Nach Festnahme in Deutschland: Muss Puigdemont ausgeliefert werden?

Nach Festnahme in Deutschland: Muss Puigdemont ausgeliefert werden?

Nach der Festnahme des ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten muss die deutsche Justiz nun über seine Auslieferung entscheiden

Vergangenen Sonntag ist der frühere katalanische Präsident Carles Puigdemont in Schleswig-Holstein verhaftet worden, als er von einem Vortrag in Finnland zurück nach Belgien reiste. Der seit Monaten anhaltende “Katalonien-Konflikt” geht damit weit über die Grenzen Spaniens hinaus, mündet in eine neue Phase und wird spätestens jetzt auch international relevant. Die Festnahme in Deutschland wirft eine Reihe schwieriger Fragen auf, die nicht nur das Auslieferungsrecht als solches, sondern auch das materielle (deutsche) Strafrecht betreffen. Muss Puigdemont ausgeliefert werden? Wer trifft die Entscheidung darüber und was spielt dabei eine Rolle?

 
Worum geht es?
Selten dürfte ein Insasse der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Neumünster für derart viel Wirbel gesorgt haben wie in diesen Tagen: Am Sonntag wurde der frühere katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont bei der Einreise aus Dänemark auf einer Autobahnraststätte an der A7 bei Schleswig festgenommen und in die JVA Neumünster gebracht. Journalisten scharen sich seitdem vor den Toren der JVA und warten - sie werden allerdings etwas länger warten müssen, denn die Festnahme des 55-jährigen Katalanen in Deutschland hat ein Verfahren in Gang gesetzt, dessen Ausgang ungewiss und nicht einfach zu klären sein wird. Der Fall bringt nicht nur politische, sondern auch juristische Brisanz nach Neumünster und die Journalisten damit immerhin ein wenig Weltpolitik in die Provinz. Denn wie lange Puigdemont in Neumünster bleiben muss, ist noch offen. Offen ist auch, was mit ihm danach passiert. Grundlage für seine Festnahme war zunächst ein von Spanien erwirkter Europäischer Haftbefehl (EuHB), datiert auf den 23. März 2018: Gegen Puigdemont wird in Spanien wegen des Unabhängigkeitsreferendums vom Oktober letzten Jahres wegen des Vorwurfs der Rebellion, des Ungehorsams und der Veruntreuung öffentlicher Gelder ermittelt.
 
Beiderseitige Strafbarkeit
Am Sonntagmorgen erhielt die Polizei in Schleswig-Holstein die Information über die Einreise des katalanischen Politikers vom Bundeskriminalamt (BKA) - dessen hierfür zuständige Informationseinheit bereits in ihrem Namen gewisse Dringlichkeit erkennen lässt, mit der ihre Fälle zu bearbeiten sind: “Sirene”. Am Montag wurde Puigdemont sodann dem zuständigen Amtsrichter am Amtsgericht (AG) Neumünster zur Identitätsfeststellung vorgeführt und dabei festgestellt, dass er zunächst weiter in Haft bleiben müsse. Jetzt muss geklärt werden, ob Puigdemont auf Grundlage des EuHB nach Spanien ausgeliefert werden kann: Sollten die Voraussetzungen hierfür erfüllt sein, dann müsste Deutschland den 55-Jährigen innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme an Spanien übergeben. Einen solchen Erlass wird in den kommenden Tagen das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig prüfen müssen. Und es wird an dieser Aufgabe etwas zu knabbern haben, denn der Fall ist nicht unkompliziert.
 
Ob und in welchem Umfang Puigdemont ausgeliefert werden muss, richtet sich zunächst nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) und hier insbesondere nach den §§ 78 ff. IRG, mit denen der EuHB in deutsches Recht umgesetzt wurde. Ein EuHB kann nach Art. 2 I des EU-Rahmenbeschlusses 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (RbEuHb) bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaates (hier: Spanien) mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind. Dieser führt über 30 Straftaten auf, die zu einem Haftbefehl führen können.
 
Rebellion, Hochverrat und Gewalt
Gegen Puigdemont wird in Spanien wegen Rebellion (Art. 472 des spanischen Strafgesetzbuches - CP - ), Ungehorsam (Art. 410 CP) und der Veruntreuung öffentlicher Gelder (Art. 432 CP) ermittelt.
Ungehorsam stellt dabei von vornherein kein auslieferungsfähiges Delikt dar, da es nur mit Geldstrafe bedroht ist und damit aus dem Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses herausfällt (Art. 2 I RbEuHb). Die beiden anderen Delikte sind jedoch nicht in dem Katalog des Art. 2 II RbEuHb aufgeführt. Sie können aber trotzdem zur Auslieferung führen, wenn sie eine Übereinstimmung mit deutschem Recht (§§ 3, 81 Nr. 4 IRG) aufweisen. Denn unabhängig davon, ob etwa - wie in diesem Fall - Hochverrat als entsprechende Tat herangezogen werden kann, regelt Absatz 4, dass bei anderen Straftaten als den aufgeführten die Übergabe eines Häftlings an einen anderen Staat dennoch stattfinden kann, wenn die erhobenen Vorwürfe „eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates (hier: Deutschland) darstellen, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat“.
 
Das OLG muss jetzt deshalb prüfen (§§ 80 ff. IRG), ob die Handlungen, auf die sich der EuHB bezieht, auch nach deutschem Recht Straftaten darstellen und ihr Pendant im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) zu finden ist.
So soll nach Ansicht Spaniens zumindest mit den deutschen Vorschriften zum “Hochverrat” gemäß §§ 81 ff. StGB starke Kongruenz zu den spanischen Tatbeständen der “Rebellion” herrschen: Nach dem spanischen Strafgesetzbuch stehen 15 bis 25 Jahre Haft auf Rebellion - danach macht sich schuldig, wer sich öffentlich und mit Gewalt gegen die Staatsgewalt erhebt, um die Unabhängigkeit eines Teils des Landes auszurufen. Kommen dabei Waffen zum Einsatz, kann die Strafe bis zu 30 Jahre Haft betragen.
Doch bildet § 81 StGB tatsächlich das dazugehörige Pendant? Der Tatbestand des Hochverrats klingt auf den ersten Blick zumindest ähnlich: Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhende verfassungsmäßige Ordnung zu ändern, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft. Beide Tatbestände stehen und fallen also mit der Bejahung von Gewalt, die bei den Unabhängigkeitsbestrebungen des katalanischen Politikers wohl aber nicht zu sehen sein wird.
 
Denkbar: Unterschlagung öffentlicher Mittel
Nun ist Puigdemont aber auch wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder angeklagt, die auch in Deutschland unter Strafe steht. Eine solche soll Puigdemont dadurch herbeigeführt haben, dass er das Unabhängigkeitsreferendum durchführen ließ, obwohl ein solches vom spanischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde. Die damit verbundene (vorsätzliche) unzulässige Ausgabe öffentlicher Mittel könnte in Deutschland als Untreue strafbar sein und wäre damit von § 266 StGB erfasst.
Sollte Puigdemont letztlich nur wegen Untreue ausgeliefert werden, dann wäre die spanische Justiz nach dem Grundsatz der Spezialität an diese Entscheidung gebunden und dürfte ihn nicht noch zusätzlich wegen “Rebellion” belangen. Vermutlich ist dies der Grund dafür, warum sich der spanische Untersuchungsrichter, der auch den EuHB erließ, dahingehend sinngemäß geäußert hatte, dass er Puigdemont “ohne Rebellion erst gar nicht haben” wolle. Dies weckt leichte Zweifel daran, ob Puigdemont in Spanien - sollte er denn tatsächlich an die spanische Justiz übergeben werden - überhaupt ein faires Verfahren erwarten kann. Zunehmend werden diesbezüglich kritische Stimmen laut, dass in Spanien keine Gewaltentrennung existiere und es eine “politische Justiz” gebe - die Richter seien lediglich Handlanger der Regierung und bekämen ihre Urteile aus der Moncloa - dem Regierungspalast Spaniens - diktiert. Tatsächlich geht die spanische Generalstaatsanwaltschaft als auch die Untersuchungsrichter seit Monaten mit äußerste Härte gegen die Mitglieder der nunmehr abgesetzten katalanischen Regionalregierung vor.

 
Spaniens Regierung zufrieden
Es wird also insbesondere darauf ankommen, worin im Sinne des spanischen Rebellion-Tatbestandes die “Gewalt” zu sehen sein wird und inwiefern sich dies unter den deutschen § 81 StGB subsumieren lässt. In Neumünster geht der Fall erstmal den vorgezeichneten Weg über die Generalstaatsanwaltschaft, die einen Antrag auf Auslieferungshaft formulieren und worüber das OLG Schleswig entscheiden muss. Puigdemont könnte auch versuchen, einer Abschiebung nach Spanien zu entgehen, indem er ein Asylgesuch mit dem Einwand der politischen Verfolgung geltend macht. Wenn das OLG diesen Einwand bejahen würde, dann läge ein Auslieferungshindernis vor. Es wäre jedoch unwahrscheinlich, dass ein deutsches Gericht Spanien “politische Verfolgung” vorwirft, zumal gegen Puigdemont wegen strafrechtlich relevanter Vorwürfe ermittelt wird.
Auf politischer Ebene hat die Festnahme heftige Diskussionen ausgelöst. Spaniens Regierung zeigt sich indes soweit zufrieden: Die Festnahme des ehemaligen katalanischen Regierungschefs sei eine gute Nachricht, die zeige, dass die Institution funktioniere. Die Weltpolitik schaut derweil mit Spannung in Richtung Neumünster und OLG Schleswig.

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