BGH: Betrug bei der Abgabe von Geboten in der Zwangsversteigerung?

A. Sachverhalt

R war Mitgesellschafterin und Geschäftsführerin der H-GmbH, die eine Biogasanlage betrieb. Die H-GmbH ist u. a. auch Eigentümerin eines Grundstücks in E. Nach fristloser Kündigung eines mit der H-GmbH bestehenden Darlehensvertrages wegen Zahlungsverzugs durch die Volksbank wurde auf deren Antrag vom Amtsgericht die Zwangsversteigerung dieses Grundstücks angeordnet, das mit einer Grundschuld über 100.000€ zugunsten der Volksbank belastet war. Am 12. Dezember 2012 beteiligte sich R, die zuvor die erforderliche Sicherheitsleistung in Höhe von 18.223€ geleistet hatte, an der Zwangsversteigerung und gab Gebote ab, mit denen sie die anderen Bieter um jeweils 5.000 oder 10.000€ überbot. Mit einem Gebot von 370.000€, mehr als dem Doppelten des Verkehrswertes, erhielt die R letztlich den Zuschlag. Weder für den Rechtspfleger, der die Versteigerung durchführte noch für die anderen Bieter war in irgendeiner Weise erkennbar, dass R ihre Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft nur vortäuschte. Tatsächlich verfügte diese aber weder über die finanziellen Mittel zur Begleichung des Zuschlagspreises noch hatte sie überhaupt die Absicht, diesen Betrag zu zahlen. Daher entrichtete sie den restlichen Kaufpreis in Höhe von 351.777€, wie von Anfang an beabsichtigt, bis zum Verteilungstermin am 8. Februar 2013 nicht. Dass die der Zwangsvollstreckung zugrunde liegende titulierte Forderung der Volksbank in Höhe von 100.000€ deshalb über einen längeren Zeitraum nicht beglichen werden würde, war ihr gleichgültig. Sie wollte lediglich erreichen, dass das Eigentum an dem zu versteigenden Grundstück weiterhin ihrem Zugriff unterlag. Erst in der Wiederversteigerung am 7. November 2013 gelang es, den Grundbesitz zu veräußern. Das Zuschlagsgebot belief sich auf 380.000€.

 

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 14.7.2016 – 4 StR 362/15)

I. Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 I StGB gegenüber und zulasten der übrigen Mitbieter

R könnte sich wegen Betruges gegenüber und zulasten der übrigen Mitbieter strafbar gemacht haben, indem sie mehrfach Gebote in der Zwangsversteigerung abgab, obwohl sie weder zahlungsfähig noch zahlungswillig war.

Der BGH verneint bereits eine Erklärung und damit eine Täuschung gegenüber den übrigen Mitbietern:

 

„Gemäß § 66 Abs. 2 ZVG sind die Gebote gegenüber dem Vollstreckungsgericht abzugeben; insoweit ist der Rechtspfleger als gemäß § 3 Abs. 1 Buchst. i RPflG funktionell zuständiges Vollstreckungsorgan ausschließlicher Adressat der mit dem jeweiligen Gebot verbundenen Erklärung. Der einzelne Bieter ist als solcher nicht Beteiligter des Vollstreckungsverfahrens (arg. e § 9 ZVG; vgl. Stöber, ZVG, 21. Aufl., § 67 Rn. 2.2) und daher auch nicht berechtigt, von einem Mitbieter nach Abgabe des Gebots gemäß § 67 ZVG eine Sicherheitsleistung zu verlangen. Kommt sein Gebot wegen des Übergebotes eines anderen Bieters nicht zum Zuge, erlischt seines nach Maßgabe von § 72 Abs. 1 bis 3 ZVG ohne nachteilige Folgen.“

 

II. Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 I StGB gegenüber dem Rechtspfleger und zulasten der Volksbank als Vollstreckungsgläubigerin

R könnte sich aber wegen Betruges gegenüber dem Rechtspfleger und zulasten der Volksbank strafbar gemacht haben, indem sie mehrfach Gebote in der Zwangsversteigerung abgab, obwohl sie weder zahlungsfähig noch zahlungswillig war.

1. Tatbestand

Fraglich ist, ob der Rechtspfleger einem Irrtum unterlag. Ein Irrtum im Sinne von § 263 StGB ist jeder Widerspruch zwischen einer subjektiven Vorstellung (des Getäuschten) und der Realität. Dabei kommt es nicht darauf an, was der Getäuschte hätte verstehen müssen, sondern was er tatsächlich verstanden hat. Ein Irrtum kann auch in den Fällen gegeben sein, in denen die täuschungsbedingte Fehlvorstellung in der Abweichung eines „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ von den tatsächlichen Umständen besteht:

 

„Danach ist insbesondere der Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte von als selbstverständlich angesehenen Erwartungen geprägt, die zwar nicht in jedem Einzelfall bewusst aktualisiert werden, jedoch der vermögensrelevanten Handlung als hinreichend konkretisierte Tatsachenvorstellung zugrunde liegen (BGH, Urteil vom 22. November 2013 - 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216). In solchen Fällen bedarf es auch nicht stets der Feststellung der tatsächlichen individuellen Vorstellungen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2014 - 1 StR 314/14, NStZ 2014, 98, 100; Urteil vom 12. Februar 2015 - 2 StR 109/14, NStZ 2015, 341, 342). Vielmehr kann das Tatgericht bereits aus den Indizien des äußeren Ablaufs darauf schließen, dass der Betreffende aufgrund seines normativ geprägten Vorstellungsbildes - wie alle in seiner Situation - ein entsprechendes „sachgedankliches Mitbewusstsein“ hatte und daher irrte (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - 2 StR 109/14, aaO). Findet die Kommunikation - wie im vorliegenden Fall - im Rahmen eines geregelten Verfahrens statt, wird der Inhalt einer in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärung und die auf ihr möglicherweise beruhende (Fehl-)Vorstellung beim Adressaten daher maßgeblich durch die diesem Verfahren zugrunde liegenden Vorschriften geprägt (BGH, Beschluss vom 19. November 2013 - 4 StR 292/13, BGHSt 59, 68, 71). Dies sind hier die Bestimmungen des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG).“

 

Nach Ansicht des BGH ergebe sich ein solches sachgedankliches Mitbewusstsein nicht aus den Vorschriften über die im Fall der Abgabe von Geboten vorgesehene Möglichkeit einer Sicherheitsleistung (§§ 67 ff. ZVG):

 

„Das Verlangen nach Leistung einer Sicherheit durch einen Bieter steht gemäß § 67 Abs. 1 ZVG ausschließlich einem Beteiligten im Sinne des § 9 ZVG zu, mithin dem Gläubiger, dem Schuldner oder anderen im Einzelnen aufgeführten Rechtsinhabern. Der Rechtspfleger hat über ein solches Verlangen eines Beteiligten sofort zu entscheiden (§ 70 Abs. 1 ZVG). Die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherheitsleistung sind in § 67 ZVG abschließend geregelt. Liegen diese vor, ist die Sicherheitsleistung anzuordnen; ein Ermessen ist dem Rechtspfleger insoweit nicht eröffnet (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006 - V ZB 147/05, Rpfleger 2006, 211, 212). Ohne Belang für diese Entscheidung ist die Bonität eines Bieters (vgl. Böttcher, ZVG, 6. Aufl., §§ 67-70 Rn. 20; Stöber, ZVG, 21. Aufl., § 70 Rn. 2.1; Bachmann in Depré, Zivilprozess-, Vollstreckungs- und Zwangsversteigerungsrecht, 2014, § 70 ZVG Rn. 4), sodass sich aus dieser Entscheidungsbefugnis ein diesbezügliches sachgedankliches Begleitwissen des Rechtspflegers nicht herleiten lässt.“

 

Ein sachgedankliches Mitbewusstsein des Rechtspflegers könnte sich daraus ergeben, dass der Rechtspfleger verpflichtet ist, ein unwirksames Angebot zurückzuweisen (§ 71 I ZVG).

Dafür könnte sprechen, dass der BGH bereits entschieden hat, dass eine Unwirksamkeit im Sinne von § 71 I ZVG auch dann vorliegt, wenn das Angebot rechtsmissbräuchlich ist, wozu auch der Fall zählen kann, dass der Bieter weder zahlungsfähig noch zahlungswillig ist:

 

„Das Recht zur Abgabe von Geboten im Versteigerungstermin soll jedem Erwerbsinteressenten die Möglichkeit verschaffen, als Meistbietender den Zuschlag zu erhalten und Eigentümer des Grundstücks zu werden (§§ 81 Abs. 1, 90 Abs. 1 ZVG). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist daher anerkannt, dass die Zurückweisung eines Gebots im Zwangsversteigerungstermin wegen Unwirksamkeit (§ 71 Abs. 1 ZVG) in Gestalt missbräuchlicher Rechtsausübung dann in Betracht kommt, wenn es in der Absicht abgegeben worden ist, Vorschriften des ZVG über den Schuldnerschutz zu unterlaufen, beispielsweise entgegen Sinn und Zweck von § 85a Abs. 1 und 2 ZVG einen neuen Versteigerungstermin ohne Bindung an die Voraussetzungen des § 74a Abs. 1 ZVG herbeizuführen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Juli 2008 - V ZB 1/08, BGHZ 177, 334, Rn. 8). Die Ausübung des Rechts, im Verfahren Gebote abzugeben, ist aber auch dann rechtsmissbräuchlich, wenn ein weder zahlungsfähiger noch zahlungswilliger Bieter andere, ebenfalls verfahrensfremde Zwecke verfolgt, etwa wenn er durch sein Gebot die Verwertung des Grundstücks manipulieren oder hintertreiben will (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2007 aaO, Rn. 14 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Februar 2013 - V ZB 18/12, BGHZ 196, 243, Rn. 25 mwN; zur Vermutung der Rechtsmissbräuchlichkeit eines Eigengebots des Gläubigers BGH, Beschluss vom 24. November 2005 - V ZB 98/05, NJW 2006, 1355 f.).“

 

Dennoch verneint der BGH ein sachgedankliches Mitbewusstsein des Rechtspflegers. Die Möglichkeit der Zurückweisung wegen Rechtsmissbräuchlichkeit sei nämlich auf offenkundige Umstände beschränkt, weswegen ein Irrtum auf Fälle beschränkt sei, in denen die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Bieters eindeutig sei:

 

„Gleichwohl hat der Rechtspfleger über die insoweit gebotene, an die engen Voraussetzungen von § 71 ZVG gebundene Prüfung hinaus keinen Anlass, der Abgabe eines Gebots - und sei es auch nur in Gestalt eines sachgedanklichen Mitbewusstseins - die Erklärung des Bietenden zu entnehmen, er werde die erforderliche Summe aufbringen können und wollen. Denn er muss den Eigengesetzlichkeiten der Zwangsversteigerung Rechnung tragen und daher jedes Gebot sofort auf seine Wirksamkeit überprüfen, da es durch ein darauffolgendes Übergebot unmittelbar erlöschen kann. Zur Prüfung eines möglichen Missbrauchs steht ihm keine Möglichkeit einer Beweisaufnahme offen. Auch ist der Bieter seinerseits nicht verpflichtet, seine mit dem Gebot verfolgte Absicht zu offenbaren (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2007 aaO, Rn. 35). Eine Zurückweisung wegen Rechtsmissbrauchs ist daher auf Ausnahmefälle beschränkt. Ein eine Zurückweisung von Geboten rechtfertigendes rechtsmissbräuchliches Verhalten muss durch offenkundige Umstände, die an konkrete, sogleich erkennbare Tatsachen anknüpfen, eindeutig ausgewiesen sein (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2007 aaO; ebenso OLG Nürnberg, Rpfleger 1999, 87; Stöber, ZVG, 21. Aufl., § 71 Rn. 2.10).

Danach fehlt es im vorliegenden Fall für eine diesbezügliche Fehlvorstellung auch in Gestalt des vom Landgericht angenommenen sachgedanklichen Mitbewusstseins des Rechtspflegers bei Entgegennahme der Gebote der Angeklagten an einer ausreichenden Grundlage. Für eine ohne Weiteres vom Rechtspfleger erkennbare Offenkundigkeit des rechtsmissbräuchlichen Zwecks des von der Angeklagten abgegebenen Höchstgebots fehlt nach den Urteilsfeststellungen ebenfalls jeglicher Anhalt.“

2. Ergebnis

Eine Strafbarkeit wegen (vollendeten) Betruges gemäß § 263 I StGB scheidet aus.

C. Fazit

Das Landgericht hatte keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob sich R zumindest wegen (untauglichen) Betrugs (§§ 263 I, II, 22, 23 StGB) strafbar gemacht hat und die Sache deswegen zurückverwiesen. Der Fall eignet sich wegen seiner Verknüpfung von Zwangsvollstreckungsrecht und Strafrecht ganz hervorragend für eine Aufgabe im Assessorexamen. Aber auch für Studierende ist der Fall lehrreich, weil er exemplarisch aufzeigt, wie das Vorliegen des sachgedanklichen Mitbewusstseins zu prüfen ist.

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