Zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Satzes

Zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Satzes

Die Linke stellt Kleine Anfrage zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Höchstsatzes an die Bundesregierung

Die Bundestagsfraktion der Linken hält den BAföG-Satz für verfassungswidrig niedrig, weil er noch unter dem Hartz-IV-Regelsatz nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II liegt. Die Fraktion stützt sich dabei auf verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und stellte eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Ist das BAföG tatsächlich so niedrig, als dass es kein menschenwürdiges Existenzminimum für Studenten mehr begründen kann?

 

Worum geht es?

Kurz vor Weihnachten stellte die Bundestagsfraktion der Linken der Bundesregierung eine Kleine Anfrage zur Verfassungsmäßigkeit des BAföG-Höchstsatzes (Drs. Nr. 19/356). Ihrer Ansicht nach sei das BAföG zu niedrig bemessen und liege aktuell lediglich bei 399 Euro, vgl. § 13 I Nr. 2 BAföG . Der BAföG-Grundbedarf liege damit sogar unter dem Hartz-IV-Regelsatz von derzeit 409 Euro, vgl. § 20 I a SGB II. Zusätzlich seien in der Grundsicherung für Arbeitssuchende entsprechend dem SGB II auch Kosten für die Unterkunft in vollem Umfang und Kosten für sogenannte langlebige Lebensgüter wie Kühlschränke oder Waschmaschinen enthalten, vgl. § 22 I 2 SGB II. Für Studierende, die BAföG beziehen, werde jedoch lediglich eine Wohnungs-Pauschale von 250 Euro berechnet, langlebige Lebensgüter werden in die Grundbedarfsberechnung nicht einkalkuliert, vgl. § 13 II Nr. 2 BAföG. Dabei koste die Miete für ein WG-Zimmer beispielsweise in München mittlerweile durchschnittlich 570 Euro.  

BAföG-Satz sei verfassungswidrig

Die Bundestagsfraktion der Linken sieht den BAföG-Satz daher als verfassungswidrig an und stützt sich dabei insbesondere auf zwei Entscheidungen des BVerfG. Aus den beiden Entscheidungen ergebe sich zum einen, dass der Staat Hilfebedürftigen ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten müsse, das deren physische Existenz und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben sichern solle (Urt. v. 09.02.2010, Az. 1 BvL 1/09), und zum anderen, habe das BVerfG im Jahr 2014 festgestellt, dass der damals geltende Leistungssatz nach dem SGB II gerade noch so verfassungsgemäß sei (Beschl. v. 23.07.2014, Az. 1 BvL 10/12). Gleichzeitig war der Gesetzgeber damals schon angehalten worden, Bedarfe für Kinder zu erhöhen und langlebige Lebensgüter bei der Berechnung zu berücksichtigen. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass soziale Leistungen, die der Mindestanforderung im Sinne des SGB II nicht genügen und damit unterhalb des Grenzwertes liegen, verfassungswidrig seien.  

Die Antwort der Bundesregierung

Und wie reagiert die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage? Sie ordnet Studenten erstmal als eine besondere Personengruppe ein, die mit den Regelsätzen nach dem SGB II nicht zu vergleichen sei. Denn während sich arbeitslose, erwerbsfähige Menschen um einen Job bemühen, den Behörden stets zur Verfügung stehen müssten und etwa für die Nichteinhaltung von Auflagen gegebenenfalls sanktioniert werden könnten, seien Studenten auch ohne Nachweis eigenen Bemühens um eine Einkommenserzielung förderungsberechtigt. Studenten könnten zudem Plätze im Wohnheim nutzen oder Wohngemeinschaften bilden und hierdurch ihre Aufwendungen des täglichen Lebens leichter teilen, “wenn sie nicht ohnehin noch im elterlichen Haushalt” wohnten.

Die Bundesregierung führt weiterhin aus, dass ein Hochschulstudium die anschließende Erwerbs- und Einkommenschancen regelmäßig beträchtlich erhöhe, sodass die Vorgaben aus den genannten Entscheidungen des BVerfG zum menschenwürdigen Existenzminimum auch nicht “unverändert auf die Bemessung der Bedarfssätze für die Leistung von Ausbildungsförderung übertragbar” seien. Daher sei auch die Wohnpauschale von 250 Euro durchaus verfassungsgemäß: “Finanzielle Beschränkungen bei der Lebensführung für die Dauer des Studiums trotz BAföG-Betzugs sind vorübergehend hinnehmbar”, heißt es abschließend.  

Relativierung der Menschenwürde?

Niema Movassat, Mitglied des Bundestages für die Linke, reagiert bestürzt auf die - schon fast zynische - Antwort der Bundesregierung: “Im Prinzip sagt die Bundesregierung, dass Studierende ruhig hungern können, weil es ihnen ja später einmal besser gehen würde”, da sie aufgrund des Studiums eine bessere Einkommensperspektive hätten.

Ist die Einordnung der Studenten in eine spezielle Personengruppe insoweit überhaupt zulässig? Das würde gleichzeitig bedeuten, dass es möglich wäre, die Menschenwürde relativ zu betrachten. In einem Urteil zum Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahre 2012 äußerte sich das BVerfG dahingehend, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum deutschen wie ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zustehe und die Menschenwürde nicht zu relativieren sei. Ein menschenwürdiges Existenzminimum stehe somit jedem Menschen gleich zu, weshalb die Auffassung der Bundesregierung mit dem Grundgesetz unvereinbar und der BAföG-Satz verfassungswidrig niedrig sei. Überträgt man die Entscheidung der Karlsruher Richter auf die Höhe des BAföG-Satzes, so müsse dieser auf das Niveau des Arbeitslosengeldes 2 erhöht werden. Der jetzige, niedrige BAföG-Satz verletze damit die in Art. 1 I GG verankerte Menschenwürde, so Movassat.  

Recht auf freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte

Zudem gebiete Art. 12 GG eine deutliche Erhöhung der BAföG-Sätze, da die Lebenshaltungskosten weit höher seien, als die Bundesregierung behaupte. Denn nur 12% aller Studierenden können in studentischen Wohnheimen unterkommen und auch deren Mieten sollen mit durchschnittlich 350 Euro im Monat deutlich über der Wohnpauschale liegen, die das BAföG derzeit vorsieht. Dies sei auch ein Grund für die kontinuierlich sinkende Zahl von Studierenden aus einkommensschwachen Familien. Das BAföG müsse folglich so gestaltet werden, dass es den Bedarfen der Studierenden tatsächlich gerecht wird, da sich ansonsten das verfassungsmäßige Recht auf die freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte unabhängig von der sozialen Herkunft nicht durchsetzen ließe.