Examensreport: ZR I 1. Examen aus dem Dezember 2016 in Hamburg

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

Die E ist Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses in Hamburg mit vier Parteien. Das Haus steht auf einem Grundstück am Ende in einer Sackgasse. Neben dem Grundstück ist eine unbebaute Grünfläche mit Bäumen. Die E vermietet ihre Wohnungen bevorzugt an Personen im Ruhestand.

Als eine Wohnung frei wird, schaltet E eine Anzeige zur freien Wohnung mit der Beschreibung “Schöne Wohnung in ruhiger Sackgassenendlage”. Daraufhin meldet sich das Ehepaar M und F, die sich bereits im Ruhestand befinden. Bei der Besichtigung sprechen M und F die E nochmal auf die Ruhe und Abgeschiedenheit der Wohnung an. Daraufhin erläutert E wahrheitsgemäß, dass es in den letzten 20 Jahren keine Probleme mit Lärm gegeben hat. Weder mit schreienden Kindern noch mit feiernden Passanten. Am nächsten Tag, den 15.03.2013 kommen M und F wieder zu E und unterschreiben den Mietvertrag. Der Mietvertrag soll auf fünf Jahre geschlossen werden, damit nach Ablauf der Zeit die Cousine C in die Wohnung einziehen kann, mit der E auch eng befreundet ist. C kommt aus Bremen und möchte in ihrem Ruhestand auch zurück nach Hamburg zur E ziehen. M und F sind damit einverstanden, sie möchten nach Ablauf der Zeit auch in ein Seniorenheim ziehen. Vom Mietvertrag gibt es zwei Exemplare, von denen jede Parte einen mitnimmt. Es wird vereinbart, dass die monatliche Miete 1.100 € inkl. aller Neben- und Betriebskosten beträgt.

M überweist die Miete für den Monat März und dann jeden Monat zum dritten des Monats.

Aufgrund des Zuwachses von Kindern in der Bevölkerung plant die Stadt Hamburg, auf der freien Grünfläche neben dem Haus der E einen Spielplatz zu bauen. Jegliche Bemühungen der E, dagegen vorzugehen, bleiben erfolglos. So kommt es, dass auf die Grünfläche der Spielplatz gebaut wird. Gleich am ersten Tag ist M genervt von dem Lärm der schreienden Kinder, die bevorzugt am Wochenende zwischen 10 und 16 Uhr spielen, und ruft am 12.04.14 bei E an, um sich darüber zu beschweren. E zeigt sich verständnisvoll und gewährt M und F eine Minderung von 10 %, sodass die monatliche Miete nur noch 1000 € beträgt. M fragt die F, die damit einverstanden ist. Damit einigen sich M und E über die Minderung. Ohne sich abzusprechen, streichen beide (M und E) die 1.100 € auf ihrem Mietvertragsexemplar durch und korrigieren auf 1.000 €.

Ende März bemerken M und F, dass der Spielplatz auch gerne von Jugendlichen benutzt wird. Insbesondere besuchen sie den Spielplatz von Donnerstag bis Samstag von 19 bis 22 Uhr. Selbst bei geschlossenen Fenstern sind das Gelächter, die anstoßenden Gläser und die leise Musik zu hören. Am 29.04.16 ruft M erneut bei E an, um sich bei ihr darüber zu beschweren. Dieses Mal muss E aber eine Minderung ablehnen, da sie sich das finanziell nicht mehr leisten kann. Darüber erbost kündigt M an, rückwirkend für den Monat April sowie für die kommenden Monate bis Oktober (da sich die Jugendlichen vor allem im Sommer auf dem Spielplatz aufhalten, um weitere 10 % zu mindern und damit im Mai nur noch 800 € zu überweisen und dann nur noch 900 €. Darüber verärgert kündigt die E dem M gegenüber an, sie außerordentlich zu kündigen, wenn dies nicht unterbleibt.

Daraufhin wollen M und F nun in die volle Konfrontation gehen und schicken eine ordentliche Kündigung zum 31.Oktober ab, die sie am 28. Juli 2014 verfassen und die am 02.08.14 der E zugeht.

Die E sieht das Schreiben, kann jedoch noch nichts dagegen unternehmen, da sie am 05. Oktober 14 verstirbt. Ein Testament hat die E nicht verfasst. E hat nur noch zwei überlebende Verwandte, ihren Bruder B und die Cousine C. B entdeckt das Schreiben und sieht dadurch die Möglichkeit mit M und F finanziell abgesicherte Mieter für die Wohnung zu haben. B hält sich für den rechtmäßigen Erben. Er beauftragt den Rechtsanwalt R mit der Sache. B möchte die 700 € für die seiner Meinung nach unberechtigte Minderung wegen Lärms durch die Jugendlichen von M und F erstattet haben und festgestellt haben, dass das Mietverhältnis nicht durch die Kündigung der M und F beendet wurde, da eine ordentliche Kündigung nicht möglich sei. Insbesondere habe E damals nichts zugesichert. M wendet ein, dass die Änderung des Mietvertrages nach dem Telefonat vom 12.4.14 nicht vollständig in schriftlicher Form verfasst worden sei und dadurch § 550 BGB griffe.

