Jameda-Urteil des BGH - aber mit Schlupfloch?

Jameda-Urteil des BGH - aber mit Schlupfloch?

BGH: Jameda ist kein “neutraler Informationsvermittler” mehr, wenn es zahlende Kunden bevorzugt

Im Internet erfreuen sich Bewertungsportale großer Beliebtheit. Sie sollen dem Informationsbedürfnis der Nutzer Rechnung tragen und die Entscheidung bei der Suche nach einem guten Restaurant, Hotel oder Film erleichtern. Es werden aber auch Anwälte oder Ärzte bewertet. Nicht alle sind mit der Vergabe von Schulnoten und bewertenden Kommentaren zufrieden - und fühlen sich oft abgestraft. So auch eine Ärztin aus Köln, die ihre Daten von dem Bewertungsportal „Jameda” gelöscht haben wollte. Vor wenigen Tagen sprach der Bundesgerichtshof (BGH) hierzu sein Urteil.

 

Worum geht es?

„Patienten gegenüber herablassend. Der Arzt ist eine Katastrophe”, Note 5,6 - heißt es bei einigen Ärzten auf Jameda. Von solchen Kommentaren und Benotungen machen viele Patienten abhängig, zu welchem Arzt sie (nicht) gehen wollen. Das System ist recht simpel: Gute Noten bringen viele Patienten, schlechte Noten schrecken ab. Kaum jemand hinterfragt aber, wer sich hinter dem Kommentar verbirgt - tatsächlich ein schlecht behandelter Patient? Neider? Konkurrenten? Von gekauften Likes auf Facebook oder bezahlten positiven Kommentaren für Artikel bei Amazon haben die meisten bereits gehört. Das Bewertungssystem funktioniert trotzdem - auch für Lehrer, Anwälte oder Ärzte. Und so gibt es Firmen, die auch hier für Geld positive Bewertungen verfassen: Man solle sich endlich gegen ungerechtfertigte, negative und beleidigende Bewertungen von undankbaren Kunden, Neidern oder Konkurrenten wehren, heißt es. Auf Bewertungsportalen herrscht scheinbar ein raues Pflaster - schließlich geht es um Geld und Reputation. Wo bleibt da noch Raum für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung?

 

Jameda - Stammgast vor Gericht

In einem ersten Urteil zum Ärztebewertungsportal vom 01.07.2014 (VI ZR 345/13) hat der BGH entschieden, dass Ärzte im Falle persönlichkeitsverletzender Bewertungen zwar Unterlassung - und somit Löschung - verlangen könnten, aber keine Auskunft über die Daten des bewertenden Patienten. Wenige Monate später (Urt. v. 23.09.2014 – VI ZR 358/13) ging es in einer zweiten Entscheidung erstmals um die Zulässigkeit der Aufnahme eines Arztes auf dem Bewertungsportal gegen dessen Willen. Die Richter sprachen dem damals klagenden Gynäkologen keinen Anspruch auf Löschung seiner Daten vom Portal zu: Das öffentliche Interesse sei höher zu bewerten gewesen als das Recht des Arztes auf informationelle Selbstbestimmung. Erste strenge Grundsätze stellte der BGH erst in der Entscheidung „www.jameda.de“ (Urt. v. 01.03.2016 – VI ZR 34/15) auf, indem es dem Bewertungsportal deutlich weitergehende Prüfungspflichten auferlegte, um bei Beschwerden von Ärzten über falsche und persönlichkeitsverletzende Inhalte nachzugehen.

 

Viertes BGH-Verfahren bringt weiteren Aspekt

Das Bewertungsportal funktioniert derart, dass suchende Nutzer bei Jameda Informationen über Ärzte und Träger anderer Heilberufe kostenfrei abrufen können. Daneben sind auch Bewertungen abrufbar, die Nutzer in Form eines Notenschemas oder anhand von Kommentaren zu den jeweiligen Ärzten abgegeben haben. Zur besseren Darstellung des eigenen Profils, bietet Jameda sogenannte Premiumpakete an, mit dessen Hilfe die Ärzte ihr Profil positiv hervorheben lassen können. Diejenigen Ärzte, die sich eines der kostenpflichtigen Premiumpakete nicht leisten wollen, werden lediglich mit ihren sogenannten Basisdaten auf der Plattform (zwangs-) geführt. Hierzu gehören ihre Namen, der akademische Grad, Fachrichtung, Praxisanschrift sowie Sprechzeiten. Wird vom Nutzer ein solches kostenloses Profil aufgerufen, dann werden ihm gleichzeitig unmittelbare Konkurrenten gleicher Fachrichtung im ortsnahen Umfeld mit Entfernungsangaben und Noten angezeigt. Bei Ärzten hingegen, die unter dem kostenpflichtigen Premiumpaket geführt werden, werden keine Konkurrenten eingeblendet. Diesen Aspekt der zahlungspflichtigen Serviceleistung brachte die Kölner Hautärztin in ihre Klage mit ein. Sie wollte weder positive Bewertungen kaufen, noch das von Jameda angebotene „Premiumpaket” buchen - bis zu 139 Euro im Monat kann ein solches Paket kosten. Stattdessen verlangte sie, dass ihre Daten gänzlich von der Bewertungsplattform verschwinden.

