Schlaftötungs-Fall

A. Sachverhalt

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen zu zweimal lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Der Angeklagte hat Frau Erna M und den gemeinsamen Sohn Klaus Peter, mit denen er bis dahin zusammengelebt hatte, während beide schliefen, mit einem Beil erschlagen.  

B. Worum geht es?

Heimtückisch im Sinne von § 211 II StGB tötet – so die bekannte Formel der Rechtsprechung –, wer die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit seines Opfers zur Tötung bewusst ausnutzt. Arglos ist, wer sich – zumindest zu dieser Zeit – keines Angriffs des Täters auf sein Leben versieht. Die Opfer schliefen, als der Angeklagte sie tötete. Während des Schlafes – so könnte man argumentieren – fehlt es an der Arglosigkeit, weil man gar kein Bewusstsein hat.
 
Der BGH hatte daher folgende Frage zu beantworten:

Können Schlafende arglos sein?

 

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH bejaht im Schlaftötungs-Fall (Urt. v. 8.10.1969 – 3 StR 90/69 (BGHSt 23, 119 ff.)) eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Mordes. Die Annahme des Schwurgerichts, der Angeklagte habe Frau M und den Jungen heimtückisch getötet, begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Zunächst stellt der BGH dar, dass er in einer früheren Entscheidung ausgeführt habe, dass die Tötung eines Bewusstlosen nicht heimtückisch sein könne:

„In der Entscheidung BGH NJW 1966, 1823 hat der Bundesgerichtshof allerdings ausgeführt, daß die Tötung eines Besinnungslosen nicht heimtückisch sein kann, weil dieser dem Angriff nicht entgegenzutreten vermag (BGH, aaO, S. 1824), d.h. es angesichts seines Zustands auch dann nicht könnte, wenn der Angriff rechtzeitig erkennbar wäre. Dem Besinnungslosen stellt Dreher den Schlafenden gleich (Schwarz/Dreher, StGB, 30. Aufl., § 211 Anm. 1 B b).“

Dieser Gleichsetzung tritt der BGH jedoch nicht bei; beim Schlafenden sei die Frage anders zu beantworten als bei Bewusstlosen:

„Heimtückisch tötet, wer die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit seines Opfers zur Tötung bewußt ausnutzt (BGH GSSt 11, 139, 143). Arglos ist, wer sich - zumindest zu dieser Zeit - keines Angriffs des Täters auf sein Leben versieht (BGHSt 7, 218). Der Schlafende ist in aller Regel arglos, wenn er einschläft. Er überläßt sich dem Schlaf im Vertrauen darauf, daß ihm nichts geschehen werde; in diesem Vertrauen überliefert er sich der Wehrlosigkeit. Unter diesem Blickpunkt billigt schon BGH LM § 211 StGB Nr. 5 die Verurteilung wegen Mordes (vgl. ferner BGHSt 8, 216, 218 [BGH 07.06.1955 - 5 StR 104/55]; BGH, Urt. vom 15. Mai 1956 - 5 StR 112/56 bei Pfeiffer/Maul/ Schulte, StGB, S. 531 unten). Den Bewußtlosen hingegen überkommt sein Zustand, ohne daß er es hindern könnte; er kann nicht in der Erwartung, ihm werde niemand etwas anhaben, getäuscht werden.
Nun muß freilich der Tötungsvorsatz vorliegen, solange das Opfer noch arglos ist (vgl. BGHSt 19, 321 = IM § 211 StGB Nr. 55 mit Anm. Hengsberger). Das ist es indessen nicht nur, ehe es einschläft. Wer sich zum Schlafe niederlegt, nimmt die Arglosigkeit mit in den Schlaf; sie begleitet ihn, auch wenn er sich ihrer nicht mehr bewußt ist. Das besonders Gefährliche und “Tückische”, das den Täter lebenslanger Zuchthausstrafe aussetzt, liegt darin, daß er sein Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das Gesetz denkt dabei weniger an den Täter als an das Opfer (BGH GSSt 11, 139, 143, 144; 20, 301, 302). In diesem Sinne ist die Tötung eines Schlafenden das geradezu klassische Beispiel der Heimtücke.
Ob davon eine Ausnahme dann gelten muß, wenn jemand gegen seinen Willen vom Schlaf übermannt worden ist (vgl. BGH, Urt. vom 21. Juni 1967 - 4 StR 199/67), kann hier offen bleiben.“

 

D. Fazit

„Der Schlafende nimmt die Arglosigkeit mit in den Schlaf“ – so lässt sich diese wichtige Entscheidung des BGH zum Merkmal der Heimtücke im Sinne von § 211 II StGB zusammenfassen.

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