A. Sachverhalt
Der Bundesnachrichtendienst (BND) betrieb gemeinsam mit der National Security Agency (NSA) auf der Grundlage eines Memorandum of Agreement aus dem Jahr 2002 (MoA) unter dem Projektnamen Joint SIGINT Activity in Bad Aibling eine Kooperation zur Fernmeldeaufklärung von internationalen Fernmeldeverkehren zu Krisenregionen. Das MoA legte die Modalitäten für die gemeinsame Arbeit fest. Hiernach war eine Aufklärung europäischer Ziele nur beschränkt auf bestimmte Phänomenbereiche zulässig. Auch sollten ausschließlich solche Kommunikationen aufgeklärt werden, an denen kein G 10-geschützter Teilnehmer beteiligt war.
Im Rahmen dieser Kooperation durchsuchten BND-Mitarbeiter die aus einem Internetknotenpunkt in Frankfurt am Main ausgeleiteten Daten nach von der NSA definierten Merkmalen, den sogenannten Selektoren. Diese Selektoren wurden von Bad Aibling aus regelmäßig abgerufen und nach entsprechender Prüfung durch den BND in die Erfassungssysteme eingestellt. Aufgrund der hohen Anzahl an Selektoren wurde die Prüfung in einem automatisierten Verfahren mit Hilfe des vom BND entwickelten Datenfilterungssystems DAFIS durchgeführt. Die vorgeschaltete automatisierte Prüfung bezog sich dabei auf eine G 10-Relevanz der Selektoren und auf einen Verstoß gegen deutsche Interessen.
Bereits Ende des Jahres 2005 fiel BND-Mitarbeitern bei einer Durchsicht von NSA-Selektoren auf, dass die NSA auch Selektoren übergeben hatte, die nach ihrer Einschätzung gegen deutsche Interessen verstießen. Nachdem im Sommer 2013 in der Presse berichtet worden war, dass EU-Vertretungen und auch Deutsche von der Fernmeldeaufklärung im Rahmen der Joint SIGINT Activity betroffen seien, führte der BND eine interne Untersuchung der Selektoren durch. Dabei stellte sich heraus, dass die überprüften Selektoren nur zu einem Teil bei der ersten Filterung bereits von der weiteren Verwendung ausgeschlossen und nicht in die Erfassungssysteme übernommen worden waren. Ein anderer Teil war für unterschiedlich lange Zeiträume gesteuert worden. Nachdem der Deutsche Bundestag zur Aufarbeitung der Selektorenthematik am 20. März 2014 den 1. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode (sogenannter NSA-Untersuchungsausschuss) eingesetzt hatte, wurden die Selektoren, welche von der NSA im Rahmen der Zusammenarbeit in Bad Aibling an den BND übergeben und durch diesen abgelehnt worden waren, aus den nachrichtendienstlichen Datenbanken generiert und sodann zu den sogenannten NSA-Selektorenlisten zusammengefasst.
Die G 10-Kommission (§ 15 G10-Gesetz) verlangte, nachdem sie Kenntnis von diesen Vorgängen erhalten hatte, die Herausgabe der NSA-Selektorenlisten oder Einsichtnahme in diese, um eventuelle Verstöße gegen Art. 10 GG festzustellen. Dieses Ersuchen lehnte die Bundesregierung in einer Sitzung der Antragstellerin vom 18. Juni 2015 ab.
Die G 10-Kommission wurde darüber informiert, dass die Bundesregierung mit Zustimmung der parlamentarischen Mehrheit des NSA-Untersuchungsausschusses eine sachverständige Vertrauensperson bestellt und mit der Aufgabe betraut hatte, Einsicht in die NSA-Selektorenlisten zu nehmen und hierüber dem NSA-Untersuchungsausschuss und dem Parlamentarischen Kontrollgremium zu berichten. Zugleich wurde ihr angeboten, – ungeachtet der Frage, ob die NSA-Selektorenlisten von der Kontrollzuständigkeit umfasst seien – dass die sachverständige Vertrauensperson auch der G 10-Kommission gegenüber Bericht erstatte und ihre Fragen prüfe. Am 18. August 2015 übermittelte die G 10-Kommission über den NSA-Untersuchungsausschuss einen Fragenkatalog an die sachverständige Vertrauensperson. Diese stellte der G 10-Kommission ihren Bericht am 11. November 2015 und einen ergänzenden Bericht am 14. April 2016 vor.
Die G 10-Kommission begehrt beim BVerfG die Feststellung, dass die Bundesregierung ihre Rechte aus Art. 10 II GG verletzt haben, indem sie es abgelehnt hätte, die Listen mit den Suchbegriffen (Selektoren), die der BND ab 2004 aus den ihm von der NSA übergebenen Selektorenlisten herausgefiltert hatte, herauszugeben oder Einsicht in diese zu gewähren.
Hat der Antrag Aussicht auf Erfolg?
B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 20.09.2016 – 2 BvE 5/15)
Der Antrag hat Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für das statthafte Organstreitverfahren ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG.
Fraglich ist, ob die G 10-Kommission parteifähig ist. Nach Art. 93 I Nr. 1 GG sind im Organstreit nur die obersten Bundesorgane parteifähig. Dabei handelt es sich um die durch das Grundgesetz eingesetzten und formierten obersten Organe, die § 63 BVerfGG aufzählt, namentlich Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Bekanntermaßen setzt § 63 BVerfGG die verfassungsrechtliche Vorgabe des Art. 93 I Nr. 1 GG nicht abschließend um. Danach sind vielmehr auch andere Beteiligte, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind, parteifähig. Außerhalb des Kreises der Organteile mit eigenen Rechten aus dem Grundgesetz oder der Geschäftsordnung eines Bundesorgans hat das Bundesverfassungsgericht nur zwei Kompetenzträger als „andere Beteiligte“ anerkannt, nämlich einzelne Bundestagsabgeordnete und politische Parteien.
1. G 10-Kommission als oberstes Bundesorgan
Das BVerfG ordnet die G 10-Kommission als „Kontrollgremium eigener Art“ ein, nicht aber als oberstes Bundesorgan i.S.v. Art. 93 I Nr. 1 GG.
Dagegen spreche schon, dass sie nicht von der Verfassung selbst vorausgesetzt und begründet wird; vielmehr obliege es dem (einfachen) Gesetzgeber, Status und wesentliche Kompetenzen der Kommission zu definieren:
„Sie wird nicht von der Verfassung - namentlich von Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG - in Existenz, Status und wesentlichen Kompetenzen konstituiert.
Nach der Entstehungsgeschichte und der Zielsetzung des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG kommt der Verfassungsnorm über ihren objektiven Aussagegehalt hinaus keine kompetenzschützende Wirkung zu Gunsten „der von der Volksvertretung bestellten Organe oder Hilfsorgane“ zu (vgl. BT-Drucks. V/1879, S. 17 f.).
Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG enthält keinen verbindlichen Verfassungsauftrag. Das Gesetz „kann“ bestimmen, dass Beschränkungsmaßnahmen dem Betroffenen nicht mitgeteilt werden und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt. Die Verfassungsvorschrift kann im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur so verstanden werden, dass sie die nachträgliche Benachrichtigung zulässt und sie in den Fällen fordert, in denen eine Gefährdung des Zwecks der Überwachungsmaßnahme und eine Gefährdung des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden kann. Die Vorschrift lässt auch Raum, es beim normalen Rechtsweg zu belassen oder statt der Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe ein besonderes gerichtliches Verfahren vorzusehen, falls dies ohne Gefährdung des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes möglich sein sollte (vgl. BVerfGE 30, 1 <21>). Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG ermächtigt zu einer Beschränkung der Mitteilungspflicht, gebietet eine solche aber nicht. Würde der einfache Gesetzgeber eine Mitteilungspflicht gegenüber den Betroffenen begründen, entfiele folglich das verfassungsrechtliche Bedürfnis der Existenz eines Kontrollorgans. Damit hängt schon die Existenz der G 10-Kommission vom Willen des Gesetzgebers ab. Darüber hinaus verlangt Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG nur, dass das zu seiner Ausführung ergehende Gesetz „ein“ Organ (vgl. BVerfGE 30, 1 <30>) vorsehen muss. Wie die Kontrolle auszugestalten ist, schreibt die Verfassung nicht vor. Dem Gesetzgeber ist bei der Gestaltung der Kontrolle im Einzelnen, etwa bei der Entscheidung über die kontrollierende Stelle, grundsätzlich ein Regelungsspielraum eingeräumt (vgl. BVerfGE 100, 313 <361>). So kann die Kontrolle der Maßnahmen der strategischen Überwachung durch unabhängige und an keine Weisung gebundene staatliche Organe und Hilfsorgane auch durch den Datenschutzbeauftragten sichergestellt werden (vgl. BVerfGE 67, 157 <185>). Folglich steht es dem Gesetzgeber auch frei, Status und wesentliche Kompetenzen des Organs zu definieren, soweit eine hinreichend wirksame Kontrolle gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 100, 313 <361 f.>).“
Zudem komme der G 10-Kommission keine eigenständigen Aufgaben im Bereich der politischen Staatsleitung zu:
„Sie hat keinen verfassungsunmittelbaren Status im Prozess demokratischer Willensbildung und staatlicher Entscheidungsfindung, so dass sie keinen Anteil an der Bildung des Staatswillens (vgl. BVerfGE 8, 104 <113>; 20, 56 <98>) hat. Vielmehr übt sie eine materiell und verfahrensmäßig dem gerichtlichen Rechtsschutz gleichwertige Kontrolle aus und stellt einzelfallbezogen die Rechtskontrolle anhand konkreter normativer Vorgaben sicher. Sie ist befugt, alle Organe, die mit der Vorbereitung, Entscheidung, Durchführung und Überwachung des Eingriffs in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis befasst sind, sowie alle Maßnahmen dieser Organe zu überwachen. Diese Kontrolle übt sie laufend aus (vgl. BVerfGE 30, 1 <23>).“
2. G 10-Kommission als „anderer Beteiligter“
Das BVerfG hält die G 10-Kommission auch nicht für einen „anderen Beteiligten“.
Sie sei nicht als ein durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Bundestages anzusehen:
„Die G 10-Kommission ist weder durch das Grundgesetz noch durch die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages mit eigenen Rechten ausgestattet. Soweit sich die Befugnisse der G 10-Kommission aus einfachem Recht - hier insbesondere § 15 G 10 - ergeben, wäre dies im Organstreit allenfalls relevant, wenn das Gesetz unmittelbar aus der Verfassung selbst folgende Rechte und Pflichten des am Organstreit Beteiligten widerspiegeln würde; eine Verletzung einfachen Rechts kann im Organstreit nicht geltend gemacht werden (zur Antragsbefugnis vgl. BVerfGE 118, 277 <319>; 131, 152 <191>).
Die G 10-Kommission ist nicht Teil des Deutschen Bundestages. Ungeachtet des Umstandes, dass das Grundgesetz sie schon nicht explizit erwähnt, bezeichnet Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG das Hilfsorgan - anders als den Wehrbeauftragten in Art. 45b GG - nicht als eines „des Bundestages“. Auch wird die G 10-Kommission nicht wie das Parlamentarische Kontrollgremium in Art. 45d GG als Pflichtgremium des Deutschen Bundestages statuiert. Zwar wird das Organ oder Hilfsorgan nach Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG von der Volksvertretung bestellt. Diesen Akt hat der Gesetzgeber durch das G 10 auf das Parlamentarische Kontrollgremium delegiert, welches gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 G 10 die Mitglieder der G 10-Kommission nach Anhörung der Bundesregierung für die Dauer einer Wahlperiode des Deutschen Bundestages wählt. Allein die Tatsache, dass die Mitglieder der G 10-Kommission durch ein parlamentarisches Gremium gewählt werden, qualifiziert die G 10-Kommission aber noch nicht als Teil des Deutschen Bundestages, vielmehr wird dadurch die demokratische Legitimation der G 10-Kommission sichergestellt (vgl. BT-Drucks. V/1880, S. 8, 11). Zudem gehört zum Wesen von parlamentarischen Hilfsorganen deren Abhängigkeit, Weisungsgebundenheit und Rechenschaftspflicht im Verhältnis zum Parlament. Zwar ist die G 10-Kommission beim Deutschen Bundestag „angesiedelt“ (so B. Huber, in: Schenke/ Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 15 G 10 Rn. 6). Die Mitglieder der G 10-Kommission, die nicht zwingend Abgeordnete sein müssen, sind aber in ihrer Amtsführung unabhängig sowie Weisungen nicht unterworfen (§ 15 Abs. 1 Satz 3 G 10). Sie nehmen ihr Amt ehrenamtlich wahr (§ 15 Abs. 1 Satz 4 G 10). Die G 10-Kommission unterliegt nicht - wie etwa Ausschüsse - dem Grundsatz der Diskontinuität (§ 15 Abs. 1 Satz 4 G 10). Eine Berichtspflicht gegenüber dem Deutschen Bundestag besteht nicht. Die G 10-Kommission ist daher nicht in der Organisationsgewalt des Deutschen Bundestages verankert.“
Vielmehr werde die G 10-Kommission im Funktionsbereich der Exekutive (im „operativen“ Bereich) tätig, wenn sie über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von konkreten Beschränkungsmaßnahmen entscheidet:
„Über die Überprüfung der ministeriellen Beschränkungsanordnungen im Einzelfall hinaus erstreckt sich die Kontrolle der G 10-Kommission als Ausgestaltung von Verfahrenssicherung auf den gesamten Prozess der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der mit Beschränkungsmaßnahmen erlangten personenbezogenen Daten (vgl. § 15 Abs. 5 G 10). Dabei stützt die G 10-Kommission ihre Entscheidungen auf die Stellungnahmen des zuständigen Bundesministeriums sowie des Bundesnachrichtendienstes und klärt den Sachverhalt in der Regel nicht selbst auf (vgl. BVerwGE 130, 180 <195 f. Rn. 44, 47>; Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, 2007, S. 642; B. Huber, in: Schenke/ Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 15 G 10 Rn. 52; Kornblum, Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten, 2011, S. 194, 309; Miltner, Die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes, in: BfV, Verfassungsschutz in der Demokratie: Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, 1990, S. 53 <63>; Wetzling, Das Herzstück der deutschen Geheimdienstreform: Vorschläge für eine starke G 10-Kommission, in: Stiftung Neue Verantwortung, Policy Brief September 2015, S. 12, 14). Die G 10-Kommission als eine neutrale Instanz dient zum einen der Einbindung der Exekutive und zum anderen der „kompensatorischen Repräsentation“ der Interessen des Betroffenen durch eine laufende und umfassende Rechtskontrolle.
Die G 10-Kommission nimmt auch sonst nicht an der Arbeit des Bundestages, seinen Verhandlungen und Entscheidungen teil. Sie wirkt nicht an der Erfüllung der Aufgaben des Bundestages im Bereich der Gesetzgebung, des Budgetrechts, des Kreations-, Informations- und Kontrollrechts mit und ist auch nicht an der Erörterung anstehender Probleme in öffentlicher Debatte beteiligt.“
Eine Ausweitung des verfahrensrechtlichen Parteibegriffs - wie es sie das Bundesverfassungsgericht bei Bundestagsabgeordneten und politischen Parteien für geboten hielt – komme nicht in Betracht. Dem stehe entgegen, dass die G 10-Kommission keine mit Verfassungsorganen vergleichbare organschaftliche Stellung habe und sie nicht ein integraler Bestandteil des Verfassungsaufbaus und des verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens, also eine nicht verfassungsrechtlich notwendige Institution sei. Ihre Aufgabe liege vielmehr darin, den Grundrechtsschutz aus Art. 10 GG organisatorisch und verfahrensrechtlich abzusichern:
„Die von der G 10-Kommission ausgeübte Kontrolltätigkeit ist eine Kontrolle, welche die Rechtmäßigkeit heimlicher staatlicher Überwachungsmaßnahmen prozedural absichert. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist von der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen, wonach die Grundrechte nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts beeinflussen, sondern zugleich Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung, sowie für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften setzen (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 65, 1 <44 ff.>; 69, 315 <355> jeweils m.w.N.). Als eine „organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrung“ dient die G 10-Kommission dem Grundrechtsschutz (vgl. auch Hermes, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 10 Rn. 97; Schmidt-Aßmann, Grundrechte als Organisations- und Verfahrensgarantien, in: Merten/Papier, HGR II, 2006, § 45 Rn. 3; Stettner, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, in: Merten/Papier, HGR IV, 2011, § 92 Rn. 94 f.).“