 

Kein „neutraler Informationsmittler” mehr

Sie verlangte daher die vollständige Löschung ihres Eintrags auf www.jameda.de, die Löschung ihrer auf der Internetseite veröffentlichten Daten, die Unterlassung der Veröffentlichung eines sie betreffenden Profils sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht wies die Klage zunächst ab und auch die Berufung blieb ohne Erfolg. Die Klägerin ging in Revision und bekam vor dem BGH Recht: Das Gericht hat entschieden, dass Daten von Ärzten, die nicht bei Jameda gelistet werden wollen, gelöscht werden müssen. Nach Auffassung der Richter überwiege die Grundrechtsposition der Ärztin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten.

Nach § 35 II 2 Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) seien personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Dies sei hier der Fall gewesen, da Jameda mit dem Angebot zahlungspflichtiger Premiumpakete - anders als noch im Jahre 2014 - seine Stellung als „neutraler” Informationsvermittler verlassen habe. Dieser Gesichtspunkt habe sich im Rahmen der Abwägung nach § 29 I 1 Nr. 1 BDSG entscheidend gegen Jameda ausgewirkt: Jameda stelle mit dem Verkauf zahlungspflichtiger Premiumpakete seine eigenen geschäftlichen Interessen in den Vordergrund. Im Ergebnis führe dies dazu, dass die Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 I 1 GG, Art. 10 EMRK) nicht das Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, Art. 8 I EMRK) überwiege, sodass ihr der geltend gemachte Löschungsanspruch zustehe.

 

Das Urteil: Ein Trugschluss?

Für die Praxis bedeutet dies, dass die zahlreichen Bewertungsportale im Internet ihr Geschäftsmodell untersuchen sollten, um nicht mit Löschungsanträgen überschwemmt zu werden. Kommerzielle Angebote sollten erkennbar und getrennt von dem reinen Informationsangebot gestaltet sein. Jameda hat diesbezüglich sofort nach Urteilsverkündung reagiert: In der Pressemitteilung heißt es, dass man die „Anzeigen mit sofortiger Wirkung zur weiteren rechtmäßigen und vollständigen Listung von Ärzten entsprechend angepasst” habe.

Und genau hier liegt das Problem - was auf den ersten Blick als eindeutiges Urteil erscheint, verblasst auf den zweiten Blick deutlich: Der BGH hat in seiner ersten Stellungnahme den Informationsanspruch der Patienten nämlich grundsätzlich bestätigt und dabei auf die entsprechenden früheren Urteile verwiesen - der Löschungsanspruch, der sich aus dem aktuellen Urteil ergibt, wird lediglich aufgrund der im Vordergrund stehenden wirtschaftlichen Interessen der Plattformbetreiber ermöglicht. In anderen Worten: Wenn Jameda die Premiumpakete beseitigt oder die Listen für alle gleich darstellend anpasst - was bereits geschehen sein soll -, dann besteht weiterhin kein Anspruch darauf, seine Daten von der Plattform verschwinden zu lassen. Die vom BGH angeführte Grundrechtsabwägung fällt dann nämlich wieder zugunsten des Informationsanspruchs und somit zugunsten von Jameda aus.

 

Keine Premiumkunden mehr?

Jamedas Anwälte müssen das Urteil bereits in dieser Form erwartet haben: Die prompte Umstellung der beanstandeten Darstellung von Premiumpaketnutzern erfolgte nach Urteilsverkündung so schnell, dass entsprechende Maßnahmen bereits im Vorfeld vorbereitet gewesen sein müssen. Daher gibt sich Jameda durchaus triumphierend: „Patienten finden auf Jameda auch weiterhin alle niedergelassenen Ärzte Deutschlands. Ärzte können sich nach wie vor nicht aus Jameda löschen lassen”, so der Geschäftsführer Florian Weiß.

Und was bedeutet das Urteil jetzt? Die Ärztelisten bleiben weiterhin bestehen, soweit sich das Bewertungsportal in seinem Raum als „neutraler Informationsvermittler” bewegt - wann ein solches Neutralitätsgebot erfüllt ist und wann nicht, haben die Richter noch nicht geklärt, sodass es an einer allgemeinen Richtschnur für vergleichbare Fälle noch fehlt. Die im Vordergrund stehenden wirtschaftlichen Interessen - bei Jameda in Form von Premiumpaketen - gelten somit lediglich als ein Anhaltspunkt. Interessant dürfte aber noch werden, wie die bislang zahlenden Premiumkunden auf diese Anpassungen reagieren, wenn sie künftig nicht mehr von der bevorzugten Darstellung ihres Profils profitieren.

 

- Urteil vom 20. Februar 2018 - VI ZR 30/17 -