Kopftuchverbot für Kinder

Kopftuchverbot für Kinder

Entmündigung oder Emanzipation?

Der allgemeine Streit um das „Kopftuchverbot” wird seit einigen Tagen um eine neue Facette verschärft: Nachdem die österreichische Regierung in der vergangenen Woche angekündigt hatte, Mädchen das Tragen von Kopftüchern an Kindergärten und Grundschulen verbieten zu wollen, entflammt die rechtspolitische Debatte auch hierzulande. Mehrere Unionspolitiker fordern nun ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren, da das Kopftuch für sie keine religiöse Bedeutung habe. Politiker sind sich darüber uneins - genauso wie Islamexperten. Bedeutet ein Kopftuchverbot einen Eingriff in die Grundrechte oder fördert es die freie Entfaltung des Kindes?

 
Worum geht es?
Vergangene Woche hatte Österreichs Regierung eine Gesetzesvorlage angekündigt, die Kindern das Tragen von Kopftüchern an Kindergärten und Grundschulen verbieten soll: Es gehe darum, muslimische Kleinkinder vor Diskriminierung zu schützen, aber auch der Entwicklung von Parallelgesellschaften entgegenzutreten, sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Was Österreich derzeit plant und wahrscheinlich bald umsetzt, scheint auch der führenden Politikriege in Nordrhein-Westfalen zu gefallen: Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) kündigte am Wochenende an, ebenfalls ein solches Kopftuchverbot für Mädchen prüfen zu lassen und wird dabei von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet unterstützt - Kinder unter 14 Jahren könnten nicht selbstbestimmt entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht.
 
Spitze der Emanzipation
Konsens unserer heutigen Gesellschaft ist die freie und starke Entfaltung der Frau - so mögen einige das Kopftuchverbot als Spitze der Emanzipation betrachten. In einer Welt, in der Mädchen von klein auf stark und unabhängig gemacht werden sollen, sei das vermeintlich aufgedrängte Kopftuch ein Ausdruck von Schwäche und Unterdrückung. Schließlich herrsche doch in strenggläubigen Familien noch immer ein Patriarch, der Gehorsam verlange - insbesondere von Frauen. Und so sei es besonders schwierig, bereits Mädchen im Grundschulalter die Entfaltung ihrer Stärke und Freiheit zu verwehren, indem sie in dasselbe Fahrwasser religiöser Unterdrückung geworfen werden. Solche Bestrebungen mögen in vielerlei Hinsicht gut sein und ihre Daseinsberechtigung haben - insbesondere dann, wenn sie versuchen, den gesellschaftlichen Konsens zu treffen und einer (tatsächlichen) Unterdrückung Einhalt zu gebieten. Wie so oft liegt die Wahrheit aber irgendwo dazwischen: „Koptuchzwang und Kopftuchverbot schlagen in dieselbe Kerbe - beide entmündigen Musliminnen”, fasst Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats für Deutschland, das zentrale Problem zusammen und empfindet die Debatte als populistisch, symbolgeladen und inhaltsleer.
 
Eingriff in Grundrechte
Tatsächlich zeigen sich hier dieselben alten Probleme, die auch schon für die Debatte über Lehrerinnen mit Kopftuch galten: Ein generelles Kopftuchverbot greift in die Grundrechte der Betroffenen ein. In Betracht käme hier zum einen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG in Verbindung mit Art. 1 I GG) des Kindes. Der Islamwissenachaftler Michael Kiefer kritisiert das Vorhaben und geht nicht davon aus, dass Mädchen unter 14 Jahren nicht fähig seien, selbst zu entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Seiner Ansicht nach sind es nicht immer die Eltern, die das Mädchen dazu auffordern, ein Kopftuch zu tragen. Viele Mädchen würden das von sich aus machen. Es wird auch Fälle geben, in denen die Mädchen einfach ihrer großen Schwester nacheifern wollen - genauso wie diejenigen, die bereits mit neun Jahren Nagellack tragen oder mit den viel zu großen Pumps ihrer Mutter durch die Wohnung stolzieren.
Anstelle eines pauschalen gesetzlichen Verbots, sollte das Gespräch mit den betroffenen Kindern und ihren Eltern gesucht werden. Nur so ließe sich klären, warum das junge Mädchen ein Kopftuch trage. 

Daneben könnte aber auch das Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 II GG) betroffen sein. Hier müsste die Frage geklärt werden, ob das Tragen eines Kopftuches das Kindeswohl tatsächlich gefährden könnte. Zu prüfen wäre auch ein Eingriff in die Religionsfreiheit (Art. 4 GG), die bekanntlich einen hohen Stellenwert genießt. Wenn das Tragen von Kopftüchern vor der Pubertät Ausdruck der Religionsausübung ist, dann würde ein generelles Verbot die Religionsfreiheit verletzen, dessen verfassungsrechtlichen Schutz die Eltern für ihre unter 14 Jahre alten Kinder wahrnehmen. 
 
Gefährdete Funktionsfähigkeit des Schulwesen
Ein solch absoluter Eingriff bedarf aber einer starken Rechtfertigung. Zwar könnte das Verbot zur Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter in der Gesellschaft gerechtfertigt sein, wenn das Tragen von Kopftüchern Ausdruck einer Unterdrückung junger Mädchen sein sollte. Hierzu wären aber konkrete Studien nötig, die der Staat vorlegen müsste. Bislang sind aber weder der deutschen, noch der österreichischen Regierung genaue Zahlen zu Kopftuch tragenden Kindern an Kindergärten und Grundschulen bekannt - geschweige denn die hierzu konkreten Umstände. Die Zahl dürfte ohnehin verschwindend gering sein, da muslimische Mädchen nach islamischem Brauch erst ab der Pubertät Kopftücher tragen.

Könnten denn noch andere Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen? Zu denken wäre gegebenenfalls an die Funktionsfähigkeit des Schulwesens. Diese wäre aber nur dann gefährdet, wenn es im Kindergarten oder in der Schule tatsächlich zu religiös bedingten Spannungen zwischen den Kindern käme und der Staat solche Spannungen nur mit einem Kopftuchverbot beizulegen wüsste.