Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte rügt die Inhaftierung zweier türkischer Journalisten
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei wegen der Inhaftierung zweier Journalisten verurteilt: Die Inhaftierung von Şahin Alpay und Mehmet Altan habe gegen Grundrechte verstoßen. Frei sind die beiden Männer aber trotzdem noch nicht.
Worum geht es?
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei wegen der unrechtmäßigen Inhaftierung von zwei Journalisten nach dem gescheiterten Militärputsch vom Juli 2016 verurteilt: Die Türkei habe rechtswidrig gehandelt, als sie Şahin Alpay und Mehmet Altan in Untersuchungshaft behielt, obwohl das türkische Verfassungsgericht bereits im Januar ihre Freilassung angeordnet und die Inhaftierung als Verstoß gegen ihr Recht auf Freiheit und die Meinungs- und Pressefreiheit gewertet hatte.
Zum ersten Mal haben damit türkische Journalisten, die nach dem Putschversuch verhaftet worden waren, erfolgreich vor dem Straßburger Gericht geklagt. Die Richter urteilten, dass Kritik an der Regierung nicht als Terrorunterstützung geahndet werden dürfe. Den beiden Journalisten muss die Türkei nun eine Entschädigung von jeweils 21.500 Euro zahlen.
Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit
Für den Putschversuch von vor zwei Jahren macht die türkische Regierung den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen verantwortlich. Unterstützer und vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung werden seither von der Türkei strafrechtlich verfolgt. So auch die beiden prominenten Journalisten: Alpay schrieb für die mittlerweile geschlossene Zeitung “Zaman”, die als wichtigstes Medium der Gülen-Bewegung gilt. Altan leitete auf Can Erzinca TV eine politische Diskussionssendung im Fernsehen. Auch der Sender wurde später geschlossen und Altan im September 2016 verhaftet - beiden wurde zur Last gelegt, versucht zu haben, die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen. Obwohl das türkische Verfassungsgericht eine mit der Haft verbundene Verletzung der Meinungs- sowie Pressefreiheit feststellte und die Freilassung anordnete, lehnte das zuständige Istanbuler Gericht die Freilassung ab - stattdessen wurde Altan einen Monat später zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Hiergegen legte er Revision ein.
Diplomaten in Richterrobe
Mittlerweile haben etwa 30.000 Beschwerden von Inhaftierten und Entlassenen den EGMR allein im Zusammenhang mit dem gescheiterten Putsch erreicht. Dabei hat der EGMR viel Kritik einstecken müssen - zu langsam und zu zögerlich würde es die anfallenden Beschwerden bearbeiten. Mehr als 28.000 Beschwerden wurden mittlerweile mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, dass die Kläger zunächst sämtliche Klagemöglichkeiten in der Türkei wahrnehmen müssten. Das EGMR konnte schließlich nicht einfach über das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung hinweg entscheiden. Einzige Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität: von vornherein aussichtslose und nicht effektive Rechtsbehelfe der Beschwerdeführer. Kritiker mögen an der türkischen Justiz gegebenenfalls berechtigte Zweifel äußern und eine nationale Rechtswegerschöpfung - insbesondere im Zusammenhang mit dem gescheiterten Militärputsch - als von vornherein aussichtslos ansehen. Der EGMR handelt aber als politisch unabhängiges Organ im Kontext einer Staatenorganisation, sodass es die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht so einfach verwerfen kann, um eine schnellere Entscheidung hinsichtlich der Beschwerden zu erreichen. Im Falle der beiden Journalisten hat das Istanbuler Instanzgericht aber selbst - wenn auch vielleicht unfreiwillig - den Weg für den EGMR frei gemacht, indem es sich trotz Anordnung des türkischen Verfassungsgerichts geweigert hatte, Altan und Alpay freizulassen. Dadurch konnte der EGMR die Beschwerden der beiden Journalisten inhaltlich überprüfen und war hieran nicht mehr aufgrund der Zulässigkeitskriterien der Rechtswegerschöpfung gehindert: Die beiden Männer haben es schließlich vor den türkischen Gerichten versucht.
Menschenrechtsverletzungen durch “Ausnahmezustand” nach Artikel 15 EMRK
Das EGMR musste nun die Fragen klären, ob die Türkei die Rechte der Journalisten auf persönliche Freiheit aus Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und auf Meinungsfreiheit aus Artikel 10 EMRK verletzt hat und ob ihre Verhaftungen politisch motiviert waren. Eine politisch motivierte Verhaftung verbietet nämlich Artikel 18 EMRK. Die türkische Regierung beruft sich dabei auf Artikel 15 EMRK, der eine zeitweise Aussetzung der Menschenrechtskonvention erlaubt. Darin heißt es, dass ein Staat im Ausnahmezustand für eine begrenzte Zeit das Ausmaß seiner Verpflichtungen nach der EMRK reduzieren kann, soweit es die Lage unbedingt erfordere. Diesen Ausnahmezustand hält die Türkei aber bereits seit dem Putschversuch im Juni 2016.
Das EGMR hatte folglich zu klären, ob die Voraussetzungen für diese Art von “Notstand” vorlagen und wie sich dies auf die Rechte der inhaftierten Journalisten auswirkt. Diesbezüglich haben auch die Vereinten Nationen (UN) die Türkei aufgefordert, den Ausnahmezustand aufzuheben - dieser habe zu massiven Menschenrechtsverletzungen und oft willkürlichen Verhaftungen von rund 160.000 Menschen geführt und zu ähnlich vielen Entlassungen von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes. Viele dieser Erlasse hätten nach Aussage des UN-Menschenrechtsbüros zu Folter, ungestraftem Vorgehen oder Einmischung in die Justiz geführt.
Muss die Türkei das Urteil umsetzen?
Die Türkei ist als Mitglied des Europarats an das Urteil aus Straßburg rechtlich gebunden und muss dieses umsetzen. Problematisch könnte hierbei aber sein, dass Altan zwischenzeitlich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die Beschwerden vor dem EGMR sich aber nur gegen die Untersuchungshaft richten. Die Türkei wäre somit nur zu seiner Freilassung verpflichtet, wenn er sich bei Rechtskraft des EGMR-Urteils überhaupt noch in Untersuchungshaft und nicht schon bereits im Strafvollzug befindet. Die Türkei kann gegen das (noch nicht rechtskräftige) Urteil der Kleinen Kammer binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen, sodass der Fall dann noch an die Große Kammer des EGMR verwiesen werden könnte.
Zudem sind die Durchsetzungsmöglichkeiten des Europarats beschränkt: Zwar wurde im Jahr 2014 in Artikel 46 EMRK die Möglichkeit eingeführt, dass der EGMR auf Initiative von Zweidrittel der Mitgliedstaaten die jeweilige Urteilsumsetzung überprüfen kann. Dieses Verfahren wurde jedoch erst ein Mal angewandt - und zwar gegenüber Aserbaidschan, das sich seit bereits mehreren Jahren weigert, den Oppositionspolitiker und Menschenrechtsaktivisten Ilgar Mammadow freizulassen. Und das, obwohl es zu seiner Freilassung nach einem Urteil des EGMR eigentlich verpflichtet ist.
Bei fehlender Umsetzung bliebe als letzte Konsequenz nur noch der Ausschluss aus dem Europarat. Ein solcher wäre aber insbesondere für die noch (unrechtmäßig) Inhaftierten gefährlich. In Zeiten eines fragil anmutenden Europas, tun die Richter des EGMR also gut daran, diplomatisch vorzugehen.
- Urt. v. 20.03.2018, Beschw.-Nr. 13237/17 und Beschw.-Nr. 16538/17 -
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