BVerfG: Grundsteuer verfassungswidrig

BVerfG: Grundsteuer verfassungswidrig

Aufgrund veralteter Berechnungen fordert das Bundesverfassungsgericht eine Reform der Grundsteuer

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die seit mehr als 50 Jahren nicht mehr angepassten Einheitswerte für Grundstücke völlig überholt seien und zu gravierenden Ungleichbehandlungen auf dem Immobilienmarkt führen. Die Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung von Grundvermögen in den „alten” Bundesländern seien daher nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG vereinbar. Dem Gericht lagen zwar nur Fälle aus den westlichen Bundesländern vor, die Situation sei in den neuen Bundesländern aber vergleichbar, sodass sich das Urteil bundesweit nicht nur auf Grundeigentümer, sondern auch auf Mieter auswirken kann - die Steuer kann nämlich auf die Miete umgelegt werden.

 
Worum geht es?
In Deutschland gibt es etwa 35 Millionen Grundstücke, für die eine Grundsteuer anfällt und dadurch 13 Milliarden Euro an Steuereinnahmen in die Kassen der Kommunen spült. Die Grundsteuer ist nach dem Äquivalenzprinzip als Kostenausgleich für kommunale Ausgaben zu verstehen, die einen Zusammenhang zum Grundstück aufweisen - hiervon umfasst sind beispielsweise Straßen und die Infrastruktur. Zur Steuerbemessung wird auf den jeweiligen Grundstückswert abgestellt. Und genau hierin liegt das Problem: Die Einheitswerte für Grundbesitz werden nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) in den „alten” Bundesländern heute immer noch auf Grundlage der Wertverhältnisse vom 01. Januar 1964 ermittelt und bilden so die Grundlage für die Bemessung der Grundsteuer. Das BewG sieht aber eigentlich vor, dass die Finanzverwaltung die Werte von Grundstücken allgemein ermittelt, festhält und dies in regelmäßigen Abständen von sechs Jahren wiederholt. Wir schreiben bekanntlich das Jahr 2018 - die Einheitswerte sind das letzt Mal aber 1964 ermittelt worden. „Zu hoher Verwaltungsaufwand”, sagt die Finanzverwaltung und bleibt über 50 Jahre lang untätig. In anderen Worten: Seit über 50 Jahren hält sie sich einfach nicht an das Gesetz.
 
Veränderungen blieben unberücksichtigt
Die seitdem eingetretenen Veränderungen sind dabei unberücksichtigt geblieben und gehen an den aktuellen Wertverhältnissen vollkommen vorbei. Auch die Immobilienmarktentwicklung im Verhältnis der Grundstücke zueinander wurde in den vergangenen Jahren einfach ignoriert: So dürften sich in vielen Ballungszentren die Immobilienwerte teilweise vervielfacht haben.
 
Der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) liegen nunmehr fünf Verfahren, drei Richtervorlagen des Bundesfinanzhofes (BFH) und zwei Verfassungsbeschwerden zugrunde: Geklagt haben Eigentümer von bebauten Grundstücken in verschiedenen „alten” Bundesländern, die jeweils vor den Finanzgerichten gegen die Festsetzung des Einheitswertes ihrer Grundstücke vorgegangen sind. Der BFH hat die Verfahren in drei Revisionsverfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob die einschlägigen Vorschriften des Bewertungsgesetzes wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verfassungswidrig seien. Auch mit den Verfassungsbeschwerden wird im Wesentlichen eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes gerügt.

Die Verfassungsrichter haben nun entschieden, dass das Festhalten des Gesetzgebers an dem Hauptfeststellungszeitpunkt aus dem Jahre 1964 zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen führe und hat die Vorschriften damit für verfassungswidrig erklärt. Art. 3 I GG lasse dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Bewertungsvorschriften für die steuerliche Bemessungsgrundlage zwar einen weiten Spielraum zu, verlange aber ein in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerechtes Bewertungssystem. Wenn der Gesetzgeber jedoch an dem Hauptfeststellungszeitpunkt aus dem Jahre 1964 festhalte, so führe dies zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die das BVerfG aber keine ausreichende Rechtfertigung sehe.
 
Grundsatz der Lastengleichheit
So verlangen die in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Grundsätze zur Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht auch auf der Ebene der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Wertbemessung. Den hierfür geltenden gleichheitsrechtlichen Ausgangspunkt bildet dabei der Grundsatz der Lastengleichheit: Danach müssen die Steuerpflichtigen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Die Verfassungsrichter machen hierbei deutlich, dass der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber zwar einen weitreichenden Entscheidungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegenstandes und auch bei der Bestimmung des Steuersatzes belasse. Allerdings müssten sich Abweichungen von der mit der Wahl des jeweiligen Steuergegenstandes einmal getroffenen Belastungsentscheidung ebenfalls am Gleichheitssatz messen lassen. Daher bedürfen sie eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag - denn je nach Ausmaß der Abweichung und ihrer Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast steigen auch die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund.
 
***  21 I BewG regelt periodische Wiederholung der Einheitsbewertung für alle 6 Jahre - nicht 60***
Insofern der Gesetzgeber keine aktuelle und erneute Hauptfeststellung der Einheitsbewertung vorsehe, so führe dies systembedingt in erheblichem Umfang zu Ungleichbehandlungen durch ungleiche Bewertungsergebnisse, da sich die Wertverhältnisse vom 01. Januar 1964 nicht mit den heutigen messen ließen.
Das System der Einheitsbewertung für Grundbesitz sei vielmehr davon geprägt, dass in regelmäßigen Zeitabständen eine allgemeine Wertfeststellung stattfindet: Nach § 21 I BewG, das die steuerliche Bewertung von Vermögensgegenständen regelt, soll eine solche Einheitsbewertung alle sechs Jahre für bebaute und unbebaute Grundstücke erfolgen. Ziel der Bewertungsregeln sei es schließlich, Einheitswerte zu ermitteln, die dem Verkehrswert der Grundstücke zumindest nahekommen. Der Verkehrswert ist in diesem System die Bezugsgröße, an der sich die Ergebnisse der Einheitsbewertung im Hinblick auf Art und Umfang etwaiger Abweichungen zur Beurteilung einer gleichheitsgerechten Besteuerung messen lassen müssen.
 
Der Gesetzgeber habe den Zyklus der periodischen Wiederholung von Hauptfeststellungen aber bereits 1965 wieder ausgesetzt und seither nicht mehr aufgenommen - obwohl dies zentraler Punkt des vom Gesetzgeber selbst gestalteten Bewertungssystems sei, dem der Gedanke zugrunde liegen soll, dass die den Verkehrswert der Grundstücke bestimmenden Verhältnisse einheitlich zum Zeitpunkt der Hauptfeststellung möglichst realitätsnah abgebildet werden. Diese Verhältnisse unterliegen während der folgenden Jahre eines Hauptfeststellungszeitraums aber typischerweise verkehrswertrelevanten Veränderungen, sodass es in regelmäßigen und nicht zu weit auseinanderliegenden Abständen einer neuen Hauptfeststellung bedürfe: Je länger ein Hauptfeststellungszeitraum über die ursprünglich vorgesehenen sechs Jahre hinaus andauert, desto größer im Einzelfall und umfangreicher in der Gesamtzahl werden zwangsläufig die Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Verkehrswert und den auf den Hauptfeststellungszeitpunkt bezogenen Einheitswerten der Grundstücke.
 