Insoweit seien Betroffene auf die Verfassungsbeschwerde zu verweisen:
„Die Schutzdimension der Grundrechte kann aber nicht durch die G 10-Kommission im Organstreitverfahren geltend gemacht werden, sondern ist dem Verfassungsbeschwerdeverfahren vorbehalten. Gerade auch mit Blick auf die vorliegende Fallkonstellation wird deutlich, dass die erhobene Rüge, die NSA-Selektoren seien ohne die erforderliche verfassungsrechtlich gebotene Genehmigung eingesetzt worden, in erster Linie der Geltendmachung möglicher Grundrechtsverstöße dient. Hauptanliegen der Antragstellerin ist es festzustellen, ob der Einsatz der NSA-Selektoren die Grundrechte der Telekommunikationsteilnehmer verletzte. Selbst wenn man davon ausginge - was hier offen bleiben kann -, dass die getroffenen Maßnahmen in Grundrechte eingriffen, sind derartige eventuelle Rechtsverletzungen Einzelner nicht im Wege des Organstreits vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen. Die Rüge von Grundrechtsverletzungen im Verfassungsprozess muss auch in dieser Konstellation den Betroffenen vorbehalten bleiben (vgl. BVerfGE 68, 1 <69 ff.>; 126, 55 <76>).
Diese sind - trotz der Unbemerkbarkeit solcher Beschränkungsmaßnahmen - nicht schutzlos gestellt. Nach § 13 G 10 ist gegen die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen nach den § 3 und § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 G 10 und ihren Vollzug der Rechtsweg (nur) vor der Mitteilung an den Betroffenen nicht zulässig. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 G 10 sind Beschränkungsmaßnahmen dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen. Die Mitteilung unterbleibt, solange eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist (§ 12 Abs. 1 Satz 2 G 10). Es handelt sich daher nur um einen zeitweisen Rechtswegausschluss, eine nachträgliche Kontrolle durch die Gerichte ist grundsätzlich eröffnet. Schließlich ergibt sich aus den Berichten des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 G 10 über Durchführung sowie Art und Umfang der Beschränkungsmaßnahmen für die Berichtszeiträume 2012 bis 2014, dass den Betroffenen in der Regel die Beschränkungsmaßnahmen mitgeteilt werden. Im Berichtszeitraum 2014 wurde bei 50 von 904, mithin bei ca. 5% der Betroffenen, entschieden, endgültig keine Mitteilung über die Durchführung der G 10-Maßnahme zu erteilen (BT-Drucks. 18/7423, S. 5 f.). Im Berichtszeitraum 2013 war dies bei 260 von 1.944, das heißt bei ca. 13% der Betroffenen (BT-Drucks. 18/3709, S. 6), und im Berichtszeitraum 2012 bei 72 von 551, mithin bei ca. 13% der Betroffenen (BT-Drucks. 18/218, S. 5 f.), der Fall.
Auch steht dem Betroffenen der Weg der Verfassungsbeschwerde offen. Zwar ist grundsätzlich eine Verfassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer durch den angegriffenen Akt der öffentlichen Gewalt selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen ist. Bei der strategischen Überwachung nach § 5 G 10 handelt es sich aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um einen Ausnahmefall, weil nach dem gesamten Geschehensablauf der Einzelne nicht weiß und nicht wissen kann, ob er tatsächlich von Maßnahmen nach § 5 G 10 betroffen ist. Für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde reicht es deshalb aus, wenn der Bürger darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die Anordnung in seinen Grundrechten verletzt sei, auch wenn er im Einzelnen nicht vortragen kann, er sei tatsächlich von Maßnahmen der strategischen Kontrolle betroffen (vgl. BVerfGE 67, 157 <169 f.>; vgl. auch BVerfGE 100, 313 <354>).“
II. Ergebnis
Der Antrag ist bereits unzulässig und hat deswegen keinen Erfolg.
C. Fazit
Eine wunderbare Entscheidung, die sich insbesondere als Bestandteil eines Prüfungsgesprächs oder als Zusatzfrage in einer Klausur eignet. Zudem sollte sie Anlass sein, sich mit dem Organstreitverfahren zu befassen.
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