EU-Strafverfahren gegen Polen

EU-Strafverfahren gegen Polen

Erstmals leitet die EU-Kommission ein Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV gegen ein Mitgliedsland ein

Die Europäische Kommission hat erstmals in der Geschichte ein Rechtsstaatsverfahren nach Art. 7 EUV eingeleitet: Das Verfahren richtet sich gegen die nationalkonservative Regierung Polens, da sie mehrere Gesetze verabschiedet habe, die eine ernsthafte Gefahr für die Unabhängigkeit der Justiz und der Gewaltenteilung darstellen.

 
Worum geht es?

Die jüngsten Reformen der polnischen Regierung zeigen nach Ansicht der EU-Kommission ein eindeutiges Muster auf: Der regierenden Mehrheit soll die Möglichkeit gegeben werden, systematisch in das Justizsystem einzugreifen und dieses auszuhöhlen. Daher bestehe die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit. Bereits im Januar 2016 hatte die Kommission einen sogenannten Rechtsstaatsmechanismus wegen umstrittener Richterernennungen gegen Polen in Gang gesetzt. Dieses Instrument beruht jedoch lediglich auf Kommunikation und Empfehlungen - nach mehr als zwei Dutzend Mahnbriefen und zahlreichen ergebnislosen Dialogen mit der polnischen Regierung blieb es bislang ohne Konsequenz. Innerhalb der letzten drei Jahre seien aber insgesamt 13 Gesetze erlassen worden, die die Unabhängigkeit der Justiz komplett hinfällig machen würden. Die Brüsseler Behörde greift somit zum ersten Mal in der Geschichte der EU zum letzten Mittel und eröffnet das Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV gegen Polen.

 
Einstimmiger Beschluss notwendig

Die Brüsseler Behörde habe sich als “Hüterin der Verträge” zur Einleitung des Verfahrens gezwungen gesehen. Art. 7 EUV gibt der EU die Möglichkeit, das Fehlverhalten von Mitgliedstaaten in Bezug auf die europäischen Werte zu ahnden. Nachdem die Kommission das Verfahren initiiert hat, müssen die zuständigen EU-Minister zunächst in einem ersten Schritt die “eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der EU-Grundwerte” in Polen feststellen. Hierfür ist die Zustimmung des EU-Parlaments und von 22 der 27 Mitgliedsstaaten nötig.

Damit die Sanktionen aber gegen Polen in einem weiteren Schritt tatsächlich verhängt werden können, ist ein einstimmiger Beschluss nötig. Eine solche Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten könnte aber durch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán verhindert werden. Mehrfach hat er bereits angekündigt, sein Veto einzulegen. Sollte dennoch ein einstimmiger Beschluss erreicht werden, so können die Sanktionen bis hin zum Entzug der Stimmrechte Polens im Rat der Mitgliedsstaaten reichen.

 
Polen zeigt sich bislang wenig beeindruckt

Allerdings zeigt sich Polens Staatsführung bislang recht unbeeindruckt: Noch am selben Abend unterzeichnete der Staatspräsident, Andrzej Duda, die neuen Reformen des Obersten Gerichts und des Nationalen Justizrats. Somit traten gerade diejenigen Gesetze, in denen die EU eine Aushebelung der Gewaltenteilung sieht, in Kraft. Der polnische Premier äußerte sich hierzu über Twitter, dass die Justizreform in Polen unerlässlich sei und dass Polen genauso wie die EU an Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gebunden sei.

Kommissionsvizepräsident Timmermanns sagte am Mittwoch, dass die Brüsseler Behörde weiterhin offen für Gespräche mit Polens Regierung sei, da es schließlich um die Existenz der EU gehe.

 
Tiefer Schnitt zwischen Ost- und Westeuropa

Zu Beginn des eingeleiteten Verfahrens habe es von Seiten der Brüsseler Behörde noch Versuche gegeben, einen Dialog mit der polnischen Regierung herbeizuführen. Doch anstatt die Justizreformen zu entschärfen, habe sich Polen dem Dialog immer weiter entzogen und habe zugleich die geplanten Reformen verschärft fortgesetzt. Der Vizepräsident habe nicht einmal mehr Termine bei polnischen Ministern erhalten.

Die Eröffnung des Sanktionsverfahrens stellt für die EU-Kommission zugleich aber auch ein hohes Risiko dar. Sollte Ungarn dem Strafverfahren tatsächlich nicht zustimmen und sich mit Polen solidalisieren, so könnte dies den Beginn eines tiefen Schnitts zwischen Ost- und Westeuropa bedeuten. Neben Ungarn könnten sich die ebenfalls von einem Rechtspopulisten regierten Tschechen auf Polens Seite schlagen. Auch Rumänien scheint an den Reformen in Polen Gefallen gefunden zu haben: Anfang dieses Jahres haben Rumäniens Machthaber versucht, die Antikorruptionsgesetzgebung zu entschärfen und auch hier steht eine Reform des Justizwesens und der Strafgesetze an.

 

Quelle: Spiegel Online