BGH-Urteil in Sadisten-Fall

BGH-Urteil in Sadisten-Fall

BGH bestätigt Sich-Bereit-Erklären zum Mord

Schon seit geraumer Zeit war “Heimu” in anonymen Chat-Foren unterwegs und suchte dort gezielt Kontakt zu selbstmordgefährdeten Frauen. Er gab sich als verständnisvoller Freund aus, bestärkte sie aber zugleich in ihrem Suizidwunsch. Nachdem er bereits per Webcam zugesehen hatte, wie eine junge Frau starb, wollte der Mann nun selbst töten. Das Landgericht Gießen verurteilte den Familienvater zu sieben Jahren Haft - obwohl er zur Tat nicht einmal angesetzt hatte, bestätigte der BGH jetzt das Urteil.

 
Worum geht es?

Im erstinstanzlichen Verfahren hat das Landgericht Gießen (LG) den 57-jährigen Familienvater wegen Sich-Bereit-Erklärens zu einem Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der Angeklagte habe nach den Feststellungen des LG aus sexuellem Sadismus eine Vorliebe für Scheinhinrichtungen gefesselter Frauen entwickelt. Nachdem er diese Vorliebe vielfach mit Prostituierten praktiziert hatte, ging er in Internet-Foren auf die Suche nach emotional instabilen Frauen, die er zur Selbsttötung durch Erhängen zu überreden versuchte. Dabei gab es auch immer eine sexuelle Komponente: Die Frauen sollten den Suizid in Unterwäsche oder nackt begehen. Bei einer jungen Frau aus Bremen hatte er tatsächlich Erfolg. Auf seine Aufforderung hin erhängte sie sich - “Heimu” - wie er sich in den Internet-Foren nannte - schaute via Skype zu. Die Presse berichtete später über diesen Fall, ohne dass der Angeklagte aber als Verursacher bekannt wurde.

Irgendwann wollte er aber nicht mehr einfach nur noch zuschauen: Im März 2016 kam der Angeklagte mit einer 23-jährigen Leipzigerin in Kontakt, die an einer Persönlichkeitsstörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung litt und zudem suizidgefährdet war. Er bedrängte sie, versuchte sie zu destabilisieren und ihre Suizidneigungen zu bestärken. Dabei suggerierte er, dass sie schmerzlos sterben könne, wenn er sie erhängen würde. Damit sie sich während des Tötungsversuchs nicht doch noch anders entschließen werde, könne er die Bestimmungsgewalt über den Tötungsakt übernehmen und sie hierzu fesseln.
 
Er wollte die Tatherrschaft

Nachdem die Frau im Internet recherchiert und Zeitungsartikel gelesen hatte, kam bei ihr der Verdacht auf, dass es sich bei dem Angeklagten um den damals unbekannten und von der Presse beschriebenen Verursacher der Webcam-Selbsttötung handeln könnte. Sie ging schließlich auf seinen Vorschlag zur “Hinrichtung am Galgen” in einem Waldstück ein. Sie hoffte, dass der Angeklagte dadurch auch als Verursacher des Todes der anderen Frau überführt werden könne - ihrem Tod wollte sie dadurch einen Sinn geben. Doch dazu kam es glücklicherweise nicht: Die informierte Polizei konnte den 57-Jährigen festnehmen, kurz nachdem er die junge Frau in Gießen getroffen hatte. Die Tatausführung unterblieb also - Abschleppseile zum Erhängen und Kabelbinder zum Fesseln des Opfers lagen aber im Fahrzeug des Mannes schon bereit. Das LG Gießen verurteilte den Mann wegen Sich-Bereit-Erklärens zu einem Mord (§ 30 II Alt. 2 StGB) zur Befriedigung des Geschlechtstriebes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Nach Ansicht des Gießener Gerichts wollte der Angeklagte - anders als im Falle der Bremerin, die sich in seiner physischen Abwesenheit das Leben nahm - hier gerade derjenige sein, der die Tat begeht. Er wollte die Tatherrschaft, er wollte dem Opfer jegliche Möglichkeit nehmen, sich vom Suizid in letzter Sekunde abzuwenden - es sollte gerade keine Selbsttötung, sondern vielmehr seine Tötung sein.
 
Regelungszweck des § 30 StGB bei “Gruppendynamik” gerechtfertigt

Der Angeklagte legte Revision ein: Die Voraussetzungen des § 30 StGB seien nicht erfüllt. Die Vorschrift dehnt die Strafbarkeit von Verbrechen nach der Rechtsprechung des BGH für gewisse konspirative Verhaltensweisen in das Vorfeld des Versuchs aus, wenn ein Täter ernsthaft entschlossen ist, seine Zusage gegenüber einem Dritten, ein konkretes Verbrechen zu begehen, einzuhalten und das versprochene Verbrechen in die Tat umzusetzen. Die Vorschrift kommt zwar selten zur Anwendung und die Literatur befürwortet hier eher eine restriktive Auslegung - auch böse Gedanken seien schließlich frei und wer nicht zu einer Tat ansetzt, mache sich demnach auch nicht strafbar.

Anders sieht dies jedoch aus, wenn es um Fälle mit Gruppendynamik geht: Der Regelungszweck des § 30 StGB kann hier aufgrund der Gefährlichkeit von Verhaltensweisen gerechtfertigt sein, zu denen sich mehrere Personen absprechen - wer anderen versprochen hat, ein Verbrechen zu begehen, schafft eine gruppendynamische Bindung in Richtung Realisierung der Tat und ist dadurch an der Begehung der Tat wesentlich näher dran, als derjenige, der sie sich alleine vorstellt.

Soweit trifft der Regelungszweck des § 30 StGB auf den konkreten Fall zu. Aber ist er auch dann einschlägig, wenn der sich zur Tatbegehung bereit Erklärende später selbst das Opfer ist? Sowohl das LG als auch der BGH sagen: Ja. Der 2. Strafsenat begründet dies damit, dass Wortlaut und Zweck des § 30 II 1. Alt. StGB auch das Sich-Bereit-Erklären gegenüber dem potentiellen Opfer umfassen. Diesem Normverständnis stünden weder die Systematik des Gesetzes noch die Gesetzgebungsgeschichte entgegen. Auch wenn sich die Gesetzgeber seinerzeit mit der Regelung des § 30 StGB nicht eine solche Fallkonstellation vorgestellt haben dürften, erscheint dessen Anwendung aufgrund der erhöhten Gefahr der Tatumsetzung hier aber geradezu konsequent. Wir dürfen auf die Urteilsbegründung des BGH gespannt sein und werden diese an dieser Stelle für Dich aktualisieren.