 

Aufgabe: Hat die Klage des B Aussicht auf Erfolg?

 

Berarbeitungsvermerk:

1. *Das Vorliegen der Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung nach §§ 543, 569 BGB sowie die der außerordentlichen Kündigung nach § 575a BGB sind noch zu prüfen.*

2. *Gehen Sie davon aus, dass der Schutzzweck des § 550 BGB nicht nur im Schutz der Vertragsparteien, sondern auch im Schutz der potentiellen Erwerber liegt, die in die Rechte und Pflichten des Vermieters eintreten.*

 

Unverbindliche Lösungsskizze

 

A. Zulässigkeit der Klage

I. Zuständigkeit

  1. Sachliche Zuständigkeit
    Hier: Amtsgericht, § 23 Nr. 2a GVG

  2. Örtliche Zuständigkeit
    Hier: Hamburg, §§ 12, 13 ZPO

II. Feststellungsinteresse, § 256 ZPO

  • Bzgl. Feststellung des Bestehens des Mietverhältnisses (+); Arg.: wirtschaftliches Interesse

B. Objektive Klagehäufung, § 260 ZPO (+)

C. Begründetheit

I. Bzgl. Zahlung von 700 Euro

  1. § 535 II BGB, § 1922 BGB

a) Erbenstellung des B
Hier: §§ 1922, 1925 BGB

b) Ursprünglicher Anspruch der E
-> § 535 II BGB

aa) Anspruch entstanden

(1) Einigung (+)

(2) Wirksamkeit
-> Schriftform, §§ 125 S.1, 550 BGB
Hier: an dieser Stelle unerheblich, da die Nichteinhaltung der Form nicht zur Unwirksamkeit des Mietvertrages führen würde, sondern nur dazu, dass der als für unbestimmte Zeit abgeschlossen gelten würde.

bb) Anspruch nicht erloschen
-> Minderung, § 536 BGB

(1) Wirksamer Mietvertrag (+)

(2) Mangel
-> Lärm durch Jugendliche
Hier: Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft, § 536 II BGB, zumindest aber Mangel i.S.v. § 536 I BGB (Umweltfehler); Arg.: Anzeige, Gespräch, Indizwirkung der 1. Minderung

(3) Maßgeblicher Zeitpunkt
Hier: Nach Vertragsschluss.

(4) Kein Ausschluss

(a) Kenntnis bei Vertragsschluss, § 536b BGB (-)

(b) Unterlassene Mängelanzeige, § 536a BGB
-> Unverzügliche Anzeige nach Kenntnis

  • Kenntnis: Ende März
  • Anzeige: 29.04.2016
    -> Bzgl. März also nicht unverzüglich, Minderung erst ab April 2016

(5) Rechtsfolge: Herabsetzung i.H.v. monatlich 100 Euro für April-Oktober 2016
= 600 Euro

cc) Anspruch durchsetzbar (+)

dd) Ergebnis: (+), i.H.v. 100 Euro.

II. Bzgl. Feststellung des Bestehens des Mietvertrages
-> Beendigung durch Kündigung der Eheleute M und F

  1. Durch außerordentliche Kündigung

a) §§ 543, 569 BGB
-> Wichtiger Grund: Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, insbesondere Verschulden und Interessenlage, insbesondere auch Gesundheitsgefährdung, § 569 I BGB.
Hier: Hohes Interesse der Eheleute an Ruhe. Lärm Do-Sa, 19-22 Uhr, auch bei geschlossenem Fenster. Aber: E konnte nichts für die Änderung der Rahmenbedingungen; Rechtsbehelfe blieben erfolglos. Ab 22 Uhr (Nachtzeit) offenbar Ruhe. Nicht alle Tage Lärm.
-> Ergebnis: (-)

b) § 575a BGB
-> Mietvertrag auf bestimmte Zeit

aa) Ursprünglich: 5 Jahre

bb) Fiktion des § 550 BGB
-> „Gilt für unbestimmte Zeit“

(1) Nichteinhaltung der Schriftform
Hier: Parallele schlichte Änderung der jeweiligen Verträge nicht ausreichend; Arg.: Schutzzweck des § 550 BGB

(2) Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr geschlossen (+)
(+); Arg.: insbesondere gilt § 550 BGB gilt auch für spätere Änderungen

cc) Ergebnis: (-)

  1. Durch ordentliche Kündigung

a) Mietzeit nicht bestimmt, § 542 I, II BGB
(+), s.o.

b) Kündigungserklärung
Hier: Kündigungserklärung vom 28.07.2016

c) Kündigungsfrist, § 573c BGB (+)

d) Ergebnis: (+), zum 31. Oktober 2016 beendet.

  1. Ergebnis: (-)

 

C. Gesamtergebnis
Die Klage hat nur insoweit Erfolg, als der B Zahlung von 100 Euro beanspruchen kann. Im Übrigen (600 Euro und Feststellungsantrag) hat die Klage keinen Erfolg.