NSU-Prozess: Höchststrafe für Zschäpe

NSU-Prozess: Höchststrafe für Zschäpe

Muss am Ende der BGH entscheiden? - Anwälte kündigen Revision an

5 Jahre. 437 Verhandlungstage. Nun ist das Urteil des Staatsschutzsenates am OLG in München gefallen: Beate Zschäpe wurde wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt - zudem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

 

Worum geht es?

Bereits seit den 1990er-Jahren waren Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in der Neonazi-Szene Thüringens aktiv. Im Jahr 1998 tauchten die drei ab - 13 Jahre lang mordete die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“, ohne dass Verfassungsschutz und Polizei das verhindern konnten. Als eine Ursache für dieses Versagen gilt, dass sich verschiedene Behörden gegenseitig behindert hätten. Erst im November 2011 flog der NSU auf, die rassistische Terrorserie wurde erst dann als solche erkannt - zuvor war in den Medien von “Döner-Morden” die Rede. Nach einem Banküberfall in Thüringen wurden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in ihrem ausgebrannten Wohnmobil in einem Vorort von Eisenach gefunden. Nach einer viertägigen Flucht stellte sich Beate Zschäpe in Jena der Polizei.

Anklage der Bundesanwaltschaft

Am 8. November 2012 hatte die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Beate Zschäpe sowie vier weitere Gehilfen wegen Straftaten im Zusammenhang mit der terroristischen Vereinigung NSU erhoben. Zschäpe wurde vorgeworfen, sich als Gründungsmitglied des NSU mittäterschaftlich an der Ermordung von acht Mitbürgern türkischer und einem Mitbürger griechischer Herkunft, dem Mordanschlag auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn sowie an den versuchten Morden durch die Sprengstoffanschläge des „NSU“ in der Kölner Altstadt und in Köln-Mülheim beteiligt zu haben. Darüber hinaus sei sie hinreichend verdächtig, als Mittäterin für 15 bewaffnete Raubüberfälle verantwortlich zu sein. Ferner wurde ihr in der Anklageschrift zur Last gelegt, die Unterkunft der terroristischen Vereinigung in Zwickau in Brand gesetzt und sich dadurch wegen eines weiteren versuchten Mordes an einer Nachbarin und zwei Handwerkern und wegen besonders schwerer Brandstiftung strafbar gemacht zu haben.

Besondere Schwere der Schuld

Zschäpe hat stets betont, von den Taten ihrer beiden Freunde nichts gewusst oder erst im Nachhinein davon erfahren zu haben - ihre Verteidiger hatten daher den Freispruch von allen Morden und Anschlägen gefordert: Die 43-Jährige sei weder Mittäterin noch Mörderin oder Attentäterin. Das Gericht sah das jedoch anders: Fast 14 Jahre lang hat sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt. In dieser Zeit ermordeten die beiden Männer neun Gewerbetreibende türkischer oder griechischer Herkunft und eine deutsche Polizistin und verübten zudem zwei Bombenanschläge in Köln mit dutzenden Verletzten. Es gab zwar bislang keine Beweise, dass Zschäpe an einem der Tatorte war, das Gericht schreibt ihr aber eine maßgebliche Rolle bei der Tarnung des Trios zu. Das Gericht ist überzeugt, dass sie alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt habe. Der Vorsitzende Richter hat nach dem Tenor damit begonnen, den festgestellten Sachverhalt zusammenzufassen, von dem das Gericht ausgeht - zunächst die Radikalisierung, dann das Abtauchen der drei in den Untergrund, worauf die ersten Überfälle und Morde bis ins Jahr 2001 folgten.

Vor dem OLG München ist Zschäpe als Mittäterin an den Morden und Gewalttaten des rechtsextremen NSU zu lebenslanger Haft verurteilt worden: Das Gericht sprach sie wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, als Mittäterin der neun Morde der so genannten Ceska-Serie, als Mittäterin zweier Bombenanschläge in Köln, als Mittäterin von 15 Raubüberfällen sowie als Mittäterin eines Mordanschlags auf zwei Polizeibeamte und wegen der Brandlegung in der Frühlingsstraße in Zwickau schuldig. Das OLG stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest - dieser Zusatz bedeutet, dass Zschäpes Strafe voraussichtlich nicht nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wie das sonst bei lebenslanger Haft üblich ist. Eine Haftentlassung nach 15 Jahren wäre rechtlich zwar möglich, ist in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen. Auf Antrag des Häftlings muss allerdings regelmäßig geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Haft weiter vorliegen. Es ist auch möglich, dass Zschäpe das Gefängnis nicht mehr verlassen darf.

Mit dem Urteil ist die Kammer den Forderungen der Staatsanwaltschaft weitgehend gefolgt. Nur in einem Punkt nicht: Die Staatsanwaltschaft wollte, dass gegen Zschäpe auch eine Sicherungsverwahrung angeordnet wird, wenn ihre Strafe nach 15 Jahren doch noch zur Bewährung ausgesetzt werden sollte. Eine Sicherungsverwahrung wird in der Regel angeordnet, um die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Das Gericht sah hierin jedoch keine Veranlassung, eine Sicherungsverwahrung sei nicht erforderlich, sagte OLG-Pressesprecher Florian Gliwitzky nach der Urteilsverkündung.

