A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)
K nimmt nach einem Verkehrsunfall B auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch. K war zum Unfallzeitpunkt Halter des an eine Bank sicherungsübereigneten Fahrzeugs. B war Halter und Führer des gegnerischen Fahrzeugs, V der Haftpflichtversicherer.
Die den Fahrzeugkredit finanzierende Bank und Sicherungseigentümerin des beschädigten Fahrzeugs (hiernach “Sicherungseigentümerin”) ermächtigte K, ihre Schadensersatzansprüche aus dem Unfallgeschehen gegen B und V im eigenen Namen geltend zu machen. K begehrt daher in gewillkürter Prozessstandschaft Ersatz der erforderlichen Reparaturkosten iHv 2.500 Euro sowie aus eigenem Recht Schmerzensgeld iHv 1.000 Euro wegen eines HWS-Syndroms („Schleudertrauma“) und verklagt B und V gemeinsam vor dem zuständigen Amtsgericht.
Nach der Beweisaufnahme lässt sich weder der Hergang des Unfalls aufklären noch ein Verschulden der jeweiligen Fahrzeugführer feststellen. B und V wenden ein, dass sich K die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs anspruchsmindernd entgegenhalten lassen müsse.
Wie wird das Gericht entscheiden?
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 07.03.2017 – VI ZR 125/16)
Das Gericht wird der Klage stattgeben, soweit sie zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit der Klage
Das Amtsgericht ist sachlich (§§ 23 Nr. 1, 71 I GVG) und örtlich zuständig. Fraglich ist indes, ob K prozessführungsbefugt ist.
Die Prozessführungsbefugnis, die in § 51 I ZPO zumindest angesprochen wird, ist die prozessuale Befugnis, ein behauptetes Recht im eigenen Namen geltend zu machen (und daher von der Aktiv- und Passivlegitimation zu unterscheiden, die das materielle Recht und damit die Begründetheit betrifft). Es handelt sich um eine Sachurteilsvoraussetzung, die von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens (in der Zulässigkeit) zu prüfen ist (§ 56 I ZPO).
Behauptet der Kläger, selbst Inhaber des Rechts zu sein, ist die Prozessführungsbefugnis in der Regel unproblematisch. Das ist hier der Fall, soweit K Schmerzensgeld wegen einer Verletzung seines Körpers begeht. Schwieriger gestaltet sich die Rechtslage, wenn – wie hier, soweit es um die Reparaturkosten geht – der Kläger ein behauptetes fremdes Recht (das der Sicherungseigentümerin) im eigenen Namen geltend macht. In diesen Fällen spricht man von einer Prozessstandschaft.
Man unterscheidet zwischen gesetzlicher (auf gesetzlicher Ermächtigung beruhender) und gewillkürter (rechtsgeschäftlicher) Prozessstandschaft. Maßgeblich ist, wie es der Wortlaut des § 51 I ZPO auch nahelegt („…die Notwendigkeit einer besonderen Ermächtigung zur Prozessführung bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts…“), im Ausgangspunkt insoweit das materielle Recht.
Eine gesetzliche Prozessstandschaft für K besteht nicht; in Betracht kommt daher nur eine gewillkürte Prozessstandschaft:
Der Kläger kann ein behauptetes fremdes Recht ausnahmsweise im eigenen Namen geltend machen, wenn der Rechtsinhaber ihn dazu entsprechend § 185 I BGB wirksam ermächtigt hat (was nur möglich ist, wenn das Recht abtretbar bzw. „überlassbar“ ist), der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der eigenen Prozessführung hat und der Beklagte dadurch nicht unzumutbar benachteiligt wird.
