Täter hatten einst selbst um Berichterstattung gebeten
Medienanstalten müssen die Namen von aus der Haft entlassenen Straftätern nicht aus ihren Online-Archiven löschen - dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Fall zweier Halbbrüder entschieden, die 1993 wegen des Mordes an einem bekannten Schauspieler verurteilt wurden. Die Pressefreiheit überwiege das Persönlichkeitsrecht der beiden Straftäter.
Worum geht es?
Im Jahre 1990 wurde der bayerische Schauspieler Walter Sedlmayr getötet. Der Fall erfuhr großes mediales Interesse - bis heute lassen sich Informationen zu den Tatumständen im Internet finden. Hiergegen klagten die 2007 bzw. 2008 aus der Haft entlassenen Täter: Sie wollen von der Öffentlichkeit vergessen werden - das mögliche Auffinden ihrer Namen in den Archiven verletze ihr Persönlichkeitsrecht, da dies ihre Resozialisierung gefährde. Bereits vor dem Bundesgerichtshof (BGH) waren die beiden Männer mit ihrer Klage erfolglos und nun auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
Persönlichkeitsrecht vs. Pressefreiheit
Ihre gegen das Urteil des BGH gerichtete Beschwerde stützten sie darauf, in ihrem Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt zu sein. Der EGMR stellte aber einstimmig fest, dass keine Verletzung von Art. 8 EMRK vorlag: Zuvor hatte im vorliegenden Fall der BGH verschiedene Unterlassungsklagen der Beschwerdeführer abgewiesen, mit den drei Medien untersagt werden sollte, Online-Archive mit Presseberichten über die Verurteilung der Beschwerdeführer wegen des Mordes an dem bekannten Schauspieler zum Abruf bereit zu halten, in welchen die vollständigen Namen der Beschwerdeführer erwähnt wurden. In seiner Entscheidung schloss sich der Gerichtshof der Schlussfolgerung des BGH an, dass die Medien die Aufgabe hätten, sich an der Meinungsbildung zu beteiligen, indem sie der Öffentlichkeit die in ihren Archiven verwahrten Informationen zur Verfügung stellten. Der Gerichtshof wies darauf hin, dass die Art und Weise, wie mit einem Thema umgegangen werde, eine Frage der Pressefreiheit sei und Art. 10 EMRK den Journalisten die Entscheidung darüber lasse, welche Einzelheiten veröffentlicht werden sollten und welche nicht - sofern diese Auswahl den ethischen Standards ihres Berufes und ihren Standesregeln entspreche.
Haben sich selbst an die Öffentlichkeit gewandt
Die Aufnahme von individualisierenden Elementen in einen Artikel, wie etwa der vollständige Name der betroffenen Person, stelle einen wichtigen Aspekt der Pressearbeit dar - dies sei insbesondere bei Strafverfahren der Fall, die ein beträchtliches Interesse der Öffentlichkeit geweckt hätten, welches selbst durch einen gewissen Zeitablauf nicht erloschen sei. Der Gerichtshof stellte zudem fest, dass sich die beiden verurteilten Straftäter im Rahmen ihres Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahr 2004 selbst an die Presse gewandt und eine Reihe von Dokumenten weitergeleitet hatten - sogar verbunden mit der Aufforderung, die Öffentlichkeit über das Verfahren weiterhin zu informieren. Diese Verhaltensweise relativiere ihre Hoffnung, eine Anonymisierung in den fraglichen Berichten oder ein Recht auf Vergessenwerden im Internet geltend machen zu können. Letztlich kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass es unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums der nationalen Behörden, welcher ihnen bei der Abwägung konkurrierender Interessen zukomme, der Bedeutung des Zugangs zu sachlichen Berichten sowie des Verhaltens der Beschwerdeführer gegenüber der Presse keine ernsthaften Gründe gebe, die Ansicht des BGH durch eine andere Auffassung zu ersetzen.
- EGMR - Urt. v. 28.06.2018, Az. 60798/10 und 65599/10 -
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