 

Schockstarre bei Zschäpe

Damit endet nach mehr als fünf Jahren einer der längsten und aufwendigsten Indizienprozesse der deutschen Nachkriegsgeschichte - 28 Millionen Euro soll der gesamte Prozess bis hierhin gekostet haben und er umfasst rund 280.000 Seiten Ermittlungsakten. Zudem: 815 Zeugen und Sachverständige, 93 Nebenkläger und 25.500 Prozessbesucher.

Die erste Stunde der Urteilsverkündung verbrachte Zschäpe regungslos auf der Anklagebank. Mit starrem Blick in Richtung Richterbank versuchte sie jeglichen Blickkontakt zu den Journalisten zu meiden - in Schockstarre sozusagen. Die Entrüstung ist auch ihren fünf Verteidigern zu entnehmen: “Die Verurteilung Frau Zschäpes an den von Böhnhardt und Mundlos begangenen Morden, Sprengstoffattentaten und Raubstraftaten kann nicht tragfähig begründet werden. Die bisherige Urteilsbegründung ist ausgesprochen dünn. Der Senat setzt sich offenbar über die zur Mittäterschaft ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinweg. Wir werden gegen das Urteil Revision einlegen“, teilen die drei Altverteidiger Heer, Stahl und Sturm mit.
Das Gericht geht davon aus, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Mordserie nach einem gemeinsamen Tatplan begangen haben. Die Taten seien nur zusammen mit Zschäpes Rolle im Hintergrund möglich gewesen.

Es ist davon auszugehen, dass in der späteren Urteilsbegründung hierauf die rechtliche Begründung der Mittäterschaft basieren wird. Sobald uns die ausführliche Urteilsbegründung vorliegt, werden wir den Beitrag an dieser Stelle aktualisieren.

#keinSchlussstrich

Das Urteil wird zu großen Teilen aber positiv aufgenommen. So begrüßt auch der ehemalige Bundesjustizminister Heiko Maas den Schuldspruch: “Was die Täter angerichtet haben, ist durch nichts wiedergutzumachen”, erklärt Maas auf Twitter. Unter dem Hashtag #keinSchlussstrich schreibt er, dass die Opfer unvergessen bleiben und fügt hinzu, dass gegen rassistische Gewalt nicht nur die Stärke des Rechts zu setzen sei. Der Hashtag #keinSchlussstrich soll darauf aufmerksam machen, dass das Ende des NSU-Prozesses nicht auch das Ende der Aufklärung bedeute. Die Urteile gegen Zschäpe und ihre vier Helfer können keinen Schlussstrich unter die Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe ziehen, sagt auch die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Insbesondere wird die “Trio-These” kritisiert: Man spreche nach wie vor nur von dem Trio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos, obwohl aus Zeugenbefragungen bekannt sei, dass es mittelbar oder unmittelbar Unterstützer gegeben habe. Zudem sei offen geblieben, ob und in welcher Weise der Verfassungsschutz involviert gewesen sein könnte.

 

Revisionen von allen Seiten

Manche Angehörige der Opfer zeigen sich hingegen entsetzt und finden die Urteile nicht hart genug. Vor allem die nicht verhängte Sicherungsverwahrung für Zschäpe, aber auch das relativ milde Urteil für NSU-Helfer Eminger hat Empörung hervorgerufen - die Staatsanwaltschaft hatte wegen Beihilfe zum versuchten Mord eine Haftstrafe von 12 Jahren gefordert, das Gericht verurteilte ihn aber nur zu zweieinhalb Jahren für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Mehmet Daimagüler, einer der Opfer-Anwälte, äußerte sich diesbezüglich dahingehend: “Ein Urteil, das an einer erwartbaren Stelle hart, an einer unerwartbaren Stelle zu hart und an einigen unerwarteten Stellen zu milde war.” Seiner Ansicht nach sei die lebenslange Haftstrafe inklusive der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld für Zschäpe zwar konsequent. Die Haftstrafe von drei Jahren gegen Carsten S. sei hingegen zu hart - für ihn sei lediglich eine Bewährungsstrafe beantragt worden, allein schon deshalb, weil es bei ihm nichts zu resozialisieren gebe. Er habe zur Aufklärung beigetragen, er habe vor langer Zeit mit der Nazi-Szene gebrochen und er habe glaubwürdig um Vergebung gebeten. Daimagüler sehe hingegen nicht, dass die Strafen gegen Wohlleben (zehn Jahre Haft für das Beschaffen der Mordwaffe und Beihilfe zum Mord) und Eminger ihrer Rolle im NSU-Komplex gerecht werden - beide sollen eine wichtigere Rolle beim NSU gespielt haben, als es nun im Strafmaß zum Ausdruck komme. Dies solle zum Teil auch für den Angeklagten Holger G. gelten. Auch Daimagüler hat angekündigt, das Urteil genau prüfen und gegebenenfalls Revision einlegen zu wollen.

In einer Hinsicht sind sich die Anwälte von allen Seiten also einig: Sie wollen, dass das Urteil in Revision geht und vom BGH überprüft wird. Der Fall Zschäpe ist also doch noch nicht am Ende.

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