A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)
K ist Halter des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen HH-AB 123. Der Pkw war am 5. Mai 2015 um 9.29 Uhr auf dem Gehweg A-Straße / Ecke B-Straße abgestellt, ohne dass das Parken auf dem Gehweg nach § 12 IVa StVO erlaubt gewesen sei. Mit Widmungsverfügung vom 24. November 1971 ist die hier betroffene Wegefläche – also sowohl die A-Straße als auch der dazugehörende Gehweg – dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden.
Daraufhin setzte die zuständige Behörde mit Bescheid vom 21. Juli 2015 Sondernutzungsgebühren in Höhe von – der Höge nach korrekt – insgesamt 151,- EUR gegenüber K fest, weil er mit seinem Pkw unerlaubt auf den bezeichneten Gehweg gefahren sei und damit einen öffentlichen Weg über den Gemeingebrauch hinaus nach § 19 des Hamburgischen Wegegesetzes (HWG) genutzt habe. Der Widerspruch des K wird zurückgewiesen.
Dagegen erhebt K vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Hamburg form- und fristgerecht Klage.
Hat die Klage des K Aussicht auf Erfolg?
B. Die Entscheidung des OVG Hamburg (Beschl. v. 6.2.2017 – 5 Bf 163/16.Z)
Der Klage hat Aussicht auf Erfolg, soweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist und die Klage zulässig und begründet ist.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges
Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 I VwGO eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handelt. Öffentlich-rechtlich ist die Streitigkeit, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. K wendet sich gegen einen Gebührenbescheid, der auf § 19 III HWG iVm § 16 GebG beruht. Dabei handelt es sich um Vorschriften, die einen Hoheitsträger einseitig berechtigen, unter den dort genannten Voraussetzungen eine Sondernutzungsgebühr festzusetzen. Sie sind damit öffentlich-rechtlicher Natur. Es handelt sich auch nicht um eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art, sodass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
II. Zulässigkeit der Klage
Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (§ 88 VwGO). K wendet sich gegen die Festsetzung einer Sondernutzungsgebühr. Dabei handelt es sich um einen Verwaltungsakt iSv § 35 VwVfG (vgl. § 16 I 1 GebG: „Festsetzungsbescheid“). Eine Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO) würde die Festsetzung beseitigen und stellt damit die die richtige Klageart dar.
K müsste klagebefugt sein (§ 42 II VwGO). Seine Klagebefugnis ergibt sich daraus, dass er als Adressat eines belastenden Verwaltungsakts möglicherweise in seinen Rechten aus Art. 2 I, 14 I GG verletzt ist. Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor, insbesondere ist ein Vorverfahren durchgeführt (§ 68 I VwGO) und die Klagefrist (§ 74 I VwGO) eingehalten worden.
Die Klage ist damit zulässig.
III. Begründetheit der Klage
Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit die Gebührenfestsetzung rechtswidrig und K dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 I 1 VwGO).
1. Ermächtigungsgrundlage
Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung der Sondernutzungsgebühr ist § 19 III HWG iVm § 16 GebG.
2. Formelle Voraussetzungen
Der Festsetzungsbescheid ist formell rechtmäßig.
3. Materielle Voraussetzungen
19 III HWG setzt eine Sondernutzung voraus. Sondernutzung ist nach § 19 I 1 HWG jede Benutzung der öffentlichen Wege, die ihren Gebrauch durch andere dauernd ausschließt oder in den Wegekörper eingreift oder über die Teilnahme am allgemeinen öffentlichen Verkehr (Gemeingebrauch) oder den Anliegergebrauch hinausgeht. Fraglich ist, ob K mit dem Befahren des Gehweges die Grenzen des Gemeingebrauchs überschritten hat. Nach § 16 I HWG dienen die öffentlichen Wege dem Gemeingebrauch und dürfen im Rahmen der Widmung und der Vorschriften über den Straßenverkehr zum Verkehr benutzt werden. Zu prüfen ist also, ob sich das Verhalten des K im Rahmen der Widmung der A-Straße bewegt hat (dazu a) und welche Bedeutung dem Verweis auf die Vorschriften über den Straßenverkehr zukommt (dazu b). Zudem stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zu § 18 HWG (dazu c).
a. Überschreitung der Widmung der A-Straße
Zunächst stellt das OVG dar, dass die A-Straße als Verkehrsstraße gewidmet sei (§ 6 I HWG). Diese Widmung erfasse den zur Straße gehörenden Gehweg und auch den ruhenden Verkehr:
„Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 HWG erhalten Wege, Straßen und Plätze die Eigenschaft eines öffentlichen Weges durch Widmung der Wegeaufsichtsbehörde. Mit Widmungsverfügung vom 24. November 1971 ist die hier betroffene Wegefläche – also sowohl die Straße als auch der Gehweg – dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden. Ist eine Straße (mit all ihren Bestandteilen) wie hier allgemein dem Verkehr gewidmet, so umfasst dies zum einen sowohl den fließenden als auch den ruhenden Verkehr (vgl. § 12 StVO) und zum anderen alle Verkehrsarten und Verkehrszwecke.“
Zwar könne eine Widmung nach § 6 II HWG beschränkt werden:
„Sofern die Nutzung eines Weges beschränkt werden soll, ist von § 6 Abs. 2 HWG Gebrauch zu machen (vgl. BüDrs VII/1468, S. 2). Danach kann die Widmung auf einzelne Verkehrsarten sowie auf einzelne Verkehrszwecke beschränkt werden, worauf in der Bekanntgabe der Widmung hinzuweisen ist.“
Das sei auch möglich für Bestandteile einer Wegefläche – hier den Gehweg der A-Straße:
„Soweit die Beklagte vorträgt, eine Nutzungsbeschränkung für Bestandteile einer Wegefläche sehe § 6 Abs. 2 HWG nicht vor, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Zunächst ist nicht ersichtlich, was dagegen sprechen sollte, dass eine Widmungsfläche durch eine hinreichend bestimmte Widmungsverfügung verschiedenen Benutzungszwecken zugewiesen wird. Aber auch wenn das – wie die Beklagte vorträgt – nicht möglich sein sollte, bleibt für den Fall, dass eine Nutzungsbeschränkung erwünscht ist, die Möglichkeit, eigens für die von der Nutzungsbeschränkung erfasste Wegefläche eine Widmung vorzunehmen. Der von der Beklagten dagegen erhobene Einwand des hohen Arbeitsaufwandes und der damit verbundenen fehlenden Praxisgeeignetheit des Wegerechts greift schon deshalb nicht durch, weil die Beklagte gemäß Art. 20 Abs. 3 GG der Bindung an Gesetz und Recht und damit der Bindung an § 6 Abs. 2 HWG unterliegt.“
Von der Möglichkeit einer Beschränkung der Widmung habe die Behörde für den Gehweg der A-Straße allerdings weder ausdrücklich (in der Form des § 6 II 2 HWG, wonach darauf in der Bekanntmachung der Widmung hinzuweisen ist) noch konkludent Gebrauch gemacht.
Die beklagte Behörde hatte argumentiert, dass die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeit einer öffentlichen Wegefläche aus Praktikabilitätsgründen auch anders als nach § 6 II HWG erfolgen könne. Die nähere Nutzung einer öffentlichen Wegefläche richte sich nach dem Zweck der Widmung. Eine Zweckbestimmung könne auch konkludent durch die zugedachte Verkehrsfunktion und aufgrund der straßenbaulichen Belastung erfolgen. So sei ein Gehweg – wie hier – ein Weg, der für Fußgänger- und Fahrradverkehr eingerichtet und als Gehweg durch die Pflasterung oder auf ähnliche Weise äußerlich erkennbar sei. Ein Gehweg sei für die Aufnahme des Kraftfahrzeugverkehrs regelmäßig technisch nicht geeignet und seine objektiv erkennbare Zweckbestimmung für bestimmte Verkehrsarten wie den Fußgänger- und Fahrradverkehr stelle eine konkludente Beschränkung der Verkehrswidmung dar.
