Die EU befasst sich erneut mit Polens Justiz
Seit Dienstag ist nun auch das Oberste Gericht in Polen – die höchste Instanz in allen Zivil-, Straf- und Wirtschaftsprozessen sowie entscheidendes Gremium für die Anerkennung von Wahlen - per Gesetz der Regierung und dem Staatspräsidenten unterstellt. Gleichzeitig wurden, durch Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Bestimmungen, 24 von 74 aktive Richter automatisch in den Ruhestand versetzt. Nach zahlreichen umstrittenen Maßnahmen im Rahmen der Justizreform könnte dies nun die endgültige Übernahme des Justizwesens durch die Regierungspartei PiS (ins Deutsche übersetzt: „Recht und Gerechtigkeit“) bedeuten.
Worum geht es?
Seit dem Regierungswechsel im Jahr 2015 verfolgt die PiS unter Führung von Jaroslaw Kaczynski das Ziel den polnischen Staat durch Loslösung von alten Strukturen zu reformieren. So wurden beispielsweise durch ein Mediengesetz die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in „nationale Kulturinstitute“ umgewandelt. Dabei verloren viele Journalisten ihren Arbeitsplatz. Die Regierungspartei setzte im Parlament außerdem einen Umbau des Verfassungsgerichts (nicht identisch mit dem eingangs erwähnten Obersten Gericht) durch, dem eine rechtswidrige Neubesetzung desselbigen folgte. Außerdem wurde der Aufgabenbereich des Justizministers maßgeblich erweitert, sodass dieser nun völlig frei die Präsidenten der Gerichte und ihre Stellvertreter abberufen und durch eigene Kandidaten ersetzen kann.
Die PiS rechtfertigt die Justizreform immer wieder damit, dass das Justizsystem in Polen aus der politischen Vergangenheit noch eine stark kommunistische Färbung habe und Raum für Korruption und Voreingenommenheit der Richter biete. Auch soziale Missstände seien auf das veraltete System zurückzuführen.
Einhergehend mit den aktuellen Änderungen soll eine neu implementierte Disziplinarkammer auch die Richter am Obersten Gericht überwachen. Ebenso kann eine Sonderkammer bereits erlassene, rechtskräftige Urteile wieder aufheben und personelle Entscheidungen obliegen von nun an der Regierung und dem Präsidenten.
Rechtsstaatliche Bedenken
Dieses in den Medien oftmals als „Entmachtung der Gerichte“ beschriebene Vorgehen der Regierung in Polen wird von EU-Mitgliedstaaten schon seit geraumer Zeit als rechtsstaatlich höchst bedenkenswert angesehen. Denn wesentliches Kennzeichen eines Rechtsstaates ist schließlich die staatliche Aufgabenverteilung auf drei Gewalten (Exekutive, Legislative und Judikative) sowie die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Gerichte. Gerade aufgrund der neu geschaffenen einseitigen Kontrollmöglichkeiten der Regierungspartei gegenüber eingesetzten Richtern ist jedenfalls eine Verschmelzung der Gewalten zu befürchten. Eine Machtbegrenzung der PiS durch unabhängige, freie Urteile der legislativen Gewalt erscheint fast ausgeschlossen, da zu befürchten ist, dass die Ämter in Zukunft mit regierungsfreundlichen Richtern besetzt werden.
Exkurs Verfassungsrecht:
In Deutschland ist der Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte in Art. 19 IV GG verankert. Daneben regelt Art. 20 II GG den Grundsatz der Gewaltenteilung (nach Montesquieu, 1748), wonach die Ausübung der Staatsgewalt durch besondere Organe der Rechtsprechung, der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt erfolgen muss. Kennzeichnend für den deutschen Rechtsstaat ist allerdings auch eine Gewaltenverschränkung, bei der es zu Durchbrechungen des Gewaltenteilungsgrundsatzes kommt (z.B. Bundestag (Legislative) wählt die Regierung (Exekutive) und viele Minister (Exekutive) können Abgeordnete des Bundestages (Legislative) bleiben).
Die Wahl der Richter findet in Deutschland grundsätzlich durch Politiker oder sogenannte „Richterwahlausschüsse“ statt; für das Bundesverfassungsgericht entscheidet der Bundestag. Im Gegensatz zu Polen sind die deutschen Richter jedoch an keinerlei Weisungen gebunden. Sie müssen die Befähigung zum Richteramt aufweisen und werden auf Lebenszeit ernannt. Eine Entlassung durch den Justizminister ist ebenso nicht ohne weiteres möglich.
Maßnahmen der EU
Bereits 2016 hatte die EU-Kommission wegen der einschränkenden Maßnahmen im Rahmen der Justizreform ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet, dass jedoch bisher ohne Erfolg blieb. Als Reaktion auf die aktuellen Maßnahmen und die vorzeitige Pensionierung von Richtern, hat die Kommission anfangs dieser Woche zusätzlich ein formelles Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV eröffnet. Polen bleibt jetzt einen Monat Zeit, um eine Stellungnahme abzugeben. Der Vizeaußenminister Konrad Szymanski äußerte sich bereits dahingehend, dass Polen dazu bereit sei, den EuGH über “die Grenzen der Einmischung des Gemeinschaftsrechts in die Autonomie der EU-Mitglieder in ihrem Justizwesen” entscheiden zu lassen.
Damit wird wohl am Ende der EuGH dazu Stellung nehmen müssen, ob sich Polen durch den Eingriff in die Gewaltenteilung von einem demokratischen Grundprinzip verabschiedet und dies gemeinschaftsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.
Exkurs Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV:
Das Verfahren nach Art. 258 AEUV ermöglicht der Kommission den EuGH anzurufen, wenn sie zu der Ansicht gelangt, dass ein Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den EU-Verträgen verstoßen hat. Eine wichtige Voraussetzung ist die Durchführung eines zweistufigen Vorverfahrens vor Klageerhebung. Dabei hat die Kommission dem betroffenen Staat durch ein informelles Mahnschreiben Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 258 I Hs. 2 AEUV). Im Anschluss daran gibt die Kommission die mit Gründen versehene Stellungnahme ab (Art. 258 I Hs. 1 AEUV). Erst wenn der Staat dieser Stellungnahme nicht nachkommt, kann die Kommission den Gerichtshof anrufen (Art. 258 II AEUV). Diese Aufsichtsklage ist begründet, wenn der Mitgliedstaat (innerhalb des von der Kommission vorgebrachten Streitgegenstandes) tatsächlich gegen das Unionsrecht verstoßen hat. Liegt ein Verstoß vor und die Klage damit begründet, kann der EuGH entscheiden, wie die Vertragsverletzung zu beseitigen ist (Art. 260 I AEUV). Kommt der Mitgliedstaat dieser Anordnung nicht nach, kann ein Ordnungsgeld festgesetzt werden (Art. 260 II AEUV). Ebenso können Rechte des Mitgliedstaates aus Art. 7 III EUV entzogen werden.
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