2013 für Verluste von umgerechnet 125 Millionen Euro aufgrund undurchsichtiger Verträge mit Subunternehmen verantwortlich zu sein. Dies stelle in Vietnam einen typischen Fall von Korruption dar. Zudem sei er auf dem Weg zur Arbeit in einem 200.000€ teuren Luxuswagen mit staatlichen Kennzeichen gesehen worden. Ein Skandal in Vietnam, da von den dortigen Politikern ein bescheidener Lebensstil erwartet werde.

Aufgrund dieser Vorkommnisse fürchtete Thanh um sein Leben. Denn erst wenige Monate zuvor wurde der frühere Vorstandschef von PetroVietnam, Nguyen Xuan Son, zum Tode verurteilt, weil er umgerechnet mehr als 10 Millionen Euro von einer Bank abgezweigt haben soll, die zum Teil dem Konzern gehörten. Thanh flüchtete also aus Vietnam und beantragte in Berlin Asyl. Er sah sich als Opfer eines Machtkampfes innerhalb der Kommunistischen Partei zwischen Wirtschaftsreformen und dem extrem konservativen Flügel um Parteichef Nguyen Phu Trong. Internationale Experten werteten die sogenannten Antikorruptionskampagnen Trongs tatsächlich als Strategie, um die parteiinternen Rivalen um den früheren wirtschaftsliberalen Premier Nguyen Tan Dung auszuhebeln.  

Menschenraub auf offener Straße

In der Zwischenzeit wurde in Vietnam weiter gegen Thanh ermittelt. Nachdem er - seiner Verfehlungen wegen - aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde, stellten die vietnamesischen Behörden einen internationalen Haftbefehl gegen ihn aus. Thanh war sich dessen bewusst, dass ihn in Vietnam kein rechtsstaatliches Verfahren erwarten würde und blieb weiter in Berlin im Exil. Sein spurloses Verschwinden kommentierte das auswärtige Amt als präzedenzlosen und eklatanten Verstoß gegen deutsches Recht und das Völkerrecht. Es gebe keine vernünftigen Zweifel daran, dass vietnamesische Dienste und die Botschaft in Berlin bei der Entführung Thans beteiligt waren - ein klarer Bruch internationalen Rechts.  

Lebenslang statt Todesstrafe

Die vietnamesische Regierung leugnete die Vorwürfe einer mutmaßlichen Verschleppung: Thanh habe sich den Behörden freiwillig gestellt. Vermutlich wurde der außenpolitische Schaden und das mediale Echo rund um die Entführung in Berlin unterschätzt. Nur so lässt sich erklären, dass Thanh letztlich im Januar diesen Jahres nicht zum Tode, sondern „nur” zu zweimal lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Um die internationalen Beziehungen - insbesondere zu Deutschland - wieder zu glätten, dürfte dies jedoch nicht ausreichen.
Wie sollte die Bundesregierung gegen die Entführung vorgehen? Die Bundesanwaltschaft sprach später von einem „staatlich organisiertem Kidnapping” des vietnamesischen Geheimdienstes. Thanhs deutsche Anwältin, Petra Schlagenhauf, appellierte im Namen der in Berlin lebenden Familie des Verurteilten an die Bundesregierung, sich für die Freilassung Thanhs und seine Rückkehr nach Deutschland einzusetzen - auch zum Schutze des Rechtsstaates, damit sich nicht andere autoritäre Staaten dazu ermuntert fühlen, auf internationalem Boden auf „Menschenjagd” zu gehen.  

Wie in Zeiten des Kalten Krieges

Und tatsächlich wurde ein zuletzt in Prag lebender 47-jähriger Mann gefasst, der im Zusammenhang mit der Entführung Thanhs stehen soll. Das Berliner Kammergericht sah es als erwiesen an, dass er mehrere Fahrzeuge angemietet hatte, die zur Observation und schließlich auch zur Entführung selbst genutzt wurden. Der Vietnamese soll auch dabei gewesen sein, als das Hotelzimmer des mutmaßlichen Kopfes des Entführungskommandos ausgeräumt wurde - er wusste, dass es sich um eine geheimdienstliche Aktivität handelte, sodass er nicht nur als Randfigur der Entführungsgruppe anzusehen sei. Zunächst schwieg er in der im April begonnenen Verhandlung. Doch dann gestand er, dass er das Entführungs-Auto in Prag angemietet, es nach Berlin gebracht und später wieder zurückgefahren hatte. 

Die Vorsitzende Richterin betonte bei der Urteilsbegründung, dass es sich bei der Entführung um einen beispiellosen Fall der jüngsten Geschichte der Bundesrepublik handele und er an Zeiten des Kalten Krieges erinnere. Sie befürchte allerdings, dass es nur bei der einen Verurteilung bleiben werde, da die übrigen Verantwortlichen in Vietnam seien oder sogar diplomatische Immunität hätten. Sie führte weiter aus, dass der Geheimdienst Vietnams auf Ministerebene ein spinnenartiges Netz für die europaweite Operation gespannt habe. Das vergleichsweise milde Urteil von drei Jahren und zehn Monaten Haft für den 47-Jährigen begründete die Richterin damit, dass er ein Geständnis abgelegt und seine Familie dadurch massiv unter Druck stehen könnte. Bei Agententätigkeit können sonst bis zu zehn Jahren Haft verhängt werden (§ 99 StGB) - die Staatsanwaltschaft hatte vier Jahre gefordert.  

„Vietnamesische Lüge enttarnt”

Die Anwältin des Entführungsopfers hofft nun, dass Vietnam ihren Mandanten wieder nach Deutschland lasse - schließlich wurde ihm in Deutschland politisches Asyl gewährt, er wäre hier ein freier Mann. Zudem habe der Berliner Prozess die„vietnamesische Lüge” enttarnt: Dort hieß es bisweilen, dass sich Thanh freiwillig gestellt und freiwillig nach Vietnam zurückgekehrt sei. Vietnam strebe derzeit auch ein Freihandelsabkommen mit der EU an - eine Rückkehr Thanhs nach Deutschland könnte den diplomatischen Konflikt beilegen.