Schafft das NetzDG die Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken ab?

Schafft das NetzDG die Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken ab?

Das Löschen hat begonnen: Kritiker fordern die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes

Das Netzwerkdurchsungsgesetz und die damit verbundene gesetzlich vorgeschriebene Löschung und Sperrung offensichtlich rechtswidriger Inhalte auf kommerziellen Plattformen wird seit Jahresbeginn in die Praxis umgesetzt und so wurde mit der vorübergehenden Sperrung des Twitter-Accounts der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch oder des Satiremagazins “Titanic” die Diskussion um das neue Gesetz erneut laut. Kritiker fordern jetzt die Abschaffung des NetzDG.

 
Worum geht es?

Kein Gesetz aus der vergangenen Legislaturperiode steht aktuell so im Streit wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG): Seit Beginn dieses Jahres haben Twitter, Facebook und Co. eine ganze Welle an Meldungen über als rechtswidrig eingeschätzte Inhalte möglichst schnell abzuarbeiten, da sie nunmehr gesetzlich dazu verpflichtet sind, eindeutig strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu entfernen. Erfasst werden Inhalte, die nach geltendem Recht bereits strafbar sind. So benennt das Gesetz etwa Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung und Bedrohung. Auch terroristische Straftaten und Kinderpornographie sollen so aus den sozialen Netzwerken verbannt werden.

Dies soll durch umfassende Verpflichtungen der Anbieter von sozialen Netzen erreicht werden. Diese sind zunächst verpflichtet, dem Nutzer ein wirksames und transparentes Beschwerdemanagement zur Verfügung zu stellen. Sie müssen nun also ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über strafbare Inhalte anbieten.
 
Sind die Konzerne überfordert?

Nach der Blockade verschiedener Twitter-Accounts und der Löschung mehrerer Tweets innerhalb weniger Tage, ist die Situation für die Kritiker eindeutig: Private Anbieter seien nicht in der Lage, in allen Fällen mutmaßlich strafbarer Äußerungen im Netz die richtige Entscheidung darüber zu treffen, ob eine rechtswidrige, eine satirische oder eine geschmacklose, in einer Demokratie aber zu ertragende Meinungsäußerung vorlege. Vielmehr sei die sachgerechte Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden zur Durchsetzung des Rechts auch im Netz notwendig und nicht die Privatisierung dieser Entscheidungen bei internationalen Plattformbetreibern. Hierin zeige sich insbesondere die Schwäche des von den Ministern in der vergangenen Legislaturperiode im Schnelldurchlauf beschlossenen Gesetzentwurfs. Das Gesetz hantiere mit unbestimmten Rechtsbegriffen, wie “offensichtlich strafbare” Inhalte: Aber was ist ein “offensichtlich strafbarer” Inhalt? Und warum sollen die Plattformbetreiber sozialer Netzwerke darüber entscheiden und nicht Gerichte?
 
Im Zweifel wird gelöscht

Das Gesetz sollte auf die Plattformbetreiber Druck aufbauen, ein effektives Melde- und Löschsystem schaffen. Es sollte also keine neuen Ansprüche schaffen, sondern dabei helfen, bestehende geltend machen zu können und rechtswidrige Zustände im massenmedialen Geschäft der Netzwerke auch ohne Zutun der Justiz zu beseitigen. Die Praxis scheint nun aber zu belegen, dass dies nicht so einfach funktioniert.

Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens hatten Kritiker darauf hingewiesen, dass die Unternehmen aufgrund zu kurzer Fristen und hoher Bußgelder, die ihnen bei Fehlverhalten drohen, im Zweifel zu viele Inhalte löschen würden. Dabei hat die große Koalition damals nahezu beschworen, dass es zu einem solchen “Overblocking” nicht kommen werde, da das NetzDG es ermögliche, die Entscheidungen über die Strafbarkeit von Inhalten an eine Selbstkontroll-Einrichtung zu übertragen, wie es auch im Jugendmedienschutz der Fall ist. Damit sollte die befürchtete Privatisierung der Rechtsdurchsetzung ausgeschlossen werden. Darüber hinaus sollte hierfür ein Gremium mit qualifiziertem Personal eingeführt werden, das neutral urteilen könne, sodass die Entscheidung über “offensichtlich strafbare” Inhalte weder Privaten, noch einer staatlichen Überwachungsbehörde überlassen sein sollte. Allerdings ist bis heute noch nicht einmal ein Antrag zur Einrichtung eines solchen Gremiums gestellt worden.
 
Amtlich verordnete Strafvereitelung

Die neuen Regelungen sind seit dem ersten Entwurf aus dem Justizministerium bis zum Beschluss im Sommer nicht nur von den Betroffenen, also den kommerziellen sozialen Netzwerken, als Fehlleistung kritisiert worden, sondern auch von ausgesprochen vielen Institutionen, NGOs, Verbänden sowie dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. Ziel des Gesetzes ist die Durchsetzung eines Kommunikationsverhaltens mit weniger Hass und verbaler Gewalt. Nach Ansicht vieler Kritiker entpuppt es sich jedoch als amtlich verordnete Strafvereitelung, da durch die Löschung von Inhalten auch die Strafverfolgung erschwert werde.

Der Rechtsprofessor Dr. Marc Liesching geht von einer fatalen Langzeitwirkung des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes aus: Das mit dem Gesetz eingeführte „faktisch-vorzensorische System” soll seiner Meinung nach die Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken schleichend und weitgehend abschaffen. Zudem sei es ein Angriff auf die freiheitlich demokratische Grundordnung und wurde bereits vor seinem Inkrafttreten von Fachjuristen als verfassungs- und/oder europarechtswidrig angesehen.