Fristlose Kündigung wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zur “salafistischen Szene”
Muss ein Unternehmen einen seiner Mitarbeiter trotz fragwürdiger Gesinnung weiterbeschäftigen oder rechtfertigt der bloße Verdacht der Zugehörigkeit zu einer radikal-militanten Jihad-Bewegung die fristlose Kündigung? Mit dieser Frage hatte sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen zu befassen. Ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung, der mit Sicherheit bald auch das Bundesarbeitsgericht beschäftigen wird: hohe Prüfungsrelevanz.
Worum geht es?
Kaum ein Tag vergeht, an dem Volkswagen nicht für Schlagzeilen sorgt. Dieses Mal geht es jedoch ausnahmsweise nicht um manipulierte Abgaswerte, Schadensersatzklagen oder übermäßig hohe Managergehälter, sondern um einen Kündigungsstreit mit einem mutmaßlichen Islamisten, der gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses und auf Weiterbeschäftigung in den VW-Werken klagt: Volkswagen hatte den 30 Jahre alten Deutsch-Algerier, der bei VW seit dem 01.09.2008 als Montagewerker beschäftigt war, fristlos gekündigt und erklärte hilfsweise die ordentliche Kündigung. Die Kündigung hatte VW auf den Verdacht gestützt, dass sich der Mitarbeiter dem militanten “Jihad” anschließen wolle: Der Montagearbeiter soll in der Wolfsburger Innenstadt Propaganda-Flugblätter verteilt und Kontakte zur Terrororganisation Islamischer Staat gehabt haben - vom Verfassungsschutz und Kriminalbeamten ausführlichst dokumentiert. Zudem stoppte die Bundespolizei im Dezember 2014 seine Ausreise in die Türkei und beschlagnahmte dabei etwa 9000 Euro und eine Drohne, weil er bereits zur Grenzfahndung ausgeschrieben war. Eine hiergegen gerichtete Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Braunschweig (Urt. v. 07.09.2016, 5 A 99/15) scheiterte: Die Richter sahen in dem 30-Jährigen sogar eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit - in der Folge wurde ihm sein Reisepass für drei Jahre entzogen. Daraufhin kündigte VW das Arbeitsverhältnis, weil durch das Verhalten des mutmaßlichen Gefährders der Betriebsfrieden und die Sicherheit im Unternehmen gefährdet seien. Einen solchen Sympathisanten der Terrororganisation IS wollte VW nicht weiter beschäftigen.
Kündigung jedoch unwirksam
Das Arbeitsgericht hat die gegen die Wirksamkeit der Kündigungen gerichtete Klage zunächst abgewiesen. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung hatte nun aber vor dem LAG Erfolg: Der bloße Verdacht einer Zugehörigkeit zur radikal militanten „Jihad-Bewegung” und der damit begründete präventive Entzug des Reisepasses seien als Grund für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres ausreichend. Nur bei einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses seien solche Umstände als Kündigungsgründe geeignet. Eine solche konkrete Störung konnte VW jedoch ebenso wenig aufzeigen, wie einen dringenden Verdacht, dass der Kläger den Frieden oder die Sicherheit im Betrieb stören könnte. Die Arbeitsrichter führten hierzu aus, dass rein außerdienstliche Umstände die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses weder fristlos noch fristgemäß rechtfertigen können. Die rechtlichen Hürden bei einer Verdachtskündigung seien für den Arbeitgeber sehr hoch, sodass VW im konkreten Fall hätte darlegen müssen, dass die privaten Aktivitäten des Mitarbeiters konkrete störende Auswirkungen auf die Zusammenarbeit im Betrieb gehabt hätten. Grundsätzlich dürfe es den Arbeitgeber aber nichts angehen, wie sein Beschäftigter sein Privatleben gestalte. In den Berichterstattungen einiger Medien hieß es, dass der Montagearbeiter den Betriebsfrieden insbesondere durch rassistische und fremdenfeindliche Betätigung wiederholt ernstlich gestört haben soll, indem er gegenüber seinen Arbeitskollegen Sätze wie “Ihr werdet alle sterben” geäußert haben soll. Eine diesbezüglich glaubhafte Darstellung oder konkrete Beweise sind von den VW-Anwälten aber nach Ansicht des Gerichts nicht vorgetragen worden.
Eine Fall für das Bundesarbeitsgericht
Der Deutsch-Algerier wird also (vorerst) weiterhin im VW-Werk arbeiten dürfen. Der Konzernsprecher erklärte nach der Urteilsverkündung, dass man zunächst die Urteilsbegründung abwarten wolle. Das LAG habe die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage ausdrücklich zugelassen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird VW diesen Weg auch gehen. Es ist somit nicht auszuschließen, dass das Bundesarbeitsgericht den Fall noch anders entscheidet - zumindest muss dann aber entschieden werden, inwiefern die hohen rechtlichen Hürden einer Verdachtskündigung im Falle von sogenannten “Gefährdern” von Unternehmen noch zu bewältigen sind, wenn der bloße Verdacht einer Zugehörigkeit zur radikal militanten „Jihad-Bewegung” und der damit begründete präventive Entzug des Reisepasses für eine konkrete Betriebsstörung und einen dringenden Verdacht von verhaltensbedingten Pflichtverstößen durch den Mitarbeiter als zu erbringender Beweis nicht ausreichend scheinen.
- Urt. v. 12.03.2018, 15 Sa 319/17 (Vorinstanz: Arbeitsgericht Braunschweig 8 Ca 507/16) -
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