Dem tritt das OVG entgegen und verweist auf das Erfordernis der Bestimmtheit der Widmung, das der Möglichkeit einer konkludenten Beschränkung der Widmung entgegenstehe:
„Ihr Ansatz einer konkludenten Beschränkung einer gewidmeten Wegefläche entspricht nicht den strengen Anforderungen an die Bestimmtheit der Widmung (vgl. Schmidt-Aßmann/Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, 7. Kap. III 1. c) Rn. 42 (S. 910); VGH München, Beschl. v. 28.10.2014, 8 ZB 12.1938, KommunalPraxis BY 2015, 26, juris Rn. 14), die auch für deren Beschränkung gelten (vgl. Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, S. 302). Wie oben ausgeführt erhält ein Weg, eine Straße oder ein Platz durch den in der Widmung liegenden Verwaltungsakt die Eigenschaft eines öffentlichen Weges (vgl. § 6 Abs. 1 HWG). Die Widmung wird in ein Wegeverzeichnis eingetragen (§ 9 HWG). Ihr kommt aus diesem Grund eine Registerfunktion, vergleichbar dem Grundbuch, zu. Jeder, der Einsicht in das Verzeichnis nimmt, muss ohne Weiteres erkennen können, ob ein bestimmtes Grundstück, ein bestimmter Grundstücksteil oder eine bestimmte Anlage auf einem Grundstück von der Widmung (und ihren etwaigen Beschränkungen) erfasst ist und demgemäß die Eigenschaft eines öffentlichen Weges bzw. eines Bestandteils eines solchen Weges erhalten hat. Dies dient nicht nur dem Schutz des privaten Grundstückseigentümers, dem die Widmung seine privatrechtlichen Eigentümerbefugnisse entzieht oder entwertet, sondern auch dem Schutz des zuständigen Straßenbaulastträgers, da so verhindert wird, dass ihm Straßenbaulasten gemäß § 12 HWG aufgedrängt werden, denen er in Wirklichkeit nicht unterliegt. Diesem Zweck widerspricht eine konkludente Beschränkung der Widmung. Eine derartige Widmungsänderung ohne Bekanntgabe setzte diese – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – einer vollständigen Beliebigkeit aus, die mit den ausdrücklichen Regelungen in § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 HWG nicht vereinbar ist. Angesichts der Bindung an Gesetz und Recht muss eine Verwaltungspraxis oder ein Verwaltungshandeln der Rechtsordnung entsprechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.8.2003, 3 C 49/02, BVerwGE 118, 379, juris). Dies ist bei einer konkludenten Widmungsänderung nicht der Fall.“
Damit hat sich K in den Grenzen der Widmung der A-Straße und des Gehweges gehalten, als er sein Fahrzeug auf dem Gehweg parkte.
b. Überschreitung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
Nach § 16 I HWG dienen die öffentlichen Wege dem Gemeingebrauch und dürfen ohne besondere Erlaubnis im Rahmen der Vorschriften über den Straßenverkehr zum Verkehr benutzt werden. K hat entgegen § 12 IV und IVa StVO auf dem Gehweg geparkt und damit gegen Straßenverkehrsrecht verstoßen. Fraglich ist, ob sich daraus zugleich eine straßenrechtliche Sondernutzung ergibt.
Zunächst stellt das OVG den (wichtigen!) Unterschied zwischen Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht dar. Beim Straßenrecht gehe es um die Rechtsverhältnisse an öffentlichen Straßen, wofür den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zusteht; das Straßenverkehrsrecht hingegen sei Gefahrenabwehrrecht, für das dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zukomme:
„Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht sind selbstständige Rechtsmaterien mit unterschiedlichen Regelungszwecken (vgl. Hoffmann-Riem/Koch, Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2005, S. 336; BGH, Beschl. v. 4.12.2001, 4 StR 93/01, BGHSt 47, 181, juris Rn. 23 f.). Das Straßenverkehrsrecht regelt die Teilnahme am Straßenverkehr, vor allem dessen Sicherheit und Leichtigkeit. Es dient insbesondere der Abwehr von typischen Gefahren, die vom Straßenverkehr ausgehen und die dem Straßenverkehr von außen oder durch Verkehrsteilnehmer erwachsen. Das Straßenrecht befasst sich demgegenüber vor allem mit der Entstehung, der Ein- und Umstufung öffentlicher Straßen und der Abgrenzung von Gemeingebrauch zur Sondernutzung. Es regelt mithin die Rechtsverhältnisse an den öffentlichen Straßen und ihre Bereitstellung für den Verkehr durch Widmung. Beide Rechtsmaterien stehen in einem sachlichen Zusammenhang, weil das Straßenverkehrsrecht, insbesondere durch das Erfordernis der straßenrechtlichen Widmung, das Straßenrecht voraussetzt.“
Daraus folge, dass die straßenrechtliche Widmung nicht durch das Straßenverkehrsrecht konkludent beschränkt werden könne. Straßenverkehrsordnungswidriges Handeln begründe nicht (automatisch) eine Sondernutzung:
„Während die allgemeinen straßenrechtlichen Schranken den abstrakten Gemeingebrauch umschreiben, bezeichnen die straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften den jeweils zulässigen Nutzungsumfang, den konkreten Gemeingebrauch. Aus der Übertretung beider Begrenzungen ergeben sich jedoch unterschiedliche Konsequenzen. Ein Verstoß gegen die allgemeinen straßenrechtlichen Schranken führt regelmäßig zur Behandlung als Sondernutzung, ein Übertreten der Verkehrsregeln stellt jedoch (nur) eine straßenverkehrsrechtlich unzulässige Art der Gemeingebrauchsausübung dar (vgl. Schmidt-Aßmann/Schoch, a.a.O., 7. Kapitel V 1 b) Rn. 55 (S.921 f.)).“
c. Umkehrschluss zu § 18 HWG
Die Behörde wendet ein, dass es – die Richtigkeit dieser Auffassung zum Gemein-/Sondergebrauch unterstellt – der Regelung des § 18 I 1 HWG nicht bedürfe. Der Anlieger könnte dann auch ohne Erlaubnis nach § 18 HWG den Gehweg im Rahmen des Gemeingebrauchs überfahren.
Dem tritt das OVG entgegen:
„Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, aus § 18 Abs. 1 Satz 1 HWG könne nicht geschlossen werden, dass das Befahren eines Gehwegs für Nichtanlieger nicht vom Gemeingebrauch umfasst sei, sondern eine Sondernutzung nach § 19 HWG sei. Die Anlage und Benutzung einer Überfahrt zum privaten Grundstück gehöre nicht zum straßenrechtlichen Gemeingebrauch im Sinne der Definition in § 19 Abs. 1 Satz 1 HWG und der Regelungen in § 16 HWG. Nur Anlieger könnten die Überfahrt von einem Grundstück zur Fahrbahn eines öffentlichen Wegs verlangen. Grundstücksbedingt hätten nur sie diesen Bedarf, und nur sie hätten mit Blick auf Art. 14 GG grundsätzlich auch einen Anspruch auf eine Überfahrt, die ansonsten wegen des mit deren Herstellung verbundenen baulichen Eingriffs in den Wegekörper eine Sondernutzung darstelle, auf deren Erlaubnis ein Anspruch nach § 19 Abs. 1 Satz 3 HWG nicht bestehe (S. 10 UA). …
Wenn es die Vorschrift des § 18 HWG nicht gäbe, stellte die Herstellung der Überfahrt zum privaten Grundstück wegen des damit verbundenen baulichen Eingriffs in den Wegekörper (vgl. § 19 Abs. 1 Alt. 2 HWG) eine Sondernutzung für den Anlieger dar. Da es sich bei einer Sondernutzung um eine nach § 19 Abs. 1 Satz 3 HWG im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung handelt, kommt diese Regelung dem aus Art. 14 Abs. 1 GG folgenden Anspruch der Anlieger auf eine Überfahrt nicht nach. Dies rechtfertigt die Existenz des § 18 HWG, auch wenn das Befahren eines dem (allgemeinen) öffentlichen Verkehr gewidmeten Gehwegs wegerechtlicher Gemeingebrauch ist.“
IV. Ergebnis
Die Klage ist zulässig und begründet.
C. Fazit
Fragen rund um die straßenrechtliche Sondernutzung und das Verhältnis von Straßenrecht zum Straßenverkehrsrecht sind regelmäßig Gegenstand von Prüfungsaufgaben. Daher sollte dieser Fall, der das Verhältnis beider Rechtsmaterien exemplarisch aufzeigt, zum Anlass genommen werden, sich mit den Grundzügen des Straßenrechts zu befassen.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen