Ist die öffentliche Sicherheit etwas, das der Staat in Rechnung stellen kann?

Ist die öffentliche Sicherheit etwas, das der Staat in Rechnung stellen kann?

Rechtsstreit um Polizeieinsätze bei Fußballspielen - DFL muss zahlen

Einige Fußballbundesligaspiele werden als sogenannte Hochrisikospiele eingestuft und bedürfen aufgrund der Teilnahme gewaltbereiter „Fußballfans” einem höheren Einsatz an Polizeikräften. Der Polizeieinsatz kann dann gerne auch mal 425.718 Euro kosten - so im Falle des brisanten Nordderbys zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV im April 2015. Und wer soll das bezahlen? Mit dieser Frage hat sich das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen befasst und lässt die Bremer zumindest in Sachen Kostentragung mit Zuversicht in die Zukunft schauen.

 
Worum geht es?
Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) muss sich grundsätzlich an den Kosten für Polizeieinsätze bei sogenannten Hochrisikospielen der Bundesliga beteiligen. Dies hat in dieser Woche das OVG Bremen entschieden. Auslöser des Rechtsstreits war ein Schreiben des Bremer Innensenators, Ulrich Mäurer, an die DFL - darin enthalten: Ein auf die Vorschrift des § 4 IV Bremischen Gebühren- und Beitragsgesetzes (BremGebBeitrG) gestützter Gebührenbescheid in Höhe von 425.718 Euro und 11 Cent. Das ist nämlich die Summe, die sich aus einem Nordderby zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV und der damit verbundenen Polizeieinsätze ergeben hat. Die DFL verweigerte die Zahlung und begründete dies damit, dass der Fußball selbst keine Gewalt verursache und der Staat für die Sicherheit verantwortlich sei.
 
Besonderes Interesse an störungsfreier Durchführung
Vor dem Verwaltungsgericht (VG) Bremen hatte die Klage der DFL gegen den Gebührenbescheid zunächst Erfolg - die Richter argumentierten damals, dass der Bescheid der Bremer Innenbehörde nicht ausreichend begründet und die Gebühr für den Veranstalter nicht im Vorhinein hinreichend bestimmbar gewesen sei. Das OVG teilt die erstinstanzliche Einschätzung aber nicht und bejaht die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides - auch der Höhe nach: Die Vorschrift des § 4 IV BremGebBeitrG, auf die der Bescheid gestützt ist, sei verfassungsgemäß und mit der Finanzverfassung des Grundgesetzes vereinbar. Die Finanzierung staatlicher Aufgaben erfolge danach in Bund und Ländern primär aus Steuern, sodass es zwar Aufgabe des Staates sei, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und diese Kernaufgabe auch durch Steuern zu finanzieren. Sind diese aber individuell zurechenbar, so sei zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum bei der Erhebung gebührenbezogener Leistungen zukomme. Die Erhebung einer Gebühr für den Einsatz zusätzlicher Polizeikräfte knüpfe zulässigerweise an die besondere Verantwortlichkeit der DFL an, da sie als Veranstalterin einen wirtschaftlichen Nutzen aus der Veranstaltung ziehe und an deren störungsfreien Durchführung ein besonderes Interesse habe. Dieses Interesse sei insbesondere auch auf die Steigerung der Attraktivität von Bundesligaspielen ausgelegt, um hohe Zuschauerzahlen erreichen zu können und einen maximalen wirtschaftlichen Nutzen zu erlangen. Solche Großveranstaltungen bergen per se ein erhöhtes Gefahrenpotential in sich, dem der Veranstalter in der Regel näher stehe, als die Allgemeinheit, wenn er die Großveranstaltung realisiere.
 
Bestimmtheitsgebot und verbotene Einzelfallgesetze
Das Urteil spricht ganz nebenbei eine gegebenenfalls wegweisende Richtung auch für andere Großveranstaltungen aus - also nicht nur solche der Fußballbundesliga: Bei § 4 IV BremGebBeitrG handele es sich nicht um ein nach Art. 19 I 1 GG verbotenes Einzelfallgesetz, sodass die Vorschrift auch andere Großveranstaltungen betreffe. Zudem genüge sie auch dem aus Art. 20 III GG abgeleiteten Bestimmtheitsgebot, da ihr Inhalt und insbesondere die Vielzahl der verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe - wie etwa Gewalthandlungen, zusätzlich, Zu- und Abgangswege, räumliches Umfeld - mit den bekannten Auslegungsregeln zu ermitteln seien. Die von der Vorschrift Betroffenen können die Rechtslage somit erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten. Dies gelte im konkreten Fall auch für die Gebührenhöhe, die im Voraus nicht beziffert worden ist: Sie hänge schließlich maßgeblich von der Zahl der zwingend einzusetzenden Polizeibeamten ab, sodass etwaige zu treffende Prognosen der Polizei einer nachträglichen gerichtlichen Kontrolle unterliegen.
 
Revision zum BVerwG zugelassen und angekündigt
Abschließend verneint das OVG auch mögliche Verstöße gegen das Eigentumsrecht aus Art. 14 I GG, die Berufsfreiheit des Art. 12 GG und den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG. Der Gebührenbescheid sei damit rechtmäßig und auch erfüllt, sodass die DFL als (Mit-) Veranstalterin des Fußballbundesligaspiels anzusehen sei und auch als Gebührenschuldnerin in Anspruch genommen werden durfte, da gemäß § 13 IV BremGebBeitrG mehrere Kostenschuldner als Gesamtschuldner haften. Die Hansestadt Bremen konnte also einen Gebührenschuldner nach ihrem Ermessen und unter dem Blickwinkel der Verwaltungspraktikabilität auswählen.
Das OVG hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht gegen sein Urteil zugelassen. Dazu wird es aller Voraussicht nach auch kommen: Die DFL kündigte bereits an, Revision gegen das Urteil einzulegen: “Die rechtliche Wertung des OVG ist aus Sicht der DFL bei allem Respekt unzutreffend. (…) Es ist für uns weiterhin nicht nachvollziehbar, dass der Fußball für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die eine Kernaufgabe des Staates ist und der Allgemeinheit zugutekommt, verantwortlich sein soll”, so der DFL-Präsident Rauball. Die DFL erhält dabei Rückendeckung von der Marburger Staats- und Verwaltungsrechtlerin Prof. Dr. Monika Böhm, die gegen die Bremer Norm grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken ausspricht und  § 4 IV BremGebBeitrG in mehrfacher Hinsicht für zu unbestimmt hält.
 
Was ist ein Hochrisikospiel?
Die Entscheidung darüber, ob ein Hochrisikospiel vorliegt oder nicht, trifft die Polizei. Sie gibt auch die Einschätzung zum Personalbedarf und zur allgemeinen Gefährdungslage, die auf Erfahrungswerten aus vergangenen Partien und der Zahl angekündigter Auswärtsfans basiert und aufgrund bestehender Rivalitäten zwischen den Vereinen ermittelt wird. Nach dem schwachen Saisonverlauf des Bremer Fußballvereins in der laufenden Saison, konnten die Bremen somit wenigstens in der Entscheidung des OVG einen (Zwischen-) Sieg erreichen. Am Samstag wird um 18:30 Uhr im Weserstadion wieder das Nordderby zwischen Werder Bremen und dem Hamburger Sportverein ausgetragen. Ulrich Mäurer weiß, dass sich beide Vereine in einer schwierigen Situation befinden - derzeit 15. und 17. Tabellenplatz. Die Frustrationsgrenze ist bei schlechtem Spielverlauf besonders schnell erreicht und die häufig damit verbundene Gewaltbereitschaft der einzelnen Fangruppen zusätzlich erhöht. Solche Spiele erfordern dann einen höheren Einsatz an Polizeikräften: Bei der vom aktuellen Rechtsstreit umfassten Paarung im April 2015 waren laut Polizei 969 Beamte im Einsatz, die zusammen 9537 Arbeitsstunden geleistet haben. Bei normalen Bremer Bundesligaspielen werden etwa 200 bis 250 Polizeibeamte eingesetzt. Die hohen Kosten des umstrittenen Gebührenbescheides ergaben sich aber nicht nur aus Einsätzen der Polizeibeamten vor Ort am Weserstadion, sondern insbesondere auch durch Einsätze vor und nach dem Spiel. Es ging dabei um die Sicherung von Anfahrtswegen zum Stadion und die Trennung gewaltbereiter Fangruppen.
 
Für das kommende Spiel am Samstagabend hat der Innensenator Bremens bereits vorbeugend zusätzliche Polizeieinheiten aus anderen Ländern angefordert und klagte noch vor dem Urteil, dass diese teilweise aus Rheinland-Pfalz anreisen müssten - das Land Bremen müsse dann für die Reisekosten und anfallende Überstunden aufkommen: eine Viertelmillion Euro soll das jedes Mal kosten. Mit der Entscheidung des OVG wird er aber künftig gute Chancen haben, sich die hierfür anfallenden Kosten an anderer Stelle wiederzuholen: “Wir haben nicht nur nach Punkten gewonnen, sondern voll obsiegt”, sagte er nach der Urteilsverkündung.  

- Urteil vom 01.02.2018 im Berufungsverfahren 2 LC 139/17 -