Vermeidung allzu großen Verwaltungsaufwandes ist keine ausreichende Rechtfertigung
Zudem wurde 1970 per Gesetz angeordnet, dass der Zeitpunkt der auf die Hauptfeststellung aus dem Jahre 1964 folgenden nächsten Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes durch besonderes Gesetz bestimmt werden soll. Ein solches ist bis heute aber nicht verabschiedet worden. Die seitdem andauernde Aussetzung der erforderlichen Hauptfeststellung führe nunmehr in zunehmendem Maße zu Wertverzerrungen innerhalb des Grundvermögens, was sich zwangsläufig aus dem geltenden Bewertungssystem ergebe.
Eine Auseinanderentwicklung zwischen Verkehrswert und festgestelltem Einheitswert sei für sich genommen nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Einheitswerte in allen Fällen gleichmäßig hinter steigenden Verkehrswerten zurückbleiben würden und damit das Niveau der Einheitswerte untereinander in Relation zum Verkehrswert gleich bleiben würde. Allerdings liege eine solche gleichmäßige Entwicklung nicht vor.
 
Die aus der Überdehnung des Hauptfeststellungszeitraums folgenden flächendeckenden, zahlreichen und erheblichen Wertverzerrungen bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens führen daher zu entsprechenden Ungleichbehandlungen bei der Erhebung der Grundsteuer - die Vereinbarkeit dieser Ungleichbehandlungen mit Art. 3 I GG richtet sich aufgrund des Ausmaßes der Verzerrungen nach strengen Gleichheitsanforderungen. Eine ausreichende Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlungen ergibt sich weder allgemein aus dem Ziel der Vermeidung allzu großen Verwaltungsaufwandes, noch aus Gründen der Typisierung und Pauschalierung.
 
Entscheidend ist die objektive Dysfunktionalität der verbleibenden Regelung
Erweist sich eine gesetzliche Regelung als in substanziellem Umfang grundsätzlich gleichheitswidrig, können weder ein Höchstmaß an Verwaltungsvereinfachung noch die durch eine solche Vereinfachung weitaus bessere Kosten-/Nutzenrelation zwischen Erhebungsaufwand und Steueraufkommen dies auf Dauer rechtfertigen. Die Erkenntnis, eine in einem Steuergesetz strukturell angelegte Ungleichbehandlung könne nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand beseitigt werden, darf nicht zur Tolerierung des verfassungswidrigen Zustands führen. Es ist unerheblich, ob der Gesetzgeber mit der Aussetzung der Hauptfeststellung dieses Defizit bewusst in Kauf genommen oder ob er es lediglich nicht erkannt hat. Entscheidend ist die objektive Dysfunktionalität der verbleibenden Regelung. Danach kommt es auch nicht darauf an, ob das Unterlassen der Bestimmung eines neuen Hauptfeststellungszeitpunkts lediglich als dauerhaftes Zuwarten innerhalb des Systems periodischer Hauptfeststellungen zu verstehen ist oder als konkludenter Ausdruck eines endgültigen Verzichts auf weitere Hauptfeststellungen überhaupt.
 
Wie geht es weiter?
Von der Grundsteuer ist letztlich fast jeder betroffen: Grundeigentümer, egal ob es um ihr privates Wohnhaus, um einen aufstehenden Gewerbebetrieb oder um Mietshäuser geht - indirekt aber auch Millionen von Mietern, da die Grundsteuer als Nebenkosten auf die Mieter abgewälzt werden können. Für die ostdeutschen Bundesländer hat die Behörde sogar bisweilen auf Werte von 1935 zurückgegriffen.
Bis zum 31. Dezember 2019 muss der Gesetzgeber nun eine Neuregelung treffen - bis dahin dürfen die verfassungswidrigen Regelungen weiter angewandt werden. Eine Übergangsphase soll dann nach Verkündung der Neuregelung für weitere fünf Jahre, maximal aber bis zum 31. Dezember 2024 möglich sein - ein vorübergehend gebilligter Verfassungsbruch also, damit die Kommunen nicht in eine Notlage geraten: Neben der Gewerbesteuer stellt die Grundsteuer ihre zentrale Steuerquelle dar. Für die gesetzlichen Regelungen zur Bemessungsgrundlage sind Bund und Länder zuständig. Bei rund 35 Millionen Grundstücken in Deutschland, dürften die Behörden in den kommenden sieben Jahren viel aufzuarbeiten haben.