Vom Traum einer europäischen Lösung

Vom Traum einer europäischen Lösung

Der Asylstreit spitzt sich weiter zu

Der Flüchtlingsstreit innerhalb der Union hält Deutschland schon seit einiger Zeit in Atem und mündet jetzt offenbar in einem europäischen Debakel. CSU-Chef Horst Seehofer will seinem umstrittenen „Masterplan Migration“ zufolge alle Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen, die bereits in einem anderen EU-Land als Asylsuchende registriert sind. Merkel hingegen lehnt solch nationalen Alleingänge des Innenministers ab und sucht eine europäische Lösung. Letzte Woche eskalierte der Streit: Der Innenminister bot der Kanzlerin an, sie könne die Koalition mit der CSU beenden, sofern sie mit seiner Arbeit unzufrieden sei. Der Streit spaltet nicht nur die Nation, sondern befeuert auch den europäischen Konflikt zur Asylpolitik.

 
Worum geht es?

Eigentlich war der Europa-Deal schon beinahe klar: Merkel unterstützt Frankreichs Forderung nach einem Eurozonenbudget und im Gegenzug unterstützt Macron Merkel bei der Flüchtlingspolitik - Merkel ist also bereit, Milliarden dafür zu investieren, dass die übrigen EU-Partner der deutschen Flüchtlingspolitik zustimmen. Einer Flüchtlingspolitik, die auch Seehofers Forderungen entspricht und Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweist, die aus sicheren Drittländern stammen bzw. bereits in anderen EU-Ländern registriert sind. Die Merkelsche Europa-Lösung geht Seehofer jedoch offenbar nicht schnell genug: Bis Ende Juni soll die Bundeskanzlerin ihr bi- oder trilaterales Abkommen mit den europäischen Nachbarstaaten erreichen. Ansonsten würde Seehofer ab Anfang Juli - gegen den Willen der Kanzlerin - damit beginnen, Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an den Grenzen zurückzuweisen. “Wenn es keine europäische Lösung gibt, werden wir national handeln müssen”, erklärt der Innenminister sein Vorgehen. Merkel hingegen warnt vor solch einem nationalen Alleingang - notfalls mit einer Entlassung des Innenministers.

 

Ressortverantwortung vs. Richtlinienkompetenz?

Seehofer zeigte sich entrüstet und verwies darauf, vollsten Rückenwind in seiner Partei zu haben. Er wolle von seiner Position nicht abrücken - es gehe ihm um seine Vertrauens- und Glaubwürdigkeit. Damit wies er gleichzeitig jegliche Kritik der SPD von sich, sich mit seiner Haltung gegen Merkel lediglich für die im Oktober anstehenden Landtagswahlen in Bayern positiv positionieren und auf (an die Afd verlorenen) Stimmenfang gehen zu wollen. Neben der CSU stellt sich auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz demonstrativ auf Seehofers Seite. Er befürworte, dass der Bundesinnenminister bestimmte Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen wolle und verkündete, ebenso reagieren zu wollen. Zudem sprach er sich für intensivere Kontrollen an EU-Grenzen aus, um von illegaler Migration abzuschrecken.

Der Asylstreit zwischen Merkel und Seehofer ist aber nicht nur ein politischer, sondern auch ein verfassungsrechtlicher. Es stellt sich die Frage, wer beim Thema Asylpolitik das letzte Wort hat und ob die Kanzlerin dem Innenminister im Rahmen ihrer Richtlinienkompetenz das geplante Vorgehen verbieten kann. Nach Ansicht der CSU-Politiker sei Merkel hierzu aber gar nicht befugt: Vielmehr könne Seehofer beim Asylthema aufgrund seiner Ressortzuständigkeit (Art. 65 S.2 GG) notfalls auch allein handeln. Die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin - in Art. 65 S. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgt - sei auch gar nicht berührt, da es sich hier nicht um die Grundzüge der Politik handele. Es gehe schlicht um einen von insgesamt 63 Punkten in der Flüchtlingsfrage. Solch exekutiven Einzelfragen sollen in die Kompetenz des Innenministers fallen.

Tatsächlich stehen Richtlinienkompetenz und Ressortzuständigkeit in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, in dem die Bundeskanzlerin aber nach Ansicht von Verfassungsexperten den längeren Hebel haben dürfte. In einem Gespräch mit LTO äußerte sich die Staatsrechtlerin Prof. Dr. Antje von Ungern-Sternberg dahingehend, dass die Kanzlerin eine weitgehende Definitionsmacht darüber besitze, wie sie ihren politischen Führungsanspruch verstehe. Diese Definitionsmacht folge aus ihrer verfassungsrechtlichen Stellung - schließlich trage sie die Gesamtverantwortung für die Bundesregierung (Art. 63, 67, 68 GG) und wähle die Minister aus (Art. 64 GG). Die Frage zur Asylpolitik werde schließlich zu einer Grundfrage der politischen Ausrichtung gemacht, sodass auch dies für die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin spreche.

 

Nationaler Alleingang europarechtswidrig?

Seehofers nationaler Alleingang in Asylfragen könnte zudem auch europarechtswidrig sein. Für eine Zurückweisung an einer Binnengrenze gebe es ohne Absprache und Abkommen mit den jeweiligen Nachbarstaaten keine rechtliche Grundlage - das europäische Recht sehe vielmehr ein Verfahren zur Übernahme vor, wenn eine Person entweder aus dem Asylbereich kommt oder sich illegal aufhält - die Rechtsgrundlagen für Zurückweisungen aus dem AsylG oder dem AufenthG treten gegenüber diesen Regelungen zurück, sodass für Alleingänge Deutschlands kein Raum bliebe.

Zum Teil wird dies jedoch anders gesehen: Der Umsetzung nationalen Rechts stünde nichts im Wege, da das Schengen-Abkommen zwischenzeitlich befristet stillgelegt wurde - ein etwaiger Bruch von EU-Recht wäre somit erst gar nicht gegeben, da Grenzkontrollen an Binnengrenzen wieder durchgeführt werden und somit nationales Recht anzuwenden sei: Und nach dem Grundgesetz könne nun mal niemand Asyl beanspruchen, der über ein sicheres Drittland einreist. Nach dem deutschen Asylgesetz sei der Zutritt auch demjenigen zu verweigern, der die Einreise begehrt, um hier Asyl zu beantragen. Für Asylbewerber bestehe kein Recht auf freie Wahl des Aufenthalts- oder des Asylstaates - für sie gelte die EU-interne Freizügigkeit nicht.

Dienen die Kontrollen aber nicht gerade europarechtlichen Zielen, sodass die Kontrolle illegaler Aufenthalte im Schengen-Raum genauso wie die Feststellung der Zuständigkeit für Asylverfahren eine gemeinsame europäische Aufgabe sein dürfte? Die hierfür maßgebenden Rechtsgrundlagen sind abschließend im europäischen Recht geregelt.

Unabhängig davon sieht Seehofer in seiner Aktion den Erfolg aber zumindest bereits darin, dass sich die EU in nur einer Woche dazu bereit erklärt habe, sich zusammenzusetzen und die Probleme anzugehen. An CDU und CSU wird aber von allen Seiten scharf appelliert, den Streit endlich beizulegen, da man bei dieser Art von Machtkämpfen und Rivalitäten die Regierungsarbeit mitsamt der Flüchtlingspolitik aus dem Fokus verliere. Stattdessen werde in dieser Auseinandersetzung mit Deutschland in einer Art und Weise gespielt, die offensichtlich nur auf der eigenen Angst basiere, bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Bayern die absolute Mehrheit zu verlieren.
 
Nationaler Egoismus?

Merkel soll nun bis Monatsende eine Kompromisslösung mit einigen anderen europäischen Staaten verhandeln. Rückendeckung bekommt sie vom EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger - und auch er warnt vor einem Alleingang Seehofers: Damit werde eine neue, erhebliche Eskalationsstufe erreicht, welche die Union und die komplette Regierung in Frage stellen würde. Zudem sei die CSU gerade dabei, „die Handlungsfähigkeit Deutschlands in der EU zu beschädigen“. Die EU brauche jetzt – wo die Stabilität in anderen Mitgliedstaaten nicht mehr gewährleistet sei – eine stabile deutsche Regierung. EU-Kommissar Oettinger zeigte sich vergangene Woche noch zuversichtlich, dass bei dem informellen Treffen mehrerer EU-Staaten in Brüssel vom letzten Sonntag und beim EU-Gipfel in dieser Woche Fortschritte erzielt und diese Fortschritte den Weg zu einer europäischen Lösung des Asylproblems freimachen würden.

Zwar meinte der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel, dass es bei dem Treffen nicht darum ginge, ob Merkel nächste Woche noch Kanzlerin bleibe und auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte, dass es nicht um den innerdeutschen Streit gehe. Tatsächlich hat der Streit zwischen der CDU und CSU aber die europäische Verweigerung und Abschottung nahezu hoffähig gemacht - eine Einigung konnte nicht gefunden werden. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei haben das Treffen von vornherein boykottiert - die EU-Kommission verkauft diese Trennungspolitik weiter unter dem Slogan „Europa der zwei Geschwindigkeiten“. Der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte hierzu, dass wir ein solches Europa aber nicht bräuchten: Denn das hätten wir bereits bis 1989 gehabt. Die europäische Krise wird damit so ziemlich auf den Punkt gebracht, zumal sich nun auch Italien vehement gegen Merkels Flüchtlingspolitik stellt und am Sonntag einen eigenen, radikalen Plan präsentierte. Scheitert Merkels europäische Lösung letztlich an nationalem Egoismus, der mit Seehofers Innenpolitik nun auch verstärkt in Deutschland Einzug erhalten hat?

 

Wie geht es weiter?

In Deutschland bereitet sich die SPD schon jetzt auf mögliche Neuwahlen vor und hat laut „Spiegel“ die ersten Vorbereitungen getroffen und Besprechungen eingeleitet, bei denen es um einen gegebenenfalls schnell zu organisierenden Bundestagswahlkampf ging.

Sollte es zu einer Trennung von CDU und CSU kommen, würde es zu Einbußen an Wählerstimmen in jedem Wahlkreis kommen und „das konservative Lager würde zersplitten“, sagt Peter Hausmann von der CSU - eine bundesweit antretende CSU halte er für „Irrsinn“. Insbesondere könne es keinesfalls gewollt sein, dass verzweifelte Menschen vor der Grenze unter freiem Himmel campieren. Hausmann schreibt der aktuellen Situation ein Zitat Theo Waigels zu: „Macht das Fenster zu, wenn ihr euch streitet. Im Moment fetzen wir uns – und lassen das Fenster sperrangelweit offen.“

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