Examensreport: ÖR I 1. Examen aus dem September 2016 Durchgang in Baden-Württemberg

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

Im Bundesland L stehen Landtagswahlen an. V ist Ministerpräsident des Bundeslandes L. Für den Landtag kandidiert auch der Spitzenkandidat W der B-Partei, die im Verruf steht, rechtspopulistisch und demagogisch zu sein. In ihrer Berichterstattung veröffentlicht die B-GmbH eine Fotomontage. Darauf ist zu sehen, wie W eine Gesichtsmaske des V entfernt. Unter dem Beitrag steht: „Wer V wählt, bekommt W.“ Außerdem wird über geheime Koalitionsgespräche berichtet. Die Angaben treffen nicht zu. V hat sich sogar des Öfteren von der B-Partei und ihrem
Spitzenkandidaten W distanziert. In einem persönlichen Gespräch erreicht V, dass sich die B-GmbH verpflichtet, solche oder ähnlich Berichte zu unterlassen. Um auf Nummer sicher zu gehen, klagt der V dennoch vor dem LG auf Abgabe einer Unterlassungserklärung. Das LG weist seine Klage ab, da keine Wiederholungsgefahr bestehe und der V als Person der Zeitgeschichte solche Berichterstattung hinnehmen müsse. Grundrechte des V und die EMRK seien hier nicht betroffen. Bei der Entscheidungsfindung wird im Übrigen ein ordnungsgemäß eingereichter Schriftsatz des V nicht berücksichtigt. V legt gegen diese Entscheidung Revision ein. Das OLG berücksichtigt zwar den Schriftsatz des V, weist die Klage aber ebenfalls ab. Das will V nicht auf sich sitzen lassen und erhebt beim BVerfG Verfassungsbeschwerde. Zur Begründung trägt vor, dass das KUG nicht für Fotomontagen gelte. Außerdem sei er in seinen Grundrechten verletzt. Schließlich müsse auch bedacht werden, dass das LG einen Schriftsatz nicht berücksichtigt habe.

Hat die Verfassungsbeschwerde des V Aussicht auf Erfolg?

Abwandlung
Im Bundesland L wird in der Folge das Pressegesetz verschärft. Es wird genauestens geregelt, wie das Recht auf Gegendarstellung durchgesetzt werden soll (Aufmachung, Gestaltung, Abdruck an der gleichen Stelle etc.). Die B-GmbH und einige Redakteure erheben Verfassungsbeschwerde unter Hinweis auf eine Verletzung von Art. 5 I GG.

Mit Erfolg?

** 22 KUG**
Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, daß er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten.

** 23 KUG**

  1. Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:
  1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte;
  2. Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen;
  3. Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben;
  4. Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.
    (2) Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird.

Unverbindliche Lösungsskizze

Ausgangsfall: Verfassungsbeschwerde des V

A. Zulässigkeit

I. Zuständigkeit, Art. 93 I Nr. 4a GG; §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG (+)

II. Beteiligtenfähigkeit, § 90 I BVerfGG (+)

III. Beschwerdegegenstand, § 90 I BVerfGG
Hier: (Zivil-)Urteile als Akte der Judikative

IV. Beschwerdebefugnis, § 90 I BVerfGG

  1. Mögliche Grundrechtsverletzung
    Hier: Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, in der Ausprägung „Recht am eigenen Bild“
  1. Selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen (+)

V. Rechtswegerschöpfung, § 90 II BVerfGG (+)

VI. Form und Frist, §§ 23, 92, 93 BVerfGG (+)

B. Begründetheit

I. Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 I, 1 I GG

  1. Schutzbereich

a) Persönlicher Schutzbereich
-> Jedermann (+)

b) Sachlicher Schutzbereich
-> Rahmenrecht Hier: Recht am eigenen Bild

  1. Eingriff (+)

  2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

a) Bestimmung der Schranken
-> Einfacher Gesetzesvorbehalt; Arg.: „verfassungsmäßige Ordnung“

b) Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage (§§ 22, 23 KUG)

aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit (+)

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit
-> Verhältnismäßigkeit

(1) Zweck
Hier: Ausgleich zwischen dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit/Pressefreiheit

(2) Geeignetheit (+)

(3) Erforderlichkeit (+)

(4) Verhältnismäßigkeit i.e.S.
(+); Arg: Grundsätzliche Zustimmung (§ 22 KUG), Ausnahme bei Personen der Zeitgeschichte (§ 23 I Nr. 1 KUG), Abwägung zwischen konfligierenden Positionen ermöglichen angemessene Einzelfallentscheidungen.

b) Verfassungsmäßigkeit des Einzelaktes (Urteile)
-> Verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der §§ 22, 23 KUG durch die Gerichte, insbesondere auch Verhältnismäßigkeit der Gerichtsentscheidungen
-> Zu diskutieren:

  • Annahme, dass keine Wiederholungsgefahr
  • Anwendbarkeit des KUG, insbesondere § 23 I Nr. 1 KUG, bei Fotomontagen und bei Wort-/Bildkombination
  • Annahme, dass V Person der Zeitgeschichte
  • Anwendbarkeit und Einfluss des Art. 8 EMRK
  • Nichtberücksichtigung des Schriftsatzes in Ausgangsentscheidung dürfte dabei unbeachtlich sein, da kein Einfluss auf Entscheidung bzw. Heilung in letzter Instanz **Hier:**Meinungsfreiheit/Pressefreiheit im konkreten Fall wohl höher zu bewerten (a.A. gut vertretbar)
  1. Ergebnis: (-)

II. Sonstige Grundrechte (-)

C. Ergebnis: (-)

Abwandlung: Verfassungsbeschwerde der B-GmbH

A. Zulässigkeit

I. Zuständigkeit (+)

II. Beteiligtenfähigkeit, § 90 I BVerfGG
-> Jedermann
-> Inländische juristische Person, Art. 19 III GG

III. Prozessfähigkeit
Hier: Vertretung der GmbH durch Geschäftsführer, § 35 GmbHG

IV. Beschwerdegegenstand, § 90 I BVerfGG
Hier: Landespressegesetz als Akt der Legislative

V. Beschwerdebefugnis, § 90 I BVerfGG

  1. Mögliche Grundrechtsverletzung
    Hier: Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG bzw. Pressefreiheit, Art. 5 I 2 GG

  2. Selbst, unmittelbar, gegenwärtig
    -> Bei Gesetzesverfassungsbeschwerde muss das Gesetz „self executing“ sein. Hier: (+); Arg.: kein weiterer Vollzugsakt erforderlich

VI. Rechtswegerschöpfung, § 90 II BVerfGG

  • Bei Gesetzesverfassungsbeschwerden gibt es keinen erschöpfungsfähigen Rechtsweg.
  • Aber: „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde“ – Zumutbarkeit des Verstoßes gegen das Gesetz? Dem Sachverhalt (Gedächtnisprotokoll) ist nicht zu entnehmen, dass ein Verstoß gegen die Vorgaben für die Gegendarstellung ein Bußgeld nach sich zieht. Wenn ja, dann Verfassungsbeschwerde nicht subsidiär gegenüber dem einfachgerichtlichen Rechtsschutz.

B. Begründetheit

I. Verstoß gegen Pressefreiheit, Art. 5 I 2 GG

  1. Schutzbereich

a) Persönlich
-> Jedermann, auch inländische juristische Personen (+), s.o.

b) Sachlich
-> Presseerzeugnisse, Personen, Rahmenbedingungen, Institution Hier: Presseerzeugnisse bzw. Rahmenbedingen

  • Abgrenzung zur Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG
  1. Eingriff (+)

  2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

a) Bestimmung der Schranke

  • Problem: „Allgemeines Gesetz“
  • aA: Formelle Theorie
  • aA: Materielle Theorie
  • hM: Kombination aus formeller und materieller Theorie („Kombinationsformel des BVerfG“) – Danach ist ein Gesetz „allgemein“, wenn es keine bestimmte Meinung verbieten will, sondern vielmehr einem im Verhältnis zur Meinungsfreiheit/Pressefreiheit höherrangigen Recht zur Durchsetzung verhelfen will. Hier: Durchsetzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, Art. 2 I , 1 I GG.

b) Formelle Verfassungsmäßigkeit (+)

c) Materielle Verfassungsmäßigkeit
-> Verhältnismäßigkeit

  • Hier: wohl (+); Arg.: „Waffengleichheit“ (a.A.: vertretbar).
  1. Ergebnis: (-)

II. Sonstige Grundrechte (-)

C. Ergebnis: (-)

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