EuGH entmachtet Schiedsgerichte

EuGH entmachtet Schiedsgerichte

EuGH-Urteil: Private Schiedsgerichte sind nicht mit EU-Recht vereinbar

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Staaten, die private Schiedsgerichte vorsehen, gegen EU-Recht verstoßen. Der Grundsatzentscheidung lag ein Streit zwischen der Slowakei und der Niederlande zugrunde, in welchem die Slowakei von einem in Frankfurt a.M. ansässigen Schiedsgericht zu einer Schadensersatzzahlung verpflichtet worden war. Mit dem Urteil sind weitreichende Folgen für die aktuell anhängigen Schiedsverfahren beteiligter EU-Staaten sowie für die Freihandelsabkommen TTIP und CETA zu erwarten. 

 
Worum geht es?

Kritische Stimmen bezeichnen die Schiedsgerichte schon seit Langem als eine Art Paralleljustiz - ein begehrter Klageweg für reiche Investoren, die sich mit ihren Klagen gegen staatliche Hoheitsakte richten. Die Liste der Klagen ist lang: 196 solcher Intra-EU-Schiedsverfahren sind derzeit vor unterschiedlichen Schiedsgerichten anhängig - zehn davon mit deutscher Beteiligung. Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland, RWE Innogy gegen Spanien oder der aktuell vom EuGH entschiedene Fall Achmea gegen die Slowakische Republik, sind nur einige der namhaften Klagen. So muss sich beispielsweise die Bundesrepublik seit dem Jahr 2012 vor einem Schiedsgericht des International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) in Washington dafür verantworten, dass nach der Atomkatastrophe in Fukushima die Laufzeiten der Atommeiler gekürzt wurden. Und obwohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das hierzu erlassene Gesetz als weitestgehend verfassungskonform angesehen hat, läuft die Klage vor dem Schiedsgericht dennoch weiter - mit einem Streitwert von 4,7 Milliarden Euro.

 

Gegen die Demokratie

Doch wie kommt es zu diesen Verfahren? Den Grundstein hierzu legten die EU-Staaten selbst: Die Schiedsverfahren stützen sich auf Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen, die die EU-Mitgliedstaaten untereinander vereinbart haben, um einen sicheren Rahmen für Investitionen zu schaffen. Ihr Großteil wurde noch vor der EU-Osterweiterung mit den damaligen Beitrittskandidaten abgeschlossen. Für den Bereich der Energiewirtschaft wurde zudem der Energiechartavertrag vereinbart, an welchem alle EU-Mitgliedstaaten und auch die EU selbst beteiligt sind. Diese Verträge sollen mit einer Reihe festgelegter materieller Schutzstandards dem Investment des Investors ein stabiles und verlässliches Handlungsregime garantieren. Darin enthalten sind unter anderem Regelungen zum Schutz vor entschädigungsloser Behandlung, Diskriminierungsverbote oder das Gebot der fairen und gerechten Behandlung - ein Vertrauensschutz für Investoren im Hinblick auf den rechtlichen Rahmen ihrer Investition. Neben all diesen Regelungen sind in den Abkommen aber auch Schiedsklauseln enthalten, die es dem Investor ermöglichen, Streitfragen von nicht-staatlichen Schiedsgerichten entscheiden zu lassen. Die EU-Kommission sieht diese Verträge aber als überholt an, da mittlerweile die Gerichtsbarkeit der EU als Garant des rechtssicheren Rahmens diene - wegen dieser bilateraler Abkommen leitete sie daher 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen fünf Mitgliedstaaten ein: Alle EU-Mitgliedstaaten seien denselben Regeln unterworfen, auch wenn sich ihre Investitionen jenseits der eigenen Grenzen bewegen. Seit Jahren sind diese Gerichte also stark umstritten. Schließlich entscheiden sie trotz ihres privaten Charakters über die Zulässigkeit staatlicher Hoheitsakte und verurteilen Staaten zu hohen Schadensersatzzahlungen. Hierdurch entsteht ein Konkurrenzgeflecht zwischen höchster staatlicher und europäischer Gerichtsbarkeit. Eine solche Paralleljustiz für Konzerne sei undemokratisch, kritisiert die Vereinigung “Lobbycontrol”.

 

Außerhalb jeglicher Kontrolle

Der EuGH sieht das ähnlich und gibt den Kritikern in seiner “Achmea-Entscheidung” nun deutlich Rückendeckung: Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte den EuGH in einer Vorlagefrage um eine Vorabentscheidung gebeten: Achmea, der größte Finanzierer aus den Niederlanden, eröffnete im Jahr 2004 im Krankenversicherungsmarkt der Slowakei eine Tochtergesellschaft für private Policen. Zwei Jahre später untersagte die Slowakei die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Geschäft in dieser Branche, sodass Achmea auf etwa 22 Millionen Euro Schadensersatz vor einem Schiedsgericht klagte und sich dabei auf das Investitionsschutzabkommen berief. Die Slowakei war jedoch der Ansicht, dass die Schiedsklausel gegen EU-Recht verstoße.

Der EuGH stellte nun klar, dass Schiedsklauseln, mit denen Investoren aus EU-Mitgliedsstaaten Klage gegen einen anderen EU-Mitgliedstaat erheben können, mit den Grundprinzipien des EU-Rechts nicht vereinbar seien. Der EuGH begründet dies damit, dass sich die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der EU-Verträge ein eigenes Rechts- und Rechtsprechungssystem geschaffen hätten. Der Rechtsschutz Einzelner und die verbindliche Auslegung des EU-Rechts sei aber originäre Aufgabe der nationalen Gerichte und des EuGH. Privaten Schiedsgerichten sei - im Gegensatz zu nationalen Gerichten - der Kommunikationsweg mit dem EuGH über das Mittel der Vorlagefrage nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verschlossen, sodass sie sich außerhalb dieses Rechtssystems bewegen. Zudem lege das Schiedsgericht seinen eigenen Sitz, seine eigene Verfahrensordnung und dadurch inzident auch das Recht selbst fest, das zur Überprüfung des eigenen Schiedsspruchs anwendbar sein soll. Damit operieren die Schiedsgerichte vollständig außerhalb jeglicher Kontrollmöglichkeit durch nationale und europäische Gerichte.

 

“Richtungsweisend für alle innereuropäischen Investitionsschutzabkommen”

Dieser Umstand verstoße gegen die Grundprinzipien der Autonomie des EU-Rechts und den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten. Der EuGH will eine solche Rechtsprechungsinstitution nicht zulassen, wenn sie außerhalb der nationalen und europäischen Gerichte verbindliche Entscheidungen über die Auslegung von EU-Recht vornehmen will. “Richtungsweisend für alle innereuropäischen Investitionsschutzabkommen”, nannte die Grünen-Sprecherin für Handelspolitik im Bundestag, Katharina Dröge, das Urteil. Die Bundesregierung müsse sich nun klarmachen, dass Schiedsgerichte in kommenden Investitionsschutzabkommen keinen Platz haben und aus bestehenden Investitionsschutzabkommen gestrichen werden könnten. Die Entscheidung habe damit nicht nur Auswirkungen auf den Streit zwischen der Slowakei und den Niederlanden, sondern erfahre auch Auswirkungen auf anhängige Verfahren und künftige Freihandelsabkommen.

 

Das Urteil des EuGH wirft zudem eine weitere brisante Frage in den Raum: Sind die Vertragswerke zu den Handelsabkommen TTIP und CETA überhaupt mit EU-Recht vereinbar? Auch diese enthalten nämlich Regelungen zum Investitionsschutz, die sich an den umstrittenen Schiedsklauseln orientieren.

 

- Urt. v. 06.03.2018, Az. C-284/16 -