Ärztin entfacht Debatte über verbotene Werbung für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a StGB
Derzeit wird darüber diskutiert, den Straftatbestand des § 219a StGB abzuschaffen: Nicht nur die Historie dieser Norm allein sei Grund genug für die Aufhebung, sondern es könnte auch ein Verstoß gegen EU-Recht vorliegen.
Worum geht es?
Am 24. November 2017 wurde die Ärztin Dr. Kristina Hänel von dem Amtsgericht Gießen wegen eines Verstoßes gegen § 219a StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 6.000 Euro verurteilt - 40 Tagessätze à 150 Euro (AZ: 500DS 501JS 15031/15). Sie habe auf ihrer Website unter dem Begriff „Schwangerschaftsabbruch“ einen Link mit Informationen zu Ablauf, Möglichkeiten und Risiken von Schwangerschaftsabbrüchen angeboten. Zwar ist der Schwangerschaftsabbruch unter gewissen Umständen in Deutschland legal, die Information darüber ist aber strafbar: § 219a StGB verbietet -mit wenigen Ausnahmen- Werbung für den ärztlichen Schwangerschaftsabbruch zu betreiben.
Richterin: Schutz des ungeborenen Lebens ist Aufgabe des Staates
Frau Dr. Hänel führte an, dass jede Frau ein Recht dazu habe, sich selbst zu informieren und eine solche Informationsverschaffung nicht nur durch offizielle Beratungsstellen erfolgen sollte, welche gesetzlich dazu angehalten seien, zu einer Fortführung der Schwangerschaft zu raten. Nach Ansicht der Richterin sei ein Schwangerschaftsabbruch aber keine normale medizinische Leistung, sondern ziehe nach sich, dass ungeborenes Leben beendete werde. Der Schutz eines ungeborenen Lebens sei ausschließlich Aufgabe des Staates, sodass der Staat für diese schwierigen Situationen eine verpflichtende Beratung anbiete, „damit sie sich doch für das Kind entscheiden kann“. Sollte sich die Frau dennoch gegen die Geburt entscheiden, so sehe der Gesetzgeber vor, dass der Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen der §§ 218 ff. StGB durchgeführt werden könne.
Gesetzesinitiative in Bundestag eingebracht
Nach dem Prozess wurde Frau Dr. Hänel zum Gesicht einer neuen Frauenrechtsbewegung. Dass sie hierfür ihre Approbation riskiert, sei ihr bewusst. Sie sammelte im Rahmen einer Petition mehr als 150.000 Unterschriften für die Abschaffung des § 219a StGB. Der Berliner Senat hat beschlossen, eine entsprechende Gesetzesinitiative in den Bundestag einzubringen.
Die Vorschrift des § 219a StGB widerspreche den heutigen Vorstellungen von Informationsfreiheit, Selbstbestimmung und freier Arztwahl. Schwangere sollen künftig durch Informationen in die Lage versetzt werden, selbständig zu entscheiden, wie und bei welcher Ärztin oder bei welchem Arzt sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. Gleichzeitig dürften Ärzte nicht dafür kriminalisiert und sanktioniert werden, dass sie ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patientinnen nachkommen.
Eine „Kommerzialisierung“ des Schwangerschaftsabbruchs durch eine Zunahme ärztlicher Informationsangebote wird dabei nicht angenommen, da es bereits die ärztliche Berufsordnung verbiete, berufswidrige Werbung zu betreiben – damit sei eine ausreichende rechtliche Regelung vorhanden.
Der Tatbestand des Werbeverbots im Rahmen des § 219a StGB wurde in der Strafrechtsreform im Mai 1933 auf Grundlage der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik eingeführt, sodass sein Fortbestehen schon allein deswegen zu verurteilen sei.
Verstoß gegen EU-Recht
Nach Ansicht von Prof. Dr. Jörg Gerkrath – Professor für Europarecht an der Universität Luxemburg – verstoße § 219a StGB darüber hinaus gegen EU-Recht.
Er führt hierzu aus, dass nach Art. 56 EUAV sämtliche „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der EU“ unzulässig seien. Daher könnten sich Ärzte gegenüber der Bundesregierung auf ihre Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn sie in Deutschland über Schwangerschaftsabbrüche im Ausland informieren, da der ärztliche Schwangerschaftsabbruch, der im Einklang mit dem Recht des Staates vorgenommen wird, in dem er stattfindet, eine Dienstleistung im Sinne des Art. 56 EUAV darstellt (Urt. v. 11.07.2002 Az. C-60/00; Urt. v. 04.10.1991, Az. C-159/90). Dasselbe gelte für in Deutschland niedergelassene Ärzte mit Patienten aus anderen EU-Mitgliedstaaten.
Die Dienstleistungsfreiheit - als eine der Grundfreiheiten des EU-Rechts - bedürfe lediglich eines grenzüberschreitenden Sachverhalts, nicht aber eines konkreten Kunden. So habe der EuGH bereits in Vergangenheit klargestellt, dass der freie Dienstleistungsverkehr lediglich illusorisch wäre, wenn nationale Regelungen das Anbieten von Dienstleistungen nach Belieben behindern könnten (Urt. v. 10.05.1995, Az. C-384/93). Es besteht zwar die Ausnahme der „rein internen Sachverhalte“, also solcher, deren sämtliche Merkmale „nicht über die Grenzen eines Mitgliedsstaates hinausweisen“. Diese Ausnahme greife aber nicht im Falle des § 219a StGB, da ein solcher „rein interne Sachverhalt“ im Falle der Niederlassung eines EU-Bürgers als Arzt in Deutschland nicht mehr gegeben sei (EuGH, Urt. v. 15.11.2016, Az. C 268/15). Dasselbe gelte für in Deutschland niedergelassene Ärzte mit Patienten aus anderen EU-Mitgliedstaaten.
Verbotene Beschränkung der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit
Laut Prof. Dr. Gerkrath stellt § 219a StGB somit eine (verbotene) Beschränkung der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit dar. Solche Beschränkungen können nur ausnahmsweise aufgrund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, müssten dann aber im Einklang mit der Charta der Grundrechte (EU-GRCh) und insbesondere mit der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit nach Art. 10 der GRCh in Verbindung mit Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) stehen.
Im Falle einer Berufung der vom AG Gießen verurteilten Ärztin wäre es nach Ansicht des Rechtsprofessors sinnvoll, die EU-Rechtskonformität dieser Bestimmung überprüfen zu lassen und den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen