Der Kodifikationsstreit als Wegbereiter des BGB

Der Kodifikationsstreit als Wegbereiter des BGB

Wie der Kodifikationsstreit zwischen Savigny und Thibaut den Weg zum BGB ebnete

Heute ist es selbstverständlich, dass in Deutschland ein einheitliches Gesetzbuch zum bürgerlichen Recht existiert. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts aber galten im damaligen deutschen Gebiet bzw. den damaligen deutschen Staaten ganz unterschiedliche rechtliche Regelungen, die vielfach auf das römisch-gemeine Recht zurückgingen und sich mit territorial geprägtem, nicht kodifizierten Gewohnheitsrecht vermengten.  

 

Verschiedene Rechtsquellen vor dem BGB

Die älteste deutsche Kodifikation privaten Rechts galt im bayerischen Raum. Im Jahr 1756 trat im (damaligen) Kurfürstentum Bayern die erste Sammlung privatrechtlicher Regelungen in Kraft. Ab 1794 galt im preußischen Hoheitsgebiet das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten“. Hiermit wurde erstmalig versucht, eine vollständige Ablösung vom bisher geltenden römisch-gemeinen Recht durch den Erlass territorialrechtlicher Normen zu schaffen. Neben diesen schriftlich festgehaltenen Normen galten über das ehemalige Deutsche Reich innerhalb der Fürstentümer Rechtsideen des sog. gemeinen Rechts, die überwiegend in römisch-rechtlicher Tradition standen und insbesondere Gewohnheitsrecht waren.

Nach Zerfall des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen bildete sich auf Initiative bzw. auf das Drängen Napoleon Bonapartes 1806 der Rheinbund. Aufgrund der politischen Urheberschaft des napoleonischen Frankreichs galt hier der Code Civil. Dieser galt selbst in Frankreich noch nicht lange, eine komplette Kodifikation essentieller Regelungen konnte nicht erreicht werden. Territoriale Regelungen wurden nicht ersetzt und blieben bestehen, so kam es letztlich zu einer weiteren Zersplitterung des Rechts. Der Wunsch nach der Vereinheitlichung wurde größer, insbesondere bedingt durch den sich stets vermehrenden grenzüberschreitenden Warenverkehr.

 

Idee der Vereinheitlichung des Rechts

Diese Idee der Vereinheitlichung des Rechts veranlasste den Rechtswissenschaftler Anton Friedrich Justus Thibaut im Jahr 1814 zum Verfassen seiner Schrift „Von der Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland“. Gegenüber anderen zu dieser Zeit vertretenen Meinungen, nach denen lieber territorial bestimmte Rechtsordnungen zu gelten hätten, bevor die französische zu übernehmen sei, sollte nach ihm die Kodifikation des bürgerlichen Rechts das große Ziel sein. Zwar befasste er sich selbst auch kritisch mit dem Code Civil - dieser, sowie das preußische als auch das österreichische Landesrecht sollten aber zumindest als „höchst Lehrreiche Vorarbeiten“ zur Schaffung eines eigenen einheitlichen Rechts dienen. Dass diese notwendig war, erkannte er gerade im Hinblick auf die sich bildende nationale politische Einigkeit, die in den gegen Napoleon geführten Befreiungskriegen zu sehen gewesen sei. Der aufgrund seines Werkes „System des Pandekten-Rechts“ bekannte und sehr geschätzte Professor war davon überzeugt, dass so die Einheit Deutschlands erreicht werden könnte.

 

Gegenwehr

Nicht alle waren von dieser Idee Thibauts überzeugt. Insbesondere Friedrich Carl von Savigny, ebenfalls Professor der Rechtswissenschaften und auch heute den meisten Jurastudenten ein Begriff, wendete sich mit seiner Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ aus dem Jahr 1814 gegen die Ansicht Thibauts. Seiner Ansicht nach war weder die Rechtswissenschaft, noch der Gesetzgeber in der Lage, die Kodifikation eines einheitlichen Rechts vernünftig vorzunehmen. Er wandte sich gerade gegen die Aussage Thibauts, der die bestehenden Kodifikationen als lehrreiche Beispiele nannte und erkannte in diesen die Negativbeispiele. So seien die Mängel, die die preußischen, österreichischen und insbesondere die französischen Regelungen aufwiesen, der Beweis dafür, dass die privatrechtliche Gesetzgebung immer fehlerhaft und deshalb auch von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen sei. Anders als Thibaut glaubte er daran, dass sich das Recht historisch entwickelte und es so einer einheitlichen Gesetzgebung nicht bedürfe. Der Vorteil sollte insbesondere in der klaren Terminologie liegen, die sich schließlich über Jahre verfestigt habe. Bevor man überhaupt an eine einheitliche Gesetzgebung habe denken können, hätten die bestehenden Regelungen vernünftig be- und durchgearbeitet werden müssen, um dann gegebenenfalls hieraus ein Gesetzbuch zu entwickeln.

 

Wie ging es weiter?

Thibaut schaffte es zunächst nicht, die Mehrheit von seiner Idee zu überzeugen, an einem einheitlichen Gesetzbuch wurde nicht weitergearbeitet. Zwar ermöglichte die Frankfurter Paulskirchenverfassung der Reichsgewalt die Schaffung einheitlicher Gesetzbücher - die Verfassung selbst wurde allerdings nie umgesetzt, die Arbeiten also nie zu einem Ergebnis gebracht.

Durch die Gründung des Deutschen Reiches 1871 kam auch die Idee nach einheitlichen Gesetzen wieder auf. Es dauerte allerdings noch ganze 25 Jahre, bis das Bürgerliche Gesetzbuch verkündet wurde, zum 01.01.1900 trat das BGB dann in Kraft.

Thibauts und von Savignys Ideen wurden hierin verewigt. Der Aufbau des BGB erfolgt beispielsweise nach dem Schema des Pandektensystems - wie von Thibaut vertreten. Die Rechtsgeschäftslehre wurde zu einem großen Teil von dem Abstraktionsprinzip geprägt - die wiederum von von Savigny begründet wurde. Auch die Unterscheidung zwischen deliktischer und vertraglicher Haftung wurde maßgeblich von ihm herausgearbeitet. Sie beide prägen unser Recht bis heute und brachten mit dem Kodifikationsstreit von 1814 letztlich das BGB in seiner heutigen Form auf den Weg.