A. Sachverhalt (vereinfacht)
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die dem Sohn ihres Verwalters, dem Zeugen H., gestattete, unter der aus ihrem Gesellschaftsnamen abgeleiteten Bezeichnung “l.” ein Benutzerkonto auf der Internetplattform eBay einzurichten.
Der Beklagte stellte Ende Januar 2012 ein gebrauchtes, mit Fünfganggetriebe und Kickstarter ausgestattetes Motorrad Yamaha für zehn Tage zur Internetauktion bei eBay mit einem Startpreis von 1 € ein. Als Artikelmerkmale trug er fälschlich “Dreiganggetriebe” und “Elektrostarter” ein. Am 26. Januar 2012 – neun Tage vor dem Ende der Auktion – nahm der Zeuge H. das Angebot unter dem Benutzernamen “l.” an, wobei er ein Maximalgebot von 1.234,57 € abgab. Wenige Minuten später brach der Beklagte die Auktion ab und strich das Angebot der Klägerin, die die einzige Bieterin war. Der Beklagte korrigierte die Artikelmerkmale und stellte das Motorrad nach wenigen Stunden erneut bei eBay ein.
Mit Anwaltsschreiben vom 5. Juli 2012 verlangte die Klägerin vergeblich die Übereignung des Motorrades, das der Beklagte zwischenzeitlich anderweitig veräußert hatte.
Mit der Behauptung, das Motorrad sei 4.900 € wert gewesen, nimmt die Klägerin den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 4.899 € nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch. Am 15. August 2012 – und damit noch vor der am 31. August 2012 erfolgten Zustellung der Klage – trat die Klägerin dem Zeugen H. ihre Ansprüche aus den von ihm vorgenommenen eBay-Geschäften unentgeltlich ab.
Ist die Klage zulässig?
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 24.08.2016 –VIII ZR 182/15)
Der Zulässigkeit der Klage könnte entgegenstehen, dass die Klägerin nicht prozessführungsbefugt ist.
Die Prozessführungsbefugnis, die in § 51 I ZPO zumindest angesprochen wird, ist die prozessuale Befugnis ein behauptetes Recht im eigenen Namen geltend zu machen. Es handelt sich dabei – anders als die Aktiv-/Passivlegitimation, die die Begründetheit der Klage betrifft – um eine Sachurteilsvoraussetzung, die von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens (in der Zulässigkeit) zu prüfen ist (§ 56 I ZPO).
Behauptet der Kläger, selbst Inhaber des Rechts zu sein, ist die Prozessführungsbefugnis in der Regel unproblematisch. Schwieriger wird es, wenn der Kläger – wie hier – ein behauptetes fremdes Recht im eigenen Namen geltend macht. In diesen Fällen spricht man von einer Prozessstandschaft. Man unterscheidet zwischen gesetzlicher (auf gesetzlicher Ermächtigung beruhender) und gewillkürter (rechtsgeschäftlicher) Prozessstandschaft. Maßgeblich ist, wie es der Wortlaut des § 51 I ZPO auch nahelegt („…die Notwendigkeit einer besonderen Ermächtigung zur Prozessführung bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts…“), insoweit das materielle Recht.
1. Gesetzliche Prozessstandschaft
Auf die gesetzliche Prozessstandschaft nach § 265 II 2 ZPO hätte sich die Klägerin nur berufen können, wenn der Anspruch erst nach Rechtshängigkeit (=Zustellung der Klageschrift bei dem Beklagten, §§ 253 I, 261 I ZPO) an H. abgetreten worden wäre.
2. Gewillkürte Prozessstandschaft
Möglich ist auch eine gewillkürte Prozessstandschaft. Der Kläger kann ein behauptetes fremdes Recht ausnahmsweise im eigenen Namen geltend machen, wenn der Rechtsinhaber ihn dazu entsprechend § 185 Abs. 1 BGB wirksam ermächtigt hat, der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der eigenen Prozessführung hat und der Beklagte dadurch nicht unzumutbar benachteiligt wird.
Der BGH verneint ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin an einer Prozessführung im eigenen Namen. Dagegen spricht zunächst, dass sie den Anspruch nicht an H. verkauft, sondern vielmehr unentgeltlich übertragen habe:
„Auch wenn der Zeuge H., der mit der Prozessführung durch die Klägerin ersichtlich einverstanden ist, diese durch konkludentes Handeln dazu ermächtigt haben mag, fehlt es an einem rechtsschutzwürdigen Eigeninteresse der Klägerin an der Prozessführung. Zwar kann auch der Verkäufer einer Forderung ein eigenes berechtigtes Interesse daran haben, die abgetretene Forderung gerichtlich geltend zu machen (…). Die Klägerin hat dem Zeugen H. ihre Rechte aus vorgenommenen eBay-Geschäften jedoch nicht verkauft, sondern unentgeltlich übertragen.“
Das Berufungsgericht hatte die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft bejaht. Dabei hat es sich darauf gestützt, dass die Klägerin die Bereitschaft zu einem Klägerwechsel (hin zu H.) erklärt habe:
„Die Klägerin kann aber, und das tut sie hier, in gewillkürter Prozessstandschaft den dem Zeugen … abgetretenen Anspruch geltend machen (vgl. dazu Zöller-Vollkommer, Vor § ZPO § 50 ZPO, Rn. 49). So hat die Klägerin ausdrücklich Bereitschaft erklärt, künftig den Zeugen … - Sohn des Verwalters der Klägerin … - die Rolle des Klägers einnehmen zu lassen, wenn der Beklagte zustimmt.“ (LG Görlitz Urt. v. 29.07.2015 – 2 S 213/14)
Dem tritt der BGH entgegen:
„Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Prozessführung ergibt sich auch nicht, wie das Berufungsgericht möglicherweise gemeint hat, aus der von ihr in erster Instanz erklärten Bereitschaft zu einem Klägerwechsel, sofern der Beklagte dem zustimme. Auch wenn es nicht zu einem von der Klägerin unter Umständen beabsichtigten Parteiwechsel auf Klägerseite gekommen ist, begründet eine bloße technische Erleichterung ihrer weiteren Prozessführung noch kein rechtsschutzwürdiges Eigeninteresse (…).“
C. Fazit
Auch in einer weiteren aktuellen Entscheidung befasst sich der BGH mit dem schutzwürdigen Interesse des klagenden gewillkürten Prozessstandschafters. Hier ging es darum, dass die Klägerin und der Beklagte unabhängig voneinander Altkleidersammlungen durchführen, indem sie öffentlich zugängliche Sammelcontainer für Kleiderspenden aufstellen. Der Beklagte stellte auf drei Grundstücken Altkleidercontainer auf, ohne eine Genehmigung der jeweiligen Eigentümer eingeholt zu haben. Die Klägerin, die von den Grundstückseigentümer dazu ermächtigt wurde, verlangte im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft von dem Beklagten, das Aufstellen von Altkleidercontainern auf den Grundstücken zu unterlassen. Auch diese Klage sieht der BGH als unzulässig an:
„Das schutzwürdige Eigeninteresse des Prozessstandschafters muss sich auf das Recht beziehen, zu dessen Geltendmachung er ermächtigt worden ist. Geht es um die Beeinträchtigung eines Rechts, muss es in der Beseitigung der eingetretenen Beeinträchtigung bestehen. Das ist auch für die Anerkennung eines wirtschaftlichen Eigeninteresses erforderlich und bedeutet, dass nicht jedes wirtschaftliche Eigeninteresse des Prozessstandschafters ausreichend ist. Auch dieses muss sich aus der Beziehung zu dem fremden Recht ergeben. Die Zulässigkeit der klageweisen Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen, bei der es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt (vgl. statt aller Gursky in Festgabe 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, 109, 112), findet nur dann ihre Rechtfertigung, wenn das Interesse des Prozesstandschafters auf die Verwirklichung gerade dieses Rechts gerichtet ist. Macht eine Partei den Unterlassungsanspruch eines Grundstückseigentümers aus § 1004 BGB bzw. aus § 862 BGB im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend, muss sich das schutzwürdige Eigeninteresse daher auf die Beseitigung der Beeinträchtigung des Eigentums bzw. des Besitzes an dem Grundstück beziehen.
Das ist hier nicht der Fall. Das Eigeninteresse der Klägerin bezieht sich nicht auf die Beseitigung der von den Altkleidercontainern ausgehenden Beeinträchtigung des Eigentums oder des Besitzes an den Grundstücken der Ermächtigenden, sondern auf die Beendigung einer Wettbewerbssituation auf dem Altkleidersammelmarkt. Etwaige Wettbewerbsverstöße der Beklagten können das schutzwürdige Interesse aber nicht begründen. Die Vorschriften zum Schutz des Eigentums sind keine Marktverhaltensregelungen, die unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs als Wettbewerbsverstöße nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG verfolgt werden könnten (…).
Anders wäre es, wenn die Klägerin aufgrund einer Nutzungsvereinbarung mit den Grundstückseigentümern berechtigt wäre, (künftig) eigene Altkleidercontainer aufzustellen. Dann bestünde zwischen ihnen eine Rechtsbeziehung, aus der ein Interesse der Klägerin abgeleitet werden könnte, die Grundstücke von den störenden Altkleidercontainern des Beklagten frei zu machen. Vortrag zu einer solchen Nutzungsvereinbarung ist indes nicht aufgezeigt.“ (BGH Urt. v. 10.06.2016 - V ZR 125/15)
Das dürfte für Prüfungsämter Grund genug sein, Fragen rund um die (gewillkürte) Prozessstandschaft in Prüfungs- und Examensaufgaben einzubauen. Im ersten Examen könnte das beispielsweise in Form einer prozessualen Zusatzaufgabe geschehen. Im Assessorexamen können entsprechende Fragestellungen jederzeit Gegenstand von Urteils- und Anwaltsklausuren werden.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen