Verbreitung ungenehmigter Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen
Der Bundesgerichtshof hat vor wenigen Tagen entschieden, dass illegal aufgezeichnete Filmaufnahmen veröffentlicht werden dürfen, wenn sie Missstände von erheblichem öffentlichen Interesse aufzeigen. Im konkreten Fall ging es um die Aufnahmen von üblen, aber rechtmäßigen Zuständen eines Ökogeflügelhofes. Über das Leid der Tiere berichtete die ARD im September 2012 unter dem Titel “Wie billig kann Bio sein?”. Gegen die Verbreitung der Aufnahmen hatte sich der Erzeugerzusammenschluss Fürstenhof GmbH zunächst noch in der Vorinstanz erfolgreich gewehrt.
Worum geht es?
Immer mehr Verbraucher greifen bei ihren Lebensmitteleinkäufen zu vermeintlich gesünderen Produkten - nicht nur, um dem eigenen Körper etwas Gutes zu tun, sondern auch, um das schlechte Gewissen hinsichtlich des sterbenden Tieres in gewisser Weise für einen kurzen Moment besänftigen zu können. Von katastrophalen Zuständen in Hühnerställen und der Massentierhaltung hat jeder schon mal gehört - und so sollen die Eier zum sonntäglichen Brunch wenigstens von “glücklichen Hühnern” kommen, die einer solchen Qual nicht ausgesetzt waren. Knallgrüne Verpackungen, bunte Farben und ein in die warmen Sonnenstrahlen blickendes Huhn machen das idyllische Bild nahezu perfekt und so greift der gewissenhafte Verbraucher voller Optimismus zu der Verpackung mit den Bio-Eiern. Die tatsächlichen Umstände, unter welchen die Tiere auf den Ökogeflügelhöfen gehalten werden, entsprechen leider nicht immer dieser Vorstellung: Hühner fast ohne Federkleid, zu Hunderten in dunklen kleinen Räumen gesperrt - zusammen mit bereits verwesenden Leichenteilen ihrer Artgenossen. Kaum vorstellbar - insbesondere auf einem Ökogeflügelhof. Doch es sind genau diese Bilder, die der Aktivist Jan Foß vor wenigen Jahren in zwei Ställen der Erzeugergemeinschaft Fürstenhof vorfand, als er in diese einbrach. Heimlich machte er hiervon Aufnahmen, damit in späteren Fernsehbeiträgen über das Geschäft des vermeintlich “glücklichen Huhnes” berichtet werden konnte.
Missstände im Fernsehen
Hiergegen klagte die Erzeugergemeinschaft Fürstenhof, die sich als Zusammenschluss von elf ökologisch arbeitenden Betrieben, die Ackerbau und Hühnerhaltung betreiben, auf die Vermarktung von Bio-Produkten spezialisiert hatte. Sie wollte die weitere Ausstrahlung untersagen lassen, da die Aufnahmen auf illegale Weise angefertigt worden und die Zustände in den Ställen nicht rechtswidrig gewesen seien. Tatsächlich war der Aktivist in den Nächten vom 11./12. und 12./13. Mai 2012 in die Hühnerställe der Klägerin eingebrochen und fertigte dort die Filmaufnahmen. Die Aufnahmen überließ er der ARD, die sie am 03. September 2012 in der Reihe ARD Exklusiv unter dem Titel “Wie billig kann Bio sein?” beziehungsweise am 18. September 2012 im Rahmen der Sendung “Fakt” unter dem Titel “Biologische Tierhaltung und ihre Schattenseiten” ausstrahlte. Die Beiträge befassten sich unter anderem mit den Auswirkungen, die die Aufnahmen von Bio-Erzeugnissen in das Sortiment der Supermärkte und Discounter zur Folge haben und warfen die Frage auf, wie preisgünstig Bio-Erzeugnisse sein können.
BGH: Klage abgewiesen
Sowohl das Landgericht (LG) als auch das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hatten die ARD sodann antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, im Einzelnen näher bezeichnete Bildaufnahmen zu verbreiten, die verpackte Waren, tote Hühner oder solche, die ein unvollständiges Federkleid haben, eine umzäunte Auslauffläche und die Innenaufnahme eines Hühnerstalls zeigten (LG Hamburg, Urt. v. 13. Dezember 2013 - 324 O 400/13 und OLG Hamburg, Urt. v. 19. Juli 2016 - 7 U 11/14). Die Berufung hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgte die ARD ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat der Revision stattgegeben und die Klage abgewiesen: Das Interesse der Öffentlichkeit, über die Produktionsbedingungen vermeintlich artgerecht hergestellter Bio-Waren informiert zu werden, wiege schwerer als der soziale Geltungsanspruch und die unternehmerischen Interessen des Erzeugerzusammenschlusses. Die Verbreitung der Filmaufnahmen verletze weder das Unternehmerpersönlichkeitsrecht der Klägerin noch ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Die Filmaufnahmen seien zwar - soweit sie eine Massentierhaltung dokumentieren und tote oder nur mit unvollständigem Federkleid versehene Hühner zeigen - geeignet, das Ansehen und den wirtschaftlichen Ruf der Klägerin in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen, sodass der BGH-Senat davon ausgehe, dass die Ausstrahlung der nicht genehmigten Filmaufnahmen das Interesse der Klägerin berührt, ihre innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Diese Beeinträchtigungen seien aber nicht rechtswidrig.
ARD am Hausfriedensbruch nicht beteiligt
Das von der ARD verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit überwiege dabei das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Gestaltungsanspruchs und ihre unternehmensbezogenen Interessen. Dies gelte trotz des Umstandes, dass die veröffentlichten Filmaufnahmen des Aktivisten rechtswidrig hergestellt worden waren, da sich die ARD an dem von ihm begangenen Hausfriedensbruchs nicht beteiligt habe. Mit den beanstandeten Aufnahmen wurden auch keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbart. Vielmehr dokumentieren die Aufnahmen die Art der Hühnerhaltung durch die dem Erzeugerzusammenschluss angehörigen Betriebe, an dessen Information die Öffentlichkeit grundsätzlich ein berechtigtes Interesse habe. Die Filmaufnahmen informieren den Verbraucher in zutreffender Weise und transportieren keine unwahren Tatsachenbehauptungen, sondern geben die tatsächlichen Verhältnisse in den beiden Ställen zutreffend wieder, so das Gericht.
“Wachhund der Öffentlichkeit”
Indem die ARD den Beitrag ausgestrahlt hat, habe sie einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geleistet: Die Filmberichterstattung hat sich unter den Gesichtspunkten der Verbraucherinformation und der Tierhaltung kritisch mit der Massenproduktion von Bio-Erzeugnissen auseinandergesetzt und zeigt die Diskrepanz zwischen den nach Vorstellung vieler Verbraucher gegebenen, von Erzeugern oder Erzeugerzusammenschlüssen herausgestellten hohen ethischen Produktionsstandards einerseits und den tatsächlichen Produktionsumständen andererseits auf. Daher entspricht es der Aufgabe der Presse sich als “Wachhund der Öffentlichkeit” mit diesen Gesichtspunkten zu befassen und die Öffentlichkeit zu informieren: Die Funktion der Presse sei nicht auf die Aufdeckung von Straftaten oder Rechtsbrüchen beschränkt.
Neuer Straftatbestand: Einbruch in Tierställe?
Schon 2014 urteilten die Karlsruher Richter ähnlich, als es um brisante Aufnahmen zu den Arbeitsbedingungen beim Autohersteller Daimler ging. Parallelen lassen sich auch zu einem Urteil des OLG Naumburg von vor wenigen Wochen zu einem strafrechtlichen Verfahren erkennen: Das Gericht hatte dort Tierschützer vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen, obwohl sie heimlich Aufnahmen von Betrieben der Massentierhaltung angefertigt hatten - ihr eigentlich strafbares Eindringen sei damals gerechtfertigt gewesen, weil sie keine andere Möglichkeit gehabt hätten, die bis dahin untätige Tierschutzbehörde zum Handeln zu veranlassen. Umso erstaunlicher stellt sich daher die aktuelle Entwicklung in der Politik dar: Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien heißt es unter anderem, dass Einbrüche in Tierställe in Zukunft als gesonderter Straftatbestand ausgestaltet und effektiv geahndet werden sollen.
- Urteil vom 10. April 2018 - VI ZR 396/16 -
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