Der BGH fasst dies wie folgt zusammen:
„Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine gewillkürte Prozessstandschaft zulässig ist, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat (BGH, Urteile vom 12. Juli 1985 - V ZR 56/84, NJW-RR 1986, 158; vom 19. März 1987 - III ZR 2/86, BGHZ 100, 217, 218; vom 7. Dezember 2001 - V ZR 65/01, NJW 2002, 1038). Schutzwürdig ist ein Interesse des Klägers nur, wenn der Beklagte durch die gewählte Art der Prozessführung nicht unbillig benachteiligt wird (BGH, Urteile vom 2. Oktober 1987 - V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127; vom 24. Oktober 1985 - VII ZR 337/84, BGHZ 96, 151, 155/156). Darüber hinaus muss sich der Prozessführende im Rechtsstreit grundsätzlich auf die ihm erteilte Ermächtigung berufen und zum Ausdruck bringen, wessen Recht er geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1985 - VII ZR 148/83, BGHZ 94, 117, 122).“
Die Sicherungseigentümerin hat K wirksam analog § 185 I BGB ermächtigt. Der BGH bejaht auch die übrigen Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft:
„Ein schutzwürdiges Interesse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat (BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - III ZR 164/09, NJW 2009, 1213, 1215 [BGH 05.02.2009 - III ZR 164/08] mwN). Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden (BGH, Urteil vom 24. August 2016 - VIII ZR 182/15, NJW 2017, 487, 488; Senatsurteil vom 19. September 1995 - VI ZR 166/94, NJW 1995, 3186; BGH, Urteil vom 23. September 1992 - I ZR 251/90, BGHZ 119, 237, 242). Für die Klage des Sicherungsgebers wird ein solches in der Rechtsprechung bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 1985 - VIII ZR 251/84, BGHZ 96, 182, 185; vgl. zum Vorbehaltskäufer BGH, Urteil vom 5. Februar 1964 - VIII ZR 156/62, LM Nr. 24 zu § 985 BGB; vgl. für den Leasingnehmer OLG Karlsruhe, r+s 2014, 577, 578 [OLG Karlsruhe 02.12.2013 - 1 U 74/13]). …
Durch das Einrücken des Fahrzeughalters in die Klägerposition entsteht den Beklagten kein Nachteil. Sie stehen wirtschaftlich und prozessual nicht schlechter. Denn machte die Sicherungseigentümerin ihre Ansprüche selbst geltend, könnten die Beklagten ihr in der Konstellation des Streitfalls die Betriebsgefahr ebenfalls nicht entgegenhalten.“
Damit ist K prozessführungsbefugt.
B und V würden materiell-rechtlich als Gesamtschuldner haften (§ 115 I S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG, § 1 PflVG), weswegen sie in Rechtsgemeinschaft iSv § 59 Var. 1 ZPO stehen und damit als (einfache) Streitgenossen gemeinsam verklagt werden können.
Die Klage ist damit zulässig.
II. Begründetheit der Klage
Ein Verschulden des B, Halter und Führer des gegnerischen Fahrzeugs, lässt sich nicht nachweisen, so dass Ansprüche aus solchen Anspruchsgrundlagen, bei denen ein Verschulden des B von K nachzuweisen ist, ausscheiden. Das betrifft Ansprüche aus § 823 I und II BGB. Die Voraussetzungen von Ansprüchen gegen B aus § 7 I StVG (verschuldensunabhängig) und § 18 StVG (Verschulden des B wird vermutet) liegen hingegen vor. V haftet als Haftpflichtversicherer nach § 115 I 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG.
Fraglich ist einzig der Umfang des Anspruchs und dabei, ob sich die Sicherungseigentümerin bzw. K die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs anspruchsmindernd entgegenhalten lassen müssen. Insoweit ist zwischen den Reparaturkosten, die K in Prozessstandschaft für die Sicherungseigentümerin geltend macht, und den eigenen Ansprüchen des K auf Schmerzensgeld zu unterscheiden.
1. Reparaturkosten
Zunächst könnte sich eine Zurechnung der Betriebsgefahr und damit eine Minderung des Anspruchs aus § 17 II, I StVG ergeben. Danach hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Problematisch ist, dass Anspruchsinhaberin die Eigentümerin des geschädigten Fahrzeugs ist, Fahrzeughalter indes K. Der BGH verneint daher eine Zurechnung der Betriebsgefahr zu Lasten der Sicherungseigentümerin nach § 17 I, II StVG:
„Eine Zurechnung der Betriebsgefahr nach § 17 StVG scheidet aus. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 10. Juli 2007 (VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 Rn. 8) seine Auffassung bekräftigt, dass § 17 StVG nur anzuwenden ist, wenn auch der Geschädigte nach den Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes haftet (vgl. Senatsurteil vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63, NJW 1965, 1273, 1274). Eine Erstreckung des Normanwendungsbereichs auf den nicht haltenden Sicherungseigentümer ist abzulehnen, insbesondere nachdem der Gesetzgeber durch die Änderung des § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG mit dem 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl I, S. 2674) zum Ausdruck gebracht hat, dass er sich der Möglichkeit des Auseinanderfallens von Halter- und Eigentümerstellung bewusst war (BT-Drucks 14/8780, S. 22 f.), und eine über § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG hinausgehende Änderung nicht vorgenommen hat. Eine durchgehende Gleichstellung von Eigentümer und Halter im Rahmen des § 17 StVG ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Auch ist der Wortlaut der Vorschrift insoweit eindeutig.“
