Di Fabio prüft Urteil des BVerwG zur "schmerzlosen Selbsttötung"

Di Fabio prüft Urteil des BVerwG zur

Ehemaliger Verfassungsrichter kritisiert in einem Rechtsgutachten das Selbsttötungs-Urteil des BVerwG

Im März vergangenen Jahres hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, dass unheilbar tödlich erkrankten Patienten, bei denen auch palliativ-medizinische Maßnahmen keine Linderung versprechen, eine Freigabe eines tödlich wirkenden Betäubungsmittels durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erteilt werden müsse. Das BVerwG sprach sich somit für ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod in extremen Ausnahmefällen aus. Jetzt bezieht der frühere Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), Udo Di Fabio, in einem Gutachten klare Position gegen die Freigabe tödlicher Betäubungsmittel für Suizidenten und kritisiert die Entscheidung des BVerwG.

 
Worum geht es?
In dem vom BVerwG entschiedenen Fall hatte sich die Ehefrau des Klägers mit der Unterstützung einer Sterbehilfeorganisation in der Schweiz selbst getötet. Vom Hals abwärts gelähmt und künstlich beatmet war für sie das Leben nach einem Unfall unerträglich geworden. Beim BfArM hatte sie vorher die Erlaubnis zum Erwerb von 15 g Natrium-Pentobarbital beantragt. Dies wurde abgelehnt. Der klagende Witwer war aber der Auffassung, dass das Recht, selbstbestimmt über den Zeitpunkt und die Umstände des eigenen Todes zu entscheiden, leer laufen würde, wenn dem Betroffenen verwehrt werde, auf eine möglichst risikolose und schmerzfreie Weise aus dem Leben zu scheiden und klagte auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Versagungsbescheides. Die Klage wurde an allen Instanzgerichten und schließlich auch vom BVerfG mangels Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) konnte das Verfahren aber wieder aufgenommen werden, weil dieser entschied, dass der Kläger aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch darauf habe, dass die nationalen Gerichte die Begründetheit der Klage prüften (Urt. v. 19.07.2012, Beschwerde-Nr. 497/09). 
 
BVerwG änderte Urteile der Vorinstanzen ab
Das Verfahren wurde sodann wieder aufgenommen, aber als unbegründet abgewiesen: Das BfArM habe zu Recht angenommen, dass die beantragte Erlaubnis nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu versagen sei, sodass weder ein Verstoß gegen Grundrechte noch gegen Rechte und Freiheiten nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vorlegen. Erst in der Revision des Klägers hat das BVerwG die Urteile der Vorinstanzen geändert und festgestellt, dass der Versagungsbescheid des BfArM rechtswidrig gewesen sei. Die Leipziger Richter stimmten dem klagenden Witwer in Teilen zu und entschieden, dass der Einzelne zwar grundsätzlich nicht verlangen könne, dass der Staat Rahmenbedingungen und Strukturen schaffe, die die Selbsttötung ermöglichen oder erleichtern. Allerdings käme eine Verdichtung zu einer konkreten Schutzpflicht für die Selbstbestimmung jedoch dann in Betracht, wenn sich ein schwer und unheilbar Kranker wegen seiner Erkrankung in einer extremen Notlage befindet, aus der es für ihn selbst keinen Ausweg gebe. Insbesondere am Lebensende und bei schwerer Krankheit sie der Einzelne auf die Achtung und den Schutz seiner Autonomie angewiesen. Dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen komme insbesondere bei einer extremen Notlage ein besonderes Gewicht zu, hinter dem die staatliche Schutzpflicht für das Leben aus Art. 2 II 1 GG zurücktrete. Die staatlich unterstützte Selbsttötung sei unter Umständen also eine schutzwürdige Therapie, sodass der Zugang zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung erlaube, pauschal nicht verwehrt werden dürfe (Urt. v. 02.03.2017, Az. 3 C 19.15).
 
Di Fabio: Verstoß gegen Gewaltenteilung und Vorbehalt des Gesetzes
Auf Wunsch des BfArM sollte der ehemalige Verfassungsrichter, Prof. Di Fabio, insbesondere die verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Urteils und die daraus folgenden Anforderungen an das künftige Verwaltungshandeln im BfArM erläutern. In seinem Gutachten kommt er zu dem Ergebnis, dass in der Entscheidung des BVerwG ein ungerechtfertigter Eingriff in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers vorliege. Mit der Gesetzesauslegung der Leipziger Richter werde an Stelle des Willens des Gesetzgebers, ein eigener rechtspolitischer Wille gesetzt. Darin sei folglich ein Verstoß gegen das in Art. 20 II und III GG niedergelegte Gewaltenteilungsprinzip und den Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes zu sehen. Das Urteil sei somit verfassungsrechtlich nicht haltbar und mit unabsehbaren, negativen Folgen verbunden.
 
Gesetzgeber sei berechtigt, die Mittel zu verweigern
Im Hinblick auf das vom BVerwG abgestellte Persönlichkeitsrecht der Suizidenten schreibt Di Fabio, dass der freien individuellen Entscheidung zwar ein außergewöhnlich hohes Gewicht zukomme, Selbstbestimmung aber nicht zu einer Pflicht zur Beteiligung des Staates an einer höchstpersönlichen Entscheidung führe. Es bestehe keine verfassungsrechtliche Schutzpflicht, dem Sterbewilligen die für den Freitod notwendigen Mittel zu verschaffen oder ihm den Zugang zu ermöglichen. Vielmehr fehle es bei der verweigerten Befreiung vom gesetzlich angeordneten Erwerbsverbot an einem zurechenbaren Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Sterbewilligen. Der Gesetzgeber sei somit berechtigt, die Mittel zu verweigern, wenn er in einer “Assistenz” zur Selbsttötung zugleich Gefahren einer künftig entstehenden Routine zur Verabreichung tödlich wirkender Substanzen bis hin zur gesellschaftlichen Erwartung des Suizids erkennt und damit einer künftigen Würdegefährdung in anderen Kontexten entgegenwirken will.

Darüber hinaus solle der Bundesgesundheitsminister die Herausgabe von Präparaten -analog zum finanzrechtlichen Instrument des Nichtanwendungserlasses- zumindest bis zu einer Gesetzesänderung überbrücken, damit eine mögliche Strafbarkeit von Behördenmitarbeitern durch die Herausgabe todbringender Präparate nicht entsteht. 

Das Rechtsgutachten wird derzeit geprüft.