Keine Rechtsfolgenlösung bei Einverständnis?
Am gestrigen Mittwoch hat der Bundesgerichtshof (BGH) über einen bizarren Fall verhandelt, der sich bereits Ende des Jahres 2013 in Sachsen ereignet hatte und stark an den ausbildungs- und prüfungsrelevanten „Kannibalen von Rothenburg” erinnert. Das Landgericht (LG) Dresden verurteilte den „Stückelmörder” damals wegen Mordes (§ 211 StGB) zu acht Jahren und sieben Monaten Freiheitsstrafe - Und warum nicht lebenslänglich?
Worum geht es?
Der Stückelmörder-Fall im Erzgebirge sorgte vor etwa vier Jahren für Schlagzeilen, nachdem ein Polizist aus Sachsen gestanden hatte, Ende 2013 die Leiche eines Geschäftsmannes aus Hannover zerstückelt zu haben. Der sächsische Kriminalbeamte ist nach seiner Ehescheidung im Jahr 2005 eine homosexuelle Lebenspartnerschaft eingegangen und später in die Sado-Maso-Szene eingetaucht. In diversen Internetforen war er ab Mitte 2013 auf der Suche nach Freiwilligen für eine „reale Schlachtung”. Ein 30-Jähriger meldet sich - der Kriminalbeamte lehnt jedoch ab: 30 Jahre seien zu jung zum Sterben. Wenige Monate später kam es zum Kontakt mit dem späteren Opfer, dem 59-jährigen Geschäftsmann aus Hannover, der bereits in seiner Jugend Fantasien gehabt haben soll, sich schlachten zu lassen. Zwei Jahre lang bemühte er sich intensiv darum, geschlachtet und anschließend verspeist zu werden. Sie trafen sich schließlich in der Pension des Kriminalbeamten im Gimmlitztal im Erzgebirge - kurz darauf war der Geschäftsmann tot und seine zerlegte Leiche im Garten hinter der Pension vergraben.
Erster Prozess
Im ersten Prozess vor dem LG Dresden beteuerte der Angeklagte, dass sich der 59-Jährige mit Hilfe einer Drahtseilwinde selbst stranguliert haben soll. Er könne demnach nicht wegen eines Tötungsdelikts bestraft werden: Das bloße Mitwirken an einem freiverantwortlichen Suizid steht nicht unter Strafe. Er wurde dennoch verurteilt - und zwar wegen Mordes zu acht Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe, weil ihm das Gericht in diesem Punkt der Anklage keinen Glauben schenkte. Vielmehr kam es nach 21 Verhandlungstagen zu dem Ergebnis, dass er den 59-Jährigen tötete, um ihn anschließend zu zerstückeln, da er sich davon einen sexuellen Lustgewinn versprochen habe.
Wieso dann aber keine lebenslange Freiheitsstrafe, so wie bei einer Verurteilung wegen Mordes gesetzlich vorgeschrieben? Diese Frage wollte auch der BGH beantwortet wissen: Das Urteil wurde aufgehoben und an eine andere Schwurgerichtskammer zurückgegeben, da die Richter im ersten Prozess eine lebenslange Freiheitsstrafe hätten verhängen müssen.
Zweiter Prozess
In einem zweiten Prozess vor dem LG Dresden wurde der Angeklagte dann wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu acht Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt - das Gericht verhängte also auch wie im ersten Prozess wieder keine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Richter waren zwar davon überzeugt, dass der ehemalige Polizist den 59-Jährigen auch getötet habe, das Opfer hatte aber den ausdrücklichen Wunsch, von ihm geschlachtet und anschließend verspeist zu werden, sodass in diesem unbedingten Todeswunsch des Opfers ein außergewöhnlicher Umstand i.S.v. § 49 StGB zu sehen und von der sonst üblichen lebenslangen Freiheitsstrafe abzurücken sei.
Die Staatsanwaltschaft bestand aber auf einer lebenslangen Strafe und ging in Revision. Auch der Verteidiger des ehemaligen Polizeibeamten ging in Revision - plädierte allerdings auf Freispruch: In dem Keller der Pension sei nichts geschehen, was der Geschäftsmann nicht gewollt habe. Sein Mandant habe stets betont, nur dessen Wunsch erfüllt zu haben. Zudem sei „lebenslang” für Mord nicht mehr zeitgemäß.
Volenti non fit iniuria
Doch ist dies wirklich so? Ist „lebenslang” für Mord tatsächlich nicht mehr zeitgemäß? Der BGH hat jetzt zumindest klären müssen, wie das LG zu dem ausgesprochenen Strafmaß gekommen ist. Die Richter haben zugunsten des ehemaligen Polizeibeamten die sog. Rechtsfolgenlösung angewandt, um die zwingende lebenslange Freiheitsstrafe bei einer Verurteilung wegen Mordes nich anwenden zu müssen. Die Rechtsfolgenlösung ist ein Instrument, das die Rechtsprechung aufgrund der Struktur des Mordparagraphen entwickelt hat, sodass an Stelle lebenslanger Freiheitsstrafe ein gemilderter Strafrahmen tritt - § 211 StGB lässt es eigentlich nicht zu, als Strafmaß eine andere als die lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen, wenn die Tatbestandsmerkmale des Mordes erfüllt sind. Im Stückelmörder-Fall gingen die Richter zwar davon aus, dass der Polizeibeamte den 59-Jährigen getötet haben soll. Sie gingen aber auch davon aus, dass dies nur aufgrund seines Sterbeverlangens geschah. Das gesamte Geschehen sei somit von beiden verabredet gewesen. Für solche Fälle besagt ein altes Rechtsprinzip: Volenti non fit iniuria - dem freiwillig Einwilligenden geschieht kein Unrecht. Das Gesetz sieht in Abkehr an das eben genannte Einwilligungsprinzip bei der vom Opfer gewünschten Tötung dann zumindest die Bestrafung wegen „Tötung auf Verlangen” nach § 216 StGB vor.
BGH: de lege lata lebenslang
Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat hob am Mittwoch (21.02.2018) in einem Revisionsverfahren die vorinstanzliche Entscheidung des LG Dresden aber auf und verurteilte den ehemaligen Polizisten im Rahmen eigener Sachentscheidung nach § 354 I StPO zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe: „Der Angeklagte hat das Leben eines anderen Menschen der Befriedigung seines Geschlechtstriebes untergeordnet”, so der Vorsitzende des Senats, Norbert Mutzbauer. Schuldmindernde Umstände lägen nach Ansicht des BGH in diesem Fall nicht vor - der Todeswunsch des Opfers ändere daran nichts, sodass es sich auch nicht um Tötung auf Verlangen gehandelt habe. Strafmildernde Umstände hätten im Rahmen der Rechtsfolgenlösung hier nur angenommen werden können, wenn sich der Angeklagte in einer außergewöhnlichen Notlage oder in einer notstandsähnlichen Bedrängnis befunden hätte. Dies war jedoch nicht der Fall, sodass hier de lege lata nur die Rechtsfolge der lebenslangen Freiheitsstrafe verhängt werden konnte, die der Gesetzgeber in § 211 StGB als zwingend normiert hat.
- Urteil vom 21. Februar 2018 – 5 StR 267/17 -
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