Auch eine Zurechnung nach § 9 StVG iVm § 254 BGB scheide aus. § 9 StVG setze ein Verschulden des K voraus, das hier nicht festgestellt werden konnte. Hier gehe es um die verschuldensunabhängige Zurechnung der Betriebsgefahr des Fahrzeugs, weswegen eine Anwendung von § 9 StVG – auch so weit es um ein vermutetes Verschulden aus § 18 I StVG gehe – ausscheide:
„Ohne festgestelltes Verschulden des Führers des klägerischen Fahrzeugs sind die Anwendungsvoraussetzungen des § 9 StVG nicht gegeben, denn § 9 StVG setzt ein Verschulden voraus (Lemcke, in: van Bühren/Lemcke/ Jahnke, Anwaltshandbuch Verkehrsrecht, 2. Aufl., Teil 2, Rz. 215 f.; ders., r+s 2014, 579; Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 9 StVG Rn. 9b; König, in: König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 9 StVG Rn. 17; Eggert, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2 Rn. 303; Schröder/Hoffmann-Benz, in: Müller/ Bachmeier/Starkgraff, Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 9 StVG Rn. 1).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Senats vom 7. Dezember 2010 (VI ZR 288/09, BGHZ 187, 379 Rn. 12). Nur im Fall des - hier nicht festgestellten - (Mit-)Verschuldens des Führers des sicherungsübereigneten Fahrzeugs wäre die Betriebsgefahr im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 9 StVG, § 254 BGB mit zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63, NJW 1965, 1273, 1274). Ein nur vermutetes Verschulden genügt nicht.“
Die Revision hatte zudem – schon im Ansatz wenig überzeugend – eine anspruchsmindernde Zurechnung der Betriebsgefahr aus § 278 BGB hergeleitet. Das verwirft der BGH kurz und knapp:
„Entgegen der Auffassung der Revision kommt eine Zurechnung gemäß § 278 BGB schon mangels Bestehens einer Sonderverbindung zwischen der Sicherungseigentümerin und den Beklagten nicht in Betracht (vgl. Senatsurteile vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63, NJW 1965, 1273, 1274; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 Rn. 15).“
2. Schmerzensgeld
So weit K aus eigenem Recht Ansprüche auf Schmerzensgeld geltend macht (§ 11 S. 2 StVG), muss er sich als Halter hingegen die Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs anspruchsmindernd entgegenhalten lassen (§ 17 II, I StVG). Lässt sich – wie hier – das Unfallgeschehen nicht aufklären, wird der Anspruch in der Regel mit einer Quote von 50/50 verteilt, sodass K nur die Hälfte des angemessenen Schmerzensgeldes zusteht.
III. Ergebnis
Das Gericht wird der Klage im Hinblick auf die Reparaturkosten in voller Höhe, im Hinblick auf das Schmerzensgeld nur zur Hälfte stattgeben und die Klage insoweit im Übrigen abweisen.
C. Fazit
Ein Fall, den sich vor allem Referendarinnen und Referendare ansehen sollten, weil Verkehrsunfälle regelmäßig Prüfungsthema im Assessorexamen sind und sich der vorliegende Fall hervorragend eignet, in eine Aufgabe eingearbeitet zu werden.
Interessant sind zudem noch weitere Ausführungen des BGH. Für den Fall, dass K Inhaber eines Anwartschaftsrechts gewesen wäre (was in Betracht kommt, wenn die Sicherungsübereignung ausnahmsweise nach § 158 II BGB auflösend bedingt vorgenommen wurde), wäre der Rechtsstreit nicht anders zu entscheiden gewesen:
„Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht, wenn man mit den Vorinstanzen und den Parteien von einem dinglichen Anwartschaftsrecht des Klägers bezogen auf das Eigentum an dem unfallbeteiligten Kraftfahrzeug ausgeht. Etwaige eigene Schadensersatzansprüche des Klägers wegen der Verletzung seines Anwartschaftsrechtes oder der Beschädigung des Sicherungsgutes stehen im Streitfall seiner Geltendmachung der Rechte der Sicherungseigentümerin nicht entgegen. Auf solche eigenen Rechte stützt der Kläger seine Klage nämlich nicht, sondern lediglich auf die der Sicherungseigentümerin.
Das Sicherungseigentum ist echtes Eigentum im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201, 205), also Volleigentum (vgl. BeckOGK BGB/Klinck BGB, Stand 1. Dezember 2016, § 930 Rn. 194; MünchKommBGB/Oechsler, 7. Aufl., Anh. §§ 929-936 Rn. 40). Der Sicherungseigentümer hat bei Beschädigung des Sicherungsgutes grundsätzlich Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB und aus § 7 StVG. Mit der Ermächtigung des Sicherungsgebers durch die Sicherungseigentümerin ist im Streitfall gewährleistet, dass der Substanzschaden in einer Hand geltend gemacht wird. Damit wird zugleich einer doppelten Geltendmachung der Ansprüche vorgebeugt. Der Schädiger könnte einer weiteren Klage der Sicherungseigentümerin den Einwand der Rechtskraft (BGH, Urteile vom 7. Juli 1993 - IV ZR 190/92, BGHZ 123, 132, 135 f.; vom 12. Juli 1985 - V ZR 56/84, WM 1985, 1324 unter I 3; vom 2. Oktober 1987 - V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127) und einer Klage des anwartschaftsberechtigten Sicherungsgebers aus eigenem Recht jedenfalls den Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenhalten.“
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