Koalitionsvertrag: Ein Pakt für den Rechtsstaat?

Koalitionsvertrag: Ein Pakt für den Rechtsstaat?

Der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD soll den Rechtsstaat stärken

Was lange währt, wird endlich gut? Das wird sich noch zeigen: Am frühen Mittwochvormittag hatten viele Menschen trotzdem das stille Bedürfnis ein Feuerwerk der - wenn auch leicht zynischen - Freude zu zünden, als CDU, CSU und SPD verkünden ließen, dass der neue Koalitionsvertrag nun endlich steht. Mit einem “Pakt für den Rechtsstaat” will die große Koalition insbesondere die Justiz- und Innenbehörden mit zahlreichen Neuerungen stärken.

 

Worum geht es?

Die letzte Koalition schenkte keinem anderen Rechtsgebiet so viel Aufmerksamkeit wie dem Strafrecht. Die hierzu ergangenen Änderungen reichen von Sanktionsregeln bis über fast alle Abschnitte des Besonderen Teils. Dabei wurden oftmals aktuelle Kriminalitätsphänomene von der Bundesregierung aufgegriffen, die aufgrund des medialen Echos nicht einfach ignoriert werden konnten: Illegale Autorennen, tätliche Angriffe gegen Sanitäter und Vollstreckungsbeamte oder die Böhmermann-Affäre, in dessen Zuge der Tatbestand der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten als anachronistisch bezeichnet und gestrichen wurde. Noch bevor die sexuellen Übergriffe aus der Kölner Silvesternacht abschließend ausgewertet werden konnten, war die Reform des Sexualstrafrechts und der Tatbestand der “Straftaten aus Gruppen” im Schnellverfahren von der Gesetzgebung beschlossen. Zudem: Anpassungen im Korruptionsstrafrecht an europäisches und internationales Recht. Es ist viel geschehen und so ist der neue Koalitionsvertrag auch gerade aus kriminalpolitischer Sicht von großem Interesse. Diskutiert wird derzeit unter anderem über die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens oder die Legalisierung weicher Drogen - beides könnte eine Umkehrung der bisherigen Tendenz zur Ausweitung des Strafrechts bedeuten. Was bringen die geplanten Neuregelungen?  

Strafrecht weiterhin im Fokus

Als der ersehnte Durchbruch endlich am frühen Mittwochvormittag gelang, konnten CDU, CSU und SPD zahlreiche Neuerungen des Koalitionsvertrages insbesondere in der Justiz, bei Unternehmenssanktionen und für die Musterfeststellungsklage verkünden. Der Koalitionsvertrag setzt damit weiterhin kriminalpolitische Schwerpunkte. So sollen aus dem „Pakt für den Rechtsstaat” unter anderem 6000 neue Stellen in allen Justizbereichen entstehen. Hiervon sind 2000 Stellen für die Gerichte, 2000 für den nachgeordneten Bereich und 2000 für den Strafvollzug vorgesehen. Dies hatte der Deutsche Richterbund gefordert. Zudem soll auch der Generalbundesanwalt in Karlsruhe mehr Personal bekommen und die deutschen Sicherheitsbehörden sollen um 15.000 Stellen verstärkt werden - jeweils 7500 im Bund und in den Ländern. Im Zuge dessen sollen auch die Kommunikationswege zwischen Polizei und Justiz ausgebaut und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz personell und finanziell verstärkt werden.  

Neuregelungen für Videoüberwachung

Allgemein wird eine strafrechtlich relevante Digitalisierung der Lebenswelten angestrebt. Als Reaktion auf den Terroranschlag in Berlin Ende des Jahres 2016 soll auf öffentlichen Straßen und Plätzen die Überwachung „verhältnismäßig und mit Augenmaß” ausgebaut werden. Bereits seit einigen Monaten läuft hierzu ein Modellversuch für „intelligente Videoüberwachung” zur automatischen Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz. Darüber hinaus soll das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Informationen reibungsloser austauschen und verbindliche Absprachen auch zur Bearbeitung von Einzelfällen treffen, da es in Vergangenheit mehrfach Fehleinschätzungen zur Gefährlichkeit eines späteren Attentäters gegeben hatte. Dazu sollen die Sicherheitsbehörden erweiterte Zugriffsmöglichkeiten zu Messengerdiensten erhalten - entgegen starker Proteste von Seiten der FDP und den Grünen, bekennt sich die Koalition deutlich zum Netzwerkdurchsungsgesetz, da es einen richtigen und wichtigen Schritt zur Bekämpfung von Hasskriminalität und strafbaren Äußerungen in sozialen Netzwerken darstelle. Um den „Flickenteppich bei der inneren Sicherheit” - wie es Thomas de Maizière im vergangenen Jahr formulierte - zu vereinheitlichen, werden in Zukunft auch die Polizeigesetze der Länder angeglichen und ein neues „Musterpolizeigesetz” als hierzu dienende Vorlage geschaffen.  

Die Musterfeststellungsklage kommt

Zudem soll noch im November diesen Jahres die von vielen Seiten geforderte Musterfeststellungsklage eingeführt werden. Sie soll es Verbrauchern erleichtern, ihre Rechte gegen große Unternehmen durchsetzen zu können. Dabei soll die Klagebefugnis auf gesondert festgelegte und qualifizierte Einrichtungen begrenzt werden, damit sich hieraus keine Klageindustrie entwickelt. Zu solchen Einrichtungen könnten zum Beispiel Verbraucherverbände zählen. In einem Interview äußerte sich Johannes Fechner (SPD), Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Recht und Verbraucherschutz, wie folgt: „Weil die Ansprüche tausender VW-Geschädigter zum Jahreswechsel 2018/2019 zu verjähren drohen, wurde auf Druck der SPD ausdrücklich vereinbart, dass das Gesetz zum 01. November 2018 in Kraft tritt.” Die Musterfeststellungsklage solle dabei eine reine Feststellungsklage bleiben.  

Schärfere Sanktionen für Unternehmen

Das vermutlich innovativste Vorhaben bildet jedoch die Reform des Unternehmenssanktionsrechts, wodurch die bundesweit uneinheitliche Rechtsanwendung durch die Einführung des Legalitätsprinzips abgestellt werden soll. Neben den Mitarbeitern sollen in Zukunft auch die von einem Fehlverhalten profitierenden Unternehmen stärker zur Rechenschaft gezogen werden können. Der Bußgeldrahmen wird dabei an die Wirtschaftskraft des jeweiligen Unternehmens angepasst und soll nach Maßgabe von objektiven und nachvollziehbaren Zumessungsregeln erfolgen, wobei die Grenze bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz bei 10 Prozent des Umsatzes liegen soll. Dabei setzt die Große Koalition auf gesetzliche Anreize für sogenannte „Internal Investigations” - unternehmensinterne Ermittlungen - um die Aufklärung zu erleichtern.

Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob die Vorhaben in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden und welche Auswirkungen sie mit